Kein Platz für Frauen in Afghanistan
10. Juli 2015Noch bis kurz vor der Abstimmung wurden Handzettel im Parlamentsgebäude verteilt. Der Inhalt: Die Abgeordneten sollten nicht für Anisa Rasouli stimmen, denn sie sei eine Frau. Die 40-jährige Rasouli soll die erste Richterin am Obersten Gericht Afghanistans werden, Präsident Ashraf Ghani hatte sie nominiert. Im Parlament erreichte sie jedoch nicht die erforderliche Mehrheit der anwesenden Abgeordneten, obwohl es 88 Ja-Stimmen gab.
"Es steht außer Frage, dass ich nicht gewählt wurde, weil ich eine Frau bin", sagt Rasouli der Deutschen Welle. Die ehemalige Jugendrichterin ist die Vorsitzende der Vereinigung afghanischer Richterinnen. "Frauen haben das Recht, auf allen Regierungsebenen vertreten zu sein. Dieses Recht widerspricht weder dem Islam noch der Scharia." Rasouli hatte zuvor angekündigt, sich vor allem für die Bekämpfung der Korruption einzusetzen. Eine Ansage, die bei vielen nur noch mehr Ablehnung ausgelöst hatte.
Zuviele Frauen bei Abstimmung abwesend
"Das afghanische Parlament hat wieder einmal bewiesen, dass es Demokratie nur unterstützt, solange es den persönlichen Interessen der Abgeordneten oder ihrer Fraktion dient", sagt Orzala Ashraf Nemat, Gründerin des Zentrum für weibliche Nachwuchsführungskräfte in Kabul. "Sobald es um Gleichstellung geht, wird die Debatte zu einem Schlachtfeld der Vetternwirtschaft. Frauen haben da keinen Platz", kritisiert die promovierte Frauenrechtlerin, die in London studiert hatte.
Neun Stimmen fehlten für eine Bestätigung Rasoulis, bei der Abstimmung waren allerdings 21 weibliche Abgeordnete abwesend. Über die Gründe gibt es viele Spekulationen. "Es ist sehr enttäuschend", beklagt Heather Barr von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. "Viele Parlamentarierinnen haben hart für diese Quote gekämpft, dass aus jeder Provinz mindestens zwei weibliche Abgeordnete im Parlament sitzen müssen", so die Expertin für Frauenrechte. Nun hofft Barr, dass Präsident Ghani einen neuen Anlauf macht und erneut eine Kandidatin für das oberste Gericht nominiert und für die Anwesengheit aller weiblichen Abgeordneten sorgt. "Dass nur neun Stimmen fehlten, zeigt, dass es machbar ist", sagt Heather Barr.
Zweite weibliche Gouverneurin
Präsident Ghanis Bemühungen, mehr Frauen auf allen Ebenen der Regierung und Verwaltung zu beteiligen, haben erste Früchte getragen. Vier Minister im Kabinett sind weiblich und zwei Provinzgouverneure sind Frauen. Eine der Gouverneurinnen ist Sima Joyenda, die in der zentralafghanischen Provinz Ghor westlich von Kabul seit Kurzem das Sagen hat. "Ich bin dankbar dafür, dass der Präsident seine Versprechen eingelöst hat", so Joyenda. "Dennoch ist es unsagbar schwierig für Frauen, in einer Provinz wie Ghor zu arbeiten." Die Provinz ist einer der rückständigsten und ärmsten des Landes, nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung kann lesen und schreiben.
Fälle von Mordanschlägen auf Frauen in herausgehobenen öffentlichen Funktionen wie in der Vergangenheit hat es zwar nicht mehr gegeben. Dennoch sieht Heather Barr Defizite beim Schutz von Frauen. "Es gibt Fortschritte, aber der Präsident hat weitere kontroverse Punkte nicht angepackt", kritisiert die Expertin von HRW. So müsse das Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen nachgebessert werden, in einem kürzlich erschienen UN-Report wurde deutlich, dass nur fünf Prozent aller Fälle von häuslicher Gewalt von den Behörden Afghanistans überhaupt zur Kentnis genommen würden. Auch müsse für die Einbeziehung von Frauen in den Polizeidienst getan werden.
Nicht zuletzt die Behandlung des Falles von Farkhunda Malikzada, die im März von einem Mob in Kabul ermordet wurde, während die Polizei zu- oder wegschaute, ist für Heather Barr eine bittere Enttäuschung. Von einer konsequenten juristischen Verfolgung der Täter und Verantwortlichen könne keine Rede sein. Heather Barr und Ashraf Nemat sehen hier auch ein Versagen der Regierung von Präsident Ghani, die in dem Fall nicht ausreichend Stellung bezogen habe.