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Plastikmüll und der Recyclingmythos

Katharina Wecker
12. Oktober 2018

Deutschland gilt als Recyclingmeister. Obwohl das Land vieles richtig macht, werden noch lange nicht so viel Plastikverpackungen wiederverwertet, wie die Zahlen vermuten lassen.

Seevögel mit Plastikmüll
Bild: picture-alliance/blickwinkel/C. Wermter

Es ist fast schon ein Volkssport in Deutschland: Mülltrennung. Papier kommt in die Blaue Tonne, Gemüseabfälle in die Braune Tonne, Verpackungsmüll in die Gelbe Tonne und der Rest in die Schwarze Tonne. Zusätzlich werden Glasflaschen in öffentlichen Sammelstellen entsorgt, Pfandflaschen im Supermarkt zurückgegeben. Die Deutschen sind stolz auf ihr Recyclingsystem. Sogar Kinderbücher erzählen von den bunten Tonnen. 

Deutschland gilt weltweit als Vorbild. Als das Recyclingsystem 1991 eingeführt wurde, war es damals international beispiellos. Anfang der 90er Jahre verpflichtete die Bundesregierung erstmals die Wirtschaft, ihre Plastikverpackungen nach Gebrauch zurückzunehmen und weiter zu verwerten. Daraufhin gründete die Industrie eine eigene Müllsammlung und Wiederaufbereitung, das "duale System" mit dem "Grünen Punkt" als Erkennungszeichen.  

Mittlerweile haben 29 europäische Länder sowie Israel und die Türkei das grüne Symbol übernommen. Noch hat es allerdings kein Land geschafft, so viel zu recyceln wie Deutschland. Das Weltwirtschaftsforum ernannte 2017 die Deutschen zu Recycling-Weltmeistern. Doch Experten halten die offiziellen Zahlen für übertrieben. Vor allem bei Plastik sei die Recyclingrate weitaus geringer. 

Als Recycelt gilt, was in der Gelben Tonne landet

Insgesamt fallen in Deutschland jedes Jahr etwa sechs Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an, davon sind circa drei Millionen Tonnen Plastikverpackungsabfälle wie Saftflaschen, Joghurtbecher und Gummibärchentüten. Laut Eurostat wurden 2015 48,8 Prozent der Verpackungsabfälle aus Plastik recycelt.

Der "Grüne Punkt" ist mittlerweile international ein Erkennungszeichen für RecyclingBild: picture-alliance/dpa/J. Eisele

Die offiziellen Recyclingquoten seien allerdings zu hoch, meint Philipp Sommer, Experte für Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe. "Wir gehen davon aus, dass die tatsächliche Recyclingrate nur etwa 38 Prozent betrug", sagte er der DW.

 Auch die europäische Lobbygruppe der Recyclingindustrie "Plastics Recyclers Europe" geht von niedrigeren Quoten aus. "Die Zahlen basieren darauf, wie viel Plastikmüll gesammelt und nicht wie viel Plastik tatsächlich recycelt wurde", sagte Antonino Furfari, Geschäftsführer der Organisation, der DW. Für die Statistik gelte alles als recycelt, was in der Gelben Tonne lande und in den Sortieranlagen ankomme. So wird in den meisten EU-Ländern gezählt.  

Doch nicht alles was gesammelt wird, wird auch recycelt. Tatsächlich gibt es in den Sortieranlagen erhebliche Verluste, weil neben Verpackungen auch häufig Hausmüll in der Gelben Tonne landet. Der muss aussortiert und anschließend verbrannt werden, wird in der Statistik aber trotzdem als "recycelt" gezählt. Plastikverpackungen, die zu verschmutzt sind, weil zum Beispiel der halbe Joghurt noch im Becher ist, werden ebenfalls aussortiert. Schwarze Plastikverpackungen werden oft von den Lasern in den Sortieranlagen nicht erkannt.

Trotz Automatisierung müssen Mitarbeiter per Hand Verpackungen aussortieren, die von den Lasern nicht erkannt werdenBild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Wenn Verpackungen aus mehreren Kunststoffarten bestehen, zum Beispiel bei Fleischverpackungen mit Schutzschichten, damit der Inhalt sich nicht verfärbt, gibt es ebenfalls ein Problem: Da nur sortenreines Plastik wiederverwertet werden kann, können die Sortieranlagen den Plastikmüll nicht zuordnen. "Es ist nicht so einfach, einen Kunststoff zu recyceln, weil die Materialvielfalt und Kombinationsmöglichkeiten sehr hoch sind. Dadurch wird die Recyclingfähigkeit eingeschränkt", sagte Franziska Krüger, Expertin für Kunststoffrecycling beim Umweltbundesamt, der DW. 

Alles was nicht recycelt werden kann, landet in Deutschland in Müllverbrennungsanlagen, um daraus Strom oder Wärme zu erzeugen. Die bei der Verbrennung von Plastik entstehenden umweltschädlichen Stoffe werden durch Filter aufgefangen. Der hochgiftige und biologisch nicht abbaubare Filterstaub wird in alten Bergwerken für die Ewigkeit eingelagert. 

Dazu kommt, dass das Plastik, das es bis in die Recyclinganlage schafft, nicht beliebig weiterverwendet werden kann. Es verliert an Qualität. Verpackungsabfälle, die Verbraucher in die Gelben Tonne werfen, werden normalerweise nicht zu neuen Verpackungen verarbeitet, sondern zu einfacheren Produkten mit geringeren Qualitätsansprüchen wie Eimer, Blumentöpfe oder Kleiderbügel. In den meisten Fällen findet ein sogenanntes "Downcyling" statt. 

