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Politik

Olympia-Terror 1972: Vermeidbares Blutbad?

6. September 2017

Zehn Tage lang waren die Olympischen Spiele in München "heitere Spiele". Dann schlug der Terror zu. Behördenversagen und eine stümperhafte Geiselbefreiung sorgten für ein Fiasko. Lerneffekt: Deutschland schuf die GSG9.

Bildergalerie Olympia 1972 in München Bildergalerie
Bild: AP/AP/dapd

"Heiter" sollten die XX. Olympischen Spiele werden. Ein "Fest des Friedens" sollte 1972 in München gefeiert werden. Im Münchner Olympiapark sorgte schon architektonisch ein riesiges, scheinbar schwebendes Dach für Leichtigkeit. Ein gutes Vierteljahrhundert nach der Katastrophe des von Nazideutschland entfesselten 2. Weltkrieges sollte nichts an die Propagandamaschinerie der Berliner Spiele von 1936 erinnern, wollte sich ein demokratisches, modernes Deutschland der Welt präsentieren.

Zehn Tage lang waren diese Spiele tatsächlich bunt, fröhlich, heiter. Bis zum Morgen des 5. September. Da stürmen gegen 4:35 Uhr acht Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe "Schwarzer September" das Quartier der israelischen Olympiamannschaft. Ihre Forderung: Die Freilassung von 232 palästinensischen Gefangenen in Israel, der beiden deutschen Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof sowie des japanischen Linksterroristen Kozo Okamoto.

Die deutschen Verhandlungsführer tendieren zum Nachgeben. Israel lehnt das strikt ab; Premierministerin Golda Meir erklärt: "Wenn wir nachgeben, wird sich kein Israeli irgendwo auf der Welt noch seines Lebens sicher fühlen". Am Ende dieses Tages sind nach einer miserabel geplanten und katastrophal gescheiterten Befreiungsaktion elf israelische Sportler tot, fünf Terroristen sowie ein Polizist. Hollywood nimmt sich des Stoffes 2005 an, in Steven Spielbergs Politthriller "München". 

Nach dem Fiasko räumte der damalige Münchner Polizeipräsident Manfred Schreiber ein: "Wir waren von der Munition, vom Recht, aber auch von der Psyche und von der Absicht, die Spiele als friedliebende Spiele eines friedliebenden Deutschlands zu gestalten, überhaupt nicht vorbereitet."

Einer der acht Geiselnehmer: Sie wollten über 200 Palästinenser aus israelischer Haft freipressenBild: dapd

Ignorierte Warnungen

Aber: Man hätte durchaus vorbereitet sein können. Der Berliner Historiker Matthias Dahlke weist im Gespräch mit der DW darauf hin, dass die damalige Zeit überschattet war von sehr vielen Terroranschlägen: "Flugzeugentführungen gehörten beinahe zur Tagesordnung", so Dahlke. Es gab den Terror der nordirischen IRA, den der ETA in Frankreich und Spanien, in Italien bombten Rechts- und Linksterroristen und der Nahostkonflikt bot den Boden für den palästinensischen Terror.

Deshalb hatte der Münchner Polizeipsychologe Georg Sieber im Vorfeld der Olympischen Spiele mit seinem Team 26 Szenarien für Terrorangriffe entwickelt. Szenario 21 kam der Wirklichkeit beängstigend nahe, spielte einen Terrorüberfall auf israelische Sportler in den frühen Morgenstunden durch. Im Gespräch mit der DW erinnert sich Sieber, er sei nicht der Einzige gewesen, der gewarnt habe. "Es gab alle möglichen Dienste, von Amerika bis zu China, die gesagt haben: `Wir haben da was gehört und da wird etwas laufen und so´".

Vor allem gegen Polizeipräsident Schreiber erhebt der heute 82-Jährige Zeitzeuge schwere Vorwürfe. Schreiber war als Ordnungsbeauftragter des Nationalen Olympischen Komitees für die Sicherheit der Olympischen Spiele zuständig. Sieber zufolge ignorierte der Polizeipräsident eingehende Warnungen stets mit demselben Satz: "Ich zitiere Schreiber wörtlich: `Wir bekommen jeden Tag waschkörbeweise Warnungen. Wenn wir die alle bearbeiten würden, müssten wir die Olympischen Spiele um 20 Jahre verzögern´".

Georg Sieber hatte vor den Spielen auch vorgeschlagen, aus Sicherheitsgründen die Sportler nicht nach Nationen geordnet im Olympischen Dorf wohnen zu lassen, sondern nach Sportarten - "um das auseinander zu ziehen". Der Plan scheiterte am Widerstand der Sportfunktionäre.

Polizeipsychologe Georg Sieber war am 5. September 1972 in München dabei Bild: Imago/R. Kurzendörfer

Kommunikationschaos mit Live-Fernsehen.

