Abfallprobleme im All
22. April 2013Erdbeobachtungssatelliten können aufhören zu funken - entweder, weil ihnen der Treibstoff ausgeht oder weil sie von Raumfahrt-Trümmern getroffen werden, wie von ausgedienten oder verlorenen Maschinenteilen. Anlass zur Kollision gibt es im All jedenfalls zuhauf. Deswegen treffen sich in Darmstadt - bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA - Experten aus aller Welt zur sechsten Konferenz über Weltraummüll. Vier Tage lang (22.04.-25.04.2013) entwickeln sie gemeinsam Strategien gegen den wachsenden Weltraumschrott.
"Kollisionen sind keine Überraschung"
Im Februar 2009 geschah es zum ersten Mal in der Geschichte der Raumfahrt, dass zwei noch intakte Satelliten im All kollidierten. IRIDIUM-33 und KOSMOS-2251, zwei kommerzielle Flugkörper der Weltraummächte USA und Russland, rauschten damals über Sibirien ineinander. Sie gaben sich in einer Höhe von 790 Kilometer den Todeskuss.
"So ein Ereignis war eigentlich irgendwann zu erwarten", sagt Heiner Klinkrad, Chef der Abteilung Weltraumschrott der ESA, nüchtern. Denn jede Mission im Universum hinterlässt auch Müll - angefangen bei verlorenen Schraubenziehern über abgestoßene Raketenantriebe bis hin zu ganzen Satellitenwracks. All dies sei unter dem Begriff Weltraumschrott zusammengefasst, erklären Klinkrad und der Missionschef des Envisat-Beobachtungssatelliten, Frank-Jürgen Diekmann.
"Es sind vor allem die großen Teile, die langfristig Probleme bereiten", sagt Klinkrad. Denn die können Kettenreaktionen auslösen, sprich katastrophale Satelliten-Zusammenstöße hervorrufen, die wiederum andere Satelliten gefährden. Sogar kleinste Trümmer können gefährlich sein, sagt der Experte. "Wenn ein Satellit von einem Ein-Zentimeter-Objekt getroffen wird, dann können wir davon ausgehen, dass seine Funktion beendet ist." Der Einschlag hat etwa die Wucht einer explodierenden Handgranate.
Der Katalog der Ungeliebten
Im Katalog der amerikanischen Weltraumüberwachung "Space Surveillance Network" werden derzeit rund 13.000 größere Weltraumtrümmer aufgelistet. Kleinere Ein-Zentimeter-Objekte soll es gemäß Hochrechnungen mehr als 700.000 im All geben. Die meisten Fragmente entspringen Explosionen. Da drängt sich dem Laien die Frage auf, ob dieser ganze Müllberg uns nicht irgendwann wieder vor die Füße fällt. Diekmann schüttelt den Kopf: "Die Wahrscheinlichkeit, dass hier unten etwas Nichtverglühtes ankommt, ist nicht gleich null, aber sehr, sehr gering." Noch regnet es also nur in Ausnahmefällen Nutzlastmodule, Antriebsstufen oder Ähnliches. Nach Heiner Klinkrads Berechungen dürften aber jede Woche mindestens zwei Ein-Meter-Kolosse die Schranke der Erdatmosphäre passieren. Das Augenmerk der Forscher richtet sich dennoch auf den Schutz der teuren Satelliten.
Über 6000 Satelliten wurden seit 1957 ins All katapultiert, rund 1000 sind derzeit für Forschung, Militär und Telekommunikation noch in Betrieb. "Von allem, was man weiß, sind da oben nur etwa sechs bis sieben Prozent aller Objekte operationelle Satelliten", sagt Heiner Klinkrad.
Um Kollisionen mit einem der europäischen Forschungssatelliten zu verhindern, wird am Darmstädter Kontrollzentrum viel gerechnet: Die Umlaufbahnen der Satelliten werden mit dem Schrottkatalog der amerikanischen Weltraumüberwachung abgeglichen. Dadurch entsteht für eine Woche im Voraus ein Risikokalender, nach dem Ausweichmanöver geplant werden.
Den ganzen Schrott sehen können
Doch dieser Kalender hat Lücken - denn um in einem Korridor zwischen 260 und 36.000 Kilometer über der Erde kreisende Trümmer wirklich aufzuspüren, braucht es mehr als Rechenkünste. Jahrzehntelanges Know-how und ausgefeilte Radar-Messgeräte sind dafür nötig - beides haben bislang nur die Weltraumpioniere USA und Russland in ausreichendem Maße. Auch deshalb träumten Europas Raumfahrer von einem eigenen Schrott-Überwachungssystem, sagt Heiner Klinkrad: "Ohne dieses Know-how können wir keine verlässlichen Ausweichmanöver für unsere Satelliten fliegen."