Um neue Lebensmittelverpackungen herzustellen, muss deswegen immer neues Material verwendet werden. "Das ist schlecht, weil so unnötig jede Menge Ressourcen verbraucht werden und unsere Umwelt belastet wird", sagt Sommer von der Deutschen Umwelthilfe. 

"Echtes Recycling gibt es momentan nur bei Mehrwegflaschen, die über Supermärkte gesammelt werden", so Sommer. Flaschen aus dem Kunststoff PET können bis zu 25-mal wieder befüllt werden, aus Glas sogar bis zu 50-mal, bevor sie eingeschmolzen und zu Recyclingmaterial verarbeitet werden. Bei Getränken hat Deutschland das weltweit größte Mehrwegsystem, "worauf wir stolz sein können", fügt Sommer hinzu. Allerdings würden immer mehr Einwegflaschen die Mehrwegflaschen ersetzen. 

Plastik ist für die Ewigkeit

Plastik ist vielseitig einsetzbar, haltbar und günstig. Das im Jahr 1907 erfundene Material hat unsere Gesellschaft und unseren Konsum stark verändert. Lebensmittel können länger frisch gehalten werden. Plastik ist in Computern, Zahnbürsten und wasserdichter Kleidung zu finden. Auch die moderne Medizin hat sehr von Kunststoff - etwa in Form von Einwegspritzen - profitiert. 

Plastik ist sehr langlebig. Der Abbau einer PET-Flasche dauert etwa 450 Jahre. Das ist länger, als eine Schildkröte lebt.Bild: picture-alliance/Photoshot

Aber dass wir uns so sehr auf dieses Material verlassen, hat einen gewaltigen Haken. Kunststoff wandert über synthetische Textilien bis ins Trinkwasser oder gelangt über Fisch und andere Meerestiere in unsere Nahrungsketten. Jedes Jahr landen acht Millionen Tonnen Plastik in den Weltmeeren, hat die Ellen MacArthur Foundation ermittelt. Wenn wir weiterhin so viele Kunststoffe produzieren und nicht recyceln, könnte im Jahr 2050 mehr Plastik in unseren Ozeanen schwimmen als Fische. Selbst in der entlegenen Antarktis wurde bereits Mikroplastik gefunden

Das Plastikproblem dringt immer mehr in das Bewusstsein der Bevölkerung und der Politik vor. Zum Weltumwelttag 2017 riefen die Vereinten Nationen zum Kampf gegen Plastikmüll auf. Die EU-Kommission plant, Einweggeschirr, Strohhalme, Wattestäbchen und Ballonhalter aus Plastik in der Europäischen Union zu verbieten. Supermärkte experimentieren mit Laser-Etikettierungen auf Obst und Gemüse, um Plastikverpackungen zu sparen.

Doch noch wächst der Bedarf an Kunststoffverpackungen. Deutschland produziert mit 38 Kilogramm Plastikverpackungsmüll pro Kopf und Jahr mehr als der EU-Durchschnitt mit 32 Kilogramm. Spitzenreiter in Europa ist Irland mit 58 Kilogramm Plastikverpackungsmüll pro Kopf. Die Menge an Verpackungsmüll ist in den vergangenen zehn Jahren um 13 Prozent gestiegen - ein Trend, der sich weltweit abzeichnet.

Ein geschlossenes Kreislaufsystem

Trotz der Umweltprobleme sind sich die meisten Experten einig, dass Plastik aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Die große Frage ist daher eher, wie man den Verbrauch minimieren, Abfälle reduzieren und Recyclingraten erhöhen kann.

Experten und Politiker sind sich einig, die Lösung gefunden zu haben: eine geschlossene Kreislaufwirtschaft, auch Circular Economy genannt. Das Ziel dabei ist es, gar keinen oder so wenig Abfall wie möglich zu produzieren. Alle Verpackungen sollen wiederverwertbar sein und mehrmals verwendet werden können. Wie Getränkeflaschen könnten andere Produkte, alles von Nudeln bis Käse, in Mehrwegverpackungen gegen Pfand verkauft werden, so die Idee.  

Wie klimaschädlich sind Plastiktüten?

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Durch diesen Ansatz würden nicht nur weniger Plastikverpackungen auf Mülldeponien, in Verbrennungsanlangen oder in den Weltmeeren enden, sondern auch endliche Ressourcen eingespart und die Umwelt geschützt werden, sagt Mathy Stanislaus, Experte für Circular Economy am World Resource Institute. Wenn wir weiterhin so viel Plastikabfälle produzieren wie bisher, wird die Kunststoffindustrie im Jahr 2050 20 Prozent aller Erdölproduktionen in Anspruch nehmen und 15 Prozent des weltweit jährlichen CO2-Budgets verbrauchen. "In einer Kreislaufwirtschaft würden die Umwelt geschützt sowie Energie und CO2-Emissionen eingespart werden", sagte Stanislaus gegenüber der DW. 

Die Europäische Kommission hat zu Beginn des Jahres ein Kreislaufwirtschaftspaket verabschiedet. Ziel ist es, dass alle Plastikverpackungen bis 2030 recycelbar sind.  Ab Januar 2019 gilt in Deutschland ein neues Verpackungsgesetz. Es soll finanzielle Anreize für mehr recyclingfähige Verpackungen schaffen. Die Höhe der Gebühren, die Hersteller für das "duale System" zahlen, soll dann vom Gewicht und Material der Verpackungen abhängig sein. 

Bei allen Ideen seien weiterhin die Verbraucher gefordert, sagt Krüger, auch wenn Berichte über niedrige Recyclingquoten demotivierend wirken können. "Die Sortieranlagen sind darauf angewiesen, dass die Verbraucher gut vorsortieren. Es ist wichtig zu sagen, bitte helft mit, leistet euren Beitrag", so Krüger. Mülltrennumg soll Volkssport in Deutschland bleiben. 

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