Dermaßen unvorbereitet schlitterte das olympiatrunkene München in eine Terrorkatastrophe von internationaler Dimension. Heute, 45 Jahre später, mitten im Informationszeitalter, erscheint es absurd. Aber für Historiker Dahlke ist klar: Die unübersichtliche Informationslage war ein Hauptproblem: "Die verschiedenen Stäbe haben untereinander so schlecht kommuniziert, dass teilweise die Scharfschützen, die am Ende zum Einsatz kamen, gar nicht wussten, wie viele Terroristen überhaupt im Ziel waren - obwohl andere Stellen die Zahl genau kannten", so Dahlke.

Und Stäbe gab es viele, mit ungeklärten Zuständigkeiten: "Es gab einen politischen Stab; es gab einen polizeilichen Stab; es gab mehrere ad-hoc Gruppen, die sich zusammen gesetzt und beratschlagt haben. Das folgte natürlich überhaupt keinem Plan", so der Historiker. Erschwerend kam hinzu: Im föderal organisierten Deutschland sind die Bundesländer für die Sicherheit zuständig, damals noch mehr als heute. Der Kompetenzwirrwarr zwischen Bund und Ländern gehört zu den weiteren Ursachen für das Behördenversagen.

Zwar war mangelnde Kommunikation ein Hauptgrund für das Scheitern der Polizeiaktion. Zugleich spielten Kommunikationsunternehmen eine wichtige Rolle: Als Informationsquelle für die Terroristen. Man hatte nicht nur versäumt, ihnen den Strom abzustellen, sondern auch, die Presse aus dem Olympischen Dorf zu entfernen. So konnten die Geiselnehmer live im Fernsehen verfolgen, wie Scharfschützen rund um das israelische Quartier in Stellung gebracht wurden. Eine geplante Befreiungsaktion musste abgeblasen werden. 

Die Witwe des getöteten israelischen Fechttrainers Andre Spitzer im verwüsteten Raum der SportlerBild: dpa/picture alliance

Stümperhafter Befreiungsversuch

Zum totalen Fiasko geriet am Abend die versuchte Geiselbefreiung auf dem Militärflughafen Fürstenfeldbruck. Zum Schein waren die Behörden auf die Forderung der Terroristen eingegangen, sie mitsamt der Geiseln nach Kairo auszufliegen. In zwei Hubschraubern flogen sie zu einem wartenden Flugzeug. Nur fünf Scharfschützen der Schutzpolizei waren in Stellung, weil sie - wie von Dahlke beschrieben - nicht wussten, dass sie es mit acht Geiselnehmern zu tun hatten. Sie waren außerdem schlecht ausgerüstet, hatten keinen Sprechfunk-Kontakt und konnten sich nicht untereinander koordinieren.

Als sie auf Befehl des bayrischen Innenministers das Feuer eröffneten, begann ein zweistündiges Feuergefecht. Gepanzerte Fahrzeuge, die den Polizisten Schutz geboten hätten, trafen erst später ein. Beim Eintreffen der Fahrzeuge warf einer der Geiselnehmer eine Handgranate in einen der Hubschrauber. Die dort noch immer ausharrenden Geiseln verbrannten. Die israelischen Sportler in dem anderen Hubschrauber wurden von Kugeln durchsiebt. Drei der Attentäter überlebten. Sie wurden übrigens wenige Wochen später durch die Entführung einer Lufthansa Maschine freigespresst - was zu erheblicher Verärgerung in Israel führte.

Um das Maß an Pannen an diesem verhängnisvollen 5. September voll zu machen, erklärte Regierungssprecher Conrad Ahlers am späten Abend die Geiselbefreiung fälschlich für geglückt. Erst Stunden erfuhr die Weltöffentlichkeit von der missglückten Befreiung und dem Tod der Geiseln.

Nach eintägiger Unterbrechung und einer Trauerfeier ließ der damalige IOC-Präsident Avery Brundage die Spiele mit dem Satz "The games must go on!" weiter laufen.

Avery Brundage in München 1972: "The games must go on"Bild: AP/AP/dapd

Konsequenz: GSG 9

Die wichtigste innenpolitische Konsequenz des Attentats war die Gründung der sogenannten Grenzschutztruppe 9, kurz GSG 9, nur drei Wochen nach dem Attentat am 26. September 1972: Eine Spezialtruppe der Bundespolizei zur Bekämpfung von Terrorismus und schwerster Gewaltkriminalität. Ihre Feuertaufe hatte die GSG 9 fünf Jahre später bei der geglückten Befreiung der Geiseln aus dem entführten Lufthansa-Jet Landshut.

Personelle Konsequenzen hatte das weltweit sichtbare Versagen der Behörden nicht gehabt. Wie das Nachrichtenmagazin"Der Spiegel" im Juli 2012 berichtete, wurde bereits am 7. September vom Auswärtigen Amt die Linie vorgegeben: "Gegenseitige Beschuldigungen müssen vermieden werden. Auch keine Selbstkritik." Manfred Schreiber blieb bis 1983 Polizeichef von München und machte danach sogar weiter Karriere im Bundesinnenministerium. Polizeipsychologe Georg Sieber allerdings hat noch am 5. September seinen Dienst bei der Polizei quittiert.

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