Seit gut 20 Jahren hat die ESA das Thema bereits auf dem Schirm. Doch erst seit kurzem nimmt sich die aus 18 europäischen Mitgliedsverbänden zusammengesetzte Organisation auch politisch der Sache an. Schon bald sollen erste Bausteine für ein eigenes Überwachungssystem entwickelt werden. Bis aber exakte Vorraussagen wie die von Amerikanern und Russen möglich werden, dürfte das Jahr 2015 längst Geschichte sein. Und zumindest solange bleibt jede Weltraum-Rettungsaktion ein Wagnis.
Die Mehrzahl der Ausweichmanöver wird geflogen, um Satelliten vor auf sie zurasenden ein Zentimeter großen Wrackteilen zu schützen. Doch jede Veränderung der Umlaufbahn kostet Treibstoff, was die Lebenszeit heutiger Satellitengenerationen (zehn bis zwölf Jahre) beträchtlich verkürzen kann. Im März 2009 musste selbst die Internationale Raumstation ISS in einem mehrstündigen Manöver um 180 Grad gedreht werden. Der Grund: Trümmerstücke eines chinesischen Wettersatelliten kamen der bemannten Weltraumstation gefährlich nahe.
Weltraumspielchen mit Folgen
Die Trümmer entspringen einem Test, durchgeführt von der noch jungen Weltraumnation China. Die erwies der Welt am 11. Januar 2007 einen Bärendienst, als sie in großer Höhe einen ihrer Satelliten mit einer Mittelstreckenrakete zerstörte. Die Gründe dafür liegen im Dunkeln: "Dieser Abschuss erfolgte in etwa 862 Kilometer Höhe und ergab in der Summe bis heute etwa 2300 Fragmente", sagt Klinkrad. Woraus er folgert, dass "20 bis 30 Prozent aller riskanten Vorbeiflüge inzwischen aus diesem Ereignis resultieren".
Internationale Kooperationen versuchen, dem Einhalt zu gebieten: Elf Weltraumnationen haben sich in einem Weltraumschrott-Komitee zusammengeschlossen, genannt IADC (Inter-Agency Debris Coordination Committee). Weltraumschrott verbinde, sagt Klinkrad: "Es hilft nicht, Sachen geheim zu halten, die einem letzten Endes auf den eigenen Fuß fallen." Skeptisch sieht er dagegen die gegenwärtige Rechtlosigkeit im schwerelosen Raum: "Also im Moment verbietet nichts, jemandem den eigenen Satelliten abzuschießen, außer die Vernunft, würde ich sagen."
Die Beerdigungsstraße für Kommunikationswunder
Und wie wird man den alten Satelliten-Müll wieder los? Zur Entsorgung von Satelliten gibt es derzeit zwei gängige Strategien. Kreist er in einer erdnahen Umlaufbahn, dann kann er kontrolliert zum Absturz gebracht werden. Je näher ein Satellit der Erdatmosphäre kommt, desto mehr bremst ihn der Luftwiderstand. "Man kann sich Treibstoff aufheben und den Satellit dann so tief absenken, dass er von der Atmosphäre eingefangen wird und verglüht", erklärt Heiner Klinkrad.
Für viele Satelliten kommt diese Methode aber nicht in Frage, denn die kreisen 35.786 Kilometer über der Erde, auf der so genannten geostationären Umlaufbahn. Ein kontrollierter Absturz wäre da zu teuer, weswegen man die Kommunikationswunder einfach noch weiter hinaufhievt, erklärt Klinkrad: "Man hebt den kaputten Satelliten vom geostationären Ring auf eine so genannte Friedhofsbahn an." Die liegt circa 300 Kilometer über der Satelliten-Hauptverkehrsache. Und bis heute wurden dort schon rund 1000 Objekte beerdigt - zumindest geparkt.
Irgendwann könnten Klinkrad und Diekmann sich sicher auch eine Art Raumfahrtabschlepp-Service vorstellen. Doch so etwas liegt noch in weiter Ferne. Für Heiner Klinkrad dennoch kein Grund zur Sorge: "Ich würde wahrscheinlich schlechter schlafen, wenn ich in dem Satelliten säße. Aber hier am Boden geht’s."