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Politik

Sicherheitskonferenz in unsicheren Zeiten

Simon Young
10. Februar 2020

In München kommen diese Woche wieder Staatschefs und Strategen aus zahlreichen Ländern zusammen, um über Bedrohungen des Friedens zu sprechen. Dabei wird es auch um weltweite Machtverschiebungen gehen.

Münchner Sicherheitskonferenz Panel discussion
Bild: MSC/Guelland

Würden die Vereinigten Staaten einen NATO-Verbündeten notfalls mit Waffengewalt schützen? Sollten die EU-Länder in Verteidigungsfragen enger zusammenarbeiten? Steht die Welt vor einem "perfekten Sturm" aus Klimawandel und Sicherheitsgefahren?

Diese und andere Fragen dürften die diesjährige Sicherheitskonferenz im Münchener Hotel Bayerischer Hof beherrschen. Bei dem Jahrestreffen werden diesmal Staats- und Regierungschefs sowie Außen- und Verteidigungsminister aus mehr als 40 Ländern erwartet, außerdem Vertreter der Wirtschaft und internationaler Organisationen.

Eine weniger westliche Welt

Die globale Sicherheitslage wirkt angespannt, der Trend der vergangenen Jahre hat sich damit fortgesetzt. Die Autoren des Münchener Sicherheitsreports 2020, der jeweils den Ton der Sicherheitskonferenz bestimmen soll, sprechen von einer  "Westlosigkeit". Mit dem Kunstwort meinen sie, dass die Welt allgemein wie auch die westlichen Länder im besonderen sich ihrer Werte und ihrer strategischen Ausrichtung nicht gewiss sind.

Im Bericht steht: "Die Welt wird weniger westlich." Während die einen glauben, der Westen werde von einem "liberalen Internationalismus" bedroht, sehen es andere so, dass "gerade der Aufstieg des Illiberalismus und die Rückkehr des Nationalismus den Westen gefährden". Und während sowohl die Rechte wie die Linke mit einem Rückzug aus der globalen Verantwortung liebäugeln, meinen die Autoren: "Wenn der Westen immer mehr zögert, sich in gewalttätige ausländische Konflikte einzuschalten, heißt das nicht, dass diese Konflikte verschwinden." Sie könnten sich sogar verschärfen.

Im Hotel Bayerischer Hof in München findet auch dieses Jahr die Konferenz stattBild: MSC/Hildenbrand

Ein Beispiel: US-Präsident Donald Trump hat angedeutet, dass er die US-Truppen aus Afghanistan abziehen will, so wie er die Sondereinsatzkräfte aus Syrien bereits abgezogen hat. Auf der anderen Seite nimmt die Zahl der US-Streitkräfte in Auslandseinsätzen zu, vor allem um der angeblichen iranischen Bedrohung zu begegnen. Die Tötung des iranischen Generals Ghassem Soleimani war nur der jüngste Beweis, dass Trump bereit ist, in der Nahostpolitik auch eine militärische Konfrontation zu riskieren. Die iranische Antwort darauf war begrenzt. Doch in München wird man weiter versuchen, die Spannungen in der Golfregion abzubauen.

Die Münchener Sicherheitskonferenz ist normalerweise der beste Ort außerhalb Washingtons, um sich ein Bild vom gerade vorherrschenden außenpolitischen Denken der USA zu machen, weil in München eine ganze Reihe ranghoher amerikanischer Entscheidungsträger zusammenkommt. Neben dem Verteidigungs- und dem Außenminister werden mehrere Kongressabgeordnete erwartet. München wird ebenfalls eine Gelegenheit sein, die internationale Reaktion auf Trumps Nahost-Friedensplan zu sondieren.

Europäisches Selbstbewusstsein?

Aber vielleicht wird man sich noch mehr dafür interessieren, wie Europa mit seinen Herausforderungen umgeht - und ob es anders mit ihnen umgeht als bisher. Einige sagen voraus, dass sich Europa wegen seines wachsenden Rechtspopulismus und Nationalismus nach innen kehren und sich vom Rest der Welt ein Stück weit abwenden wird. Bei manchen Diskussionen in München wird es darum gehen, wie die Europäische Union ihren Einfluss vergrößern kann, vor allem durch mehr Zusammenarbeit bei der Verteidigung. Das Thema Migration aus dem Süden ist für Europa durch die Konflikte in Syrien und Libyen noch drängender geworden, während Russland von Osten her einen destabilisierenden Einfluss ausübt.

Ein wirklicher Friede in Libyen scheint noch fernBild: picture-alliance/Xinhua News Agency/A. Salahuddien

Viele Europäer wünschen sich, dass die EU selbstbewusster als bisher und unabhängiger von den USA als globaler Akteur auftritt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron meint, wenn Europa nicht die Sprache der Macht lerne, könne es "geopolitisch verschwinden". Sollten die USA im Nahen und Mittleren Osten passiv bleiben oder ihr Engagement dort sogar ganz aufgeben, während Russland und die Türkei in Ländern wie Syrien oder Libyen ihren Einfluss zu vergrößern suchen, dann könnte das der Anlass für eine neue Politik Europas in der Region sein, die mehr auf seine strategischen und wirtschaftlichen Interessen ausgerichtet ist.

