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Müller: Wir brauchen Sieben-Meilen-Stiefel

Bernd Riegert26. Oktober 2015

Die Entwicklungsminister der EU wollen ihre Hilfe verstärken, um Migration vor allem aus Afrika zu verhindern. Die bisherigen Schritte reichen nicht, meint der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller im DW-Interview.

Gerd Müller
Bild: Bernd Riegert

Deutsche Welle: Herr Müller, man hört die Parole 'Fluchtursachen bekämpfen' seit Jahren auf vielen Ministerräten der EU. Was bedeutet es denn tatsächlich, Fluchtursachen zu bekämpfen, wenn man auf Afrika schaut?

Gerd Müller: Hätten wir diese Forderung vor einigen Jahren ernster genommen, dann hätten wir heute weniger Probleme. Ich hoffe, dass wir jetzt wirklich einen Paradigmenwechsel bekommen. Nicht nur über einen vernetzten Ansatz von Entwicklungs-, Außen-, Sicherheitspolitik sprechen, sondern ihn auch umsetzen! Denn die Probleme werden uns über Jahre, Jahrzehnte in Europa beschäftigen. Ich möchte aber klar sagen, wir müssen auf die aktuelle Flüchtlingssituation differenziert schauen. Bis vor wenigen Wochen kam der Hauptanteil der Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen, aus den Balkanstaaten. Dann kamen die Flüchtlinge aus Syrien. Und Afrika, die afrikanischen Staaten machen zehn bis zwölf Prozent aus. In Deutschland wird ja häufig der Eindruck erweckt, dass 50 Prozent der Ankommenden aus Afrika stammt. Das ist falsch.

In Libyen ist gerade wieder der Versuch gescheitert, eine stabile Regierung zu bilden. Der Staat scheint also instabil zu bleiben. Es gibt Schätzungen, dass in Libyen alleine noch Hunderttausende darauf warten, nach Europa zu kommen. Droht da nicht die nächste Flüchtlingswelle?

Libyen ist ein Beispiel für große Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden. Man hat Bomben abgeworfen, man, also die internationale Staatengemeinschaft, hat Gaddafi weggebombt und dann ist man in der Entwicklung nicht weiter gekommen. Man hat den vernetzten Ansatz eben nicht vollzogen. Man hat die Waffenlager Gaddafis nicht geräumt. So haben sich die Milizen, die Tuareg, die Waffen geschnappt und haben Mali destabilisiert. Jetzt sind wir vier Jahre weiter. Es wurde kein Aufbau von Institutionen betrieben und wir sind mit großen Problemen konfrontiert. Ich würde den Ansatz des UN-Vermittlers bislang nicht als gescheitert betrachten, sondern wir hoffen darauf, dass wir bei der Einheitsregierung für Libyen einen wichtigen Schritt vorankommen. Das ist die Voraussetzung, um Hilfen der internationalen Staatengemeinschaft umzusetzen. Das deutsche Entwicklungshilfeministerium wird Libyen beim Aufbau von Institutionen helfen. Ganz konkret müssen wir zum Beispiel die Küstenwache verstärken. Es gibt auch Ansatzpunkte, mit den bestehenden Institutionen zusammen zu arbeiten.

Sie haben ja schon im Frühjahr, als viele hundert Menschen vor der libyschen Küste auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken sind, einen zehn-Milliarden-Fonds für Afrika gefordert. Was ist daraus eigentlich geworden?

Lampedusa war sogar schon vor zwei Jahren. Die Empörung war groß. Was ist passiert in zwei Jahren? Ich bin mehr als enttäuscht und die europäische und internationale Staatengemeinschaft muss beschämt sein. Wir können nicht länger "Nicht-Handlungsfähigkeit" demonstrieren. Es sterben Tausende und Hunderttausende sind auf der Flucht. Deshalb ist es enttäuschend, dass es keine stärkere europäische Solidarität zur Lösung der Probleme gibt. Aber jetzt kommt Bewegung in Brüssel in die Forderungen und in die Maßnahmen. Die EU hat in den letzten Monaten mit fünf Milliarden Euro die bestehenden Programme verstärkt, engagiert sich jetzt auch in der Türkei, legt einen Afrika-Fonds auf. Insofern kann ich sagen, es bewegt sich etwas in die richtige Richtung. Das sind wichtige Trippelschritte. Es müssen aber große Sieben-Meilen-Stiefel angezogen werden.

Gerd Müller: Mehr Investitionen in Afrika

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Nun trifft die EU in zwei Wochen die afrikanischen Staaten in Maltas Hauptstadt Valetta zu einem Gipfeltreffen, das sich mit Flüchtlingsfragen beschäftigen soll. Was erwarten Sie davon?

Beim Afrikagipfel in Valetta muss dazu eine Afrika-Initiative kommen und zwar in Verknüpfung mit einer Ausbildungsinitiative für die afrikanischen Staaten. Das bieten wir an. Deutschland wird das massiv unterstützen. Auf der anderen Seite müssen wir die afrikanischen Staaten in die Verantwortung nehmen zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität auf dem Kontinent.

In der aktuellen Flüchtlingskrise sind weitere Fonds aufgelegt worden. Es gibt einen weiteren Afrika-Fonds mit 1,8 Milliarden Euro, den die EU-Kommission eingerichtet hat. Da hat aber bisher noch niemand so richtig eingezahlt, auch Deutschland nicht. Woran liegt das?

Deutschland hat seinen Teil eingezahlt, denn der neue Fonds wird finanziert aus Mitteln des Europäischen Entwicklungshilfefonds (EEF). Daran ist Deutschland mit über 20 Prozent beteiligt. Wir werden aber auch zusätzliche Mittel bilateral einbezahlen. Das ist aber nur ein Aspekt. 50 Prozent der deutschen Entwicklungsgelder gehen in afrikanische Länder. Ich werde diese Maßnahmen verstärken, besonders in unserer Sonderinitiative "Nordafrika stärken". Dazu werde ich übernächste Woche nach Ägypten, Tunesien und Marokko reisen. Es muss uns in Europa allen klar sein: Der Mittelmeerraum ist unsere Partnerregion. Wir brauchen nicht nur Entwicklungs-Zusammenarbeit, sondern Wirtschaftskooperation. Hier müssen neue Instrumente auch zur Stärkung von Investitionen in diesem Raum aufgelegt werden. Die 54 Staaten der Afrikanischen Union (AU) sind wichtiger Partner in der Zukunft. Die deutsche Wirtschaft ist viel zu wenig engagiert. 400.000 deutsche Firmen sind im Ausland tätig, davon nur 1000 in Afrika. Deshalb brauchen wir neue Instrumente, um Investitionen anzuregen, beispielsweise auf dem Feld der erneuerbaren Energie.

Der Wirtschaftspädagoge Dr. Gerd Müller (60 ) ist seit Dezember 2013 Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in der Bundesregierung. Der CSU-Politiker schreckt auch vor drastischen Forderungen nicht zurück und will eine stärkere Koordination von Außen- und Entwicklungspolitik erreichen.

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