Jetzt, da Großbritannien die EU verlassen hat und da das Prinzip kollektiver Verteidigung der NATO mitunter in Frage gestellt wird, erscheint eine Koordinierung und teilweise Zusammenlegung europäischer Verteidigungsfähigkeiten wichtiger denn je. Die Autoren des Sicherheitsreports schreiben: "Die NATO und die Europäische Union ringen mit sich. (...) Für beide bedeutet der Aufstieg des Illiberalismus in ihren Mitgliedsstaaten gewaltige Herausforderungen."

Die Frage ist aber, ob die EU-Mitgliedsstaaten zu gemeinsamen Antworten finden werden, und zwar nicht nur bei Verteidigung, sondern auch in der Außen- und Migrationspolitik. Auch das Thema EU-Erweiterung wird in München, nicht zum ersten Mal, heiß diskutiert werden, dafür dürften schon die in München stark vertretenen Staaten des westlichen Balkan sorgen.

Geopolitische Machtverschiebungen

Russland bereitet europäischen Strategen weiterhin große Sorgen. Seit der letzten Sicherheitskonferenz hatte Russland mehrere diplomatische Erfolge, darunter Präsident Macrons Appell, das Verhältnis zu Russland neu zu denken. Europa ist gespalten zwischen dem Impuls, den Dialog (und die Handelsbeziehungen) zum großen Nachbarn im Osten aufrechtzuerhalten, und der Sorge um Moskaus strategische Ziele. Im Sicherheitsreport steht dazu: "Viele Europäer sind skeptisch, ob eine stärke Konfrontation mit Russland in Europas Interesse liegt." Während einige erwarten, dass Präsident Wladimir Putin sogar zum diesjährigen G7-Gipfel in die USA eingeladen werden wird, meinen andere, man solle sich mehr auf China konzentrieren, das selbst manchmal mit Russland im Clinch liegt.

Bei zahlreichen Begegnungen im Hotel Bayerischer Hof geht es um solche globalen Machtverschiebungen, auch wenn das nicht ausgesprochen wird. 2019 gab der chinesische Präsident Xi Jinping zu verstehen, China werde gegen das vorgehen, was es als Einmischung in seinem "Hinterhof" betrachtet, nämlich im Ost- und Südchinesischen Meer.

China tritt immer selbstbewusster auf der weltweiten Bühne aufBild: Imago-Images/VCG

Jetzt liegt China in der Handelspolitik mit den USA über Kreuz und ist - zumindest vorläufig - mit dem Ausbruch des Coronavirus beschäftigt, auf den manche Länder mit Einreisesperren reagiert haben. Dazu kommt die Auseinandersetzung um Hongkong und die westlichen Sorgen um Huawei. All das zeigt, wie groß das Interesse in München an China sein wird.

Ein weiteres asiatisches Thema ist die Situation auf der koreanischen Halbinsel. 2019 traf sich Trump mit dem nordkoreanischen Staatschef Kim Jong-Un, um ihn von seinem Atomwaffenkurs abzubringen. Manche bezeichneten diese sehr persönliche Form, Politik zu machen, "Reality-TV-Diplomatie". Doch von dieser Atmosphäre ist wenig übrig geblieben. Die nordkoreanische Regierung hat gesagt, sie fühle sich nicht mehr an die Verpflichtung gebunden, keine Atomwaffen und Trägersystemen mehr zu testen. Nordkorea besitzt inzwischen sogar eine Langstreckenrakete, die die USA erreichen kann. Pjöngjang wirft den USA mangelnde Flexibilität und die Verhängung von "brutalen und unmenschlichen" Sanktionen vor. Das Thema dürfte ebenfalls in München zur Sprache kommen. Bisher werden Vertreter sowohl von Nord- als auch Südkorea erwartet.    

Die ganz großen Fragen

Die Münchener Sicherheitskonferenz bringt oft unerwartete Akzentverschiebungen und Neubewertungen hervor, und das Themenspektrum ist breit. Die diesjährige Sicherheitskonferenz ist laut dem Bericht "eine gute Gelegenheit, nicht nur die internationale Sicherheitslage im allgemeinen zu bewerten, sondern auch den Zustand speziell des Westens".

Driftet der Westen auseinander? Donald Trump und Angela MerkelBild: picture-alliance/dpa/abaca/P. Aventurier

Eine neue Welle von Straßenprotesten in nordafrikanischen Ländern hat den Ruf nach politischen Freiheiten wieder lauter werden lassen. Die kriegführenden Parteien in Libyen haben eine Feuerpause ausgerufen, dann gebrochen, doch die Hoffnung auf Frieden ist geblieben. Und wie steht es um andere Teile Afrikas, wo zwar Friede herrscht, die Menschen aber noch keinen Wohlstand genießen können?

Neben konkreten Einzelfragen gibt es das große Bild: Wie sicher sind unsere Daten? Lassen sich Klimaschutz und eine sichere Energieversorgung miteinander versöhnen? Welche Zukunft hat der Multilateralismus?

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Werte des Westens von innen wie von außen infrage gestellt werden, und wo der globale Wettbewerb der politischen und wirtschaftlichen Systeme ungebremst weitergeht, dürfte es auch diesmal in München wieder viel zu bereden geben.

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