1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Maas prangert Kriegsverbrechen in Syrien an

27. Februar 2020

Die Lage in der letzten syrischen Rebellenhochburg Idlib wird immer dramatischer. Außenminister Maas findet im UN-Sicherheitsrat klare Worte. Fast eine Million Menschen sind auf der Flucht vor Gewalt und Hunger.

New York | UN-Sicherheitsrat zu Krieg in Syrien | Heiko Mass, deutscher Außenminister
Bild: Getty Images/AFP/T.A. Clary

"Als Konfliktparteien stehen sie in der Pflicht, die Zivilbevölkerung zu schützen. Stattdessen bombardieren sie zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen. Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus sprechen niemanden von der Einhaltung des humanitären Völkerrechts frei", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas vor dem UN-Sicherheitsrat angesichts der militärischen Eskalation in der syrischen Rebellenprovinz Idlib. Sie, damit meint Maas die syrische Armee des Machthabers Baschar al-Assad und Russland. Ihr Vorgehen brandmarkte Maas deutlich: "Willkürliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung sind Kriegsverbrechen." Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, so der deutsche Außenminister weiter. Während die Deiplomaten im Sicherheitsrat debattieren, eskaliert die Lage in der Rebellenhochburg Idlib erneut, als mehr als 30 türkische Soldaten bei einem mutmaßlich syrischen Luftangriff getötet wurden. Die türkische Regierung begann umgehend mit Vergeltungsmaßnahmen.

Sicherheit finden: Zwischen den Angriffen sucht diese Familie Schutz vor weiteren BombardementsBild: picture-alliance/Anadolu Agency/M. Said

Maas rief das Assad-Regime und dessen wichtigsten Alliierten Russland auf, die dramatische Lage nicht weiter zu ignorieren. "Während wir hier sitzen, fürchten drei Millionen Zivilpersonen in Idlib um ihr Leben", sagte Maas. "80 Prozent von ihnen sind Frauen und Kinder. Wir haben sie viel zu lange im Stich gelassen." Auch Vertreter anderer Staaten verurteilten die Situation mit scharfen Worten. Die Lage "dreht einem den Magen um", sagte die US-Diplomatin Cherith Norman Chalet.
Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja wies solche Vorwürfe zurück und sagte im UN-Sicherheitsrat, dass sich Berichte über die Bombardierung von Schulen und Krankenhäusern oft auf Falschinformationen stützten.

"Kein weiteres Jahr verlieren"

In Nordwest-Syrien, insbesondere in der Region Idlib, geht die syrische Armee seit Dezember mit Unterstützung Russlands verstärkt gegen islamistische Milizen vor. Assad will deren letzte Hochburg wieder unter seine Kontrolle bringen. Die Türkei unterstützt dort islamistische Milizen. In den vergangenen Wochen konnten die syrische Armee und pro-iranische Milizen trotz einer im Januar verkündeten Waffenruhe wichtige Geländegewinne erzielen. Nach Angaben von Beobachtern gelang es Rebellen jetzt allerdings, einen strategisch wichtigen Ort zurückzuerobern. Die Stadt Sarakib hatten sie erst in diesem Monat an syrische Regierungstruppen verloren.

Der Ort liegt an zwei Verbindungsstraßen, die der oppositionellen Syrischen Nationalarmee zufolge beide unterbrochen wurden. Dazu zählt auch eine Achse zwischen der Hauptstadt Damaskus und Aleppo. Alle Angriffe seien von den syrischen Truppen abgefangen worden, meldet die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass. Die Türkei unterstützt die Rebellen und hat in der Region Idlib mehrere Beobachtungsposten. Der türkische Präsidenten Recep Tayyip Erdogan forderte einen Rückzug der Regierungsanhänger und drohte mit einem Militäreinsatz, sollte das nicht bis Ende Februar geschehen. 

Nach UN-Angaben sind seit Anfang Dezember fast 950.000 Menschen in der Region Idlib auf der Flucht vor Gewalt und Hunger. Helfer beklagen eine katastrophale humanitäre Lage. Es fehlt an Unterkünften, Lebensmitteln, Heizmaterial und medizinischer Versorgung. Hilfsorganisation sprechen vom schlimmsten Flüchtlingsdrama seit Ausbruch des Bürgerkriegs vor fast neun Jahren.

Massive Luftangriffe treffen die Männer, Frauen und Kinder in IdlibBild: picture-alliance/AA/M. Said

Die Exekutivdirektorin des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) Henrietta Fore zeichnete in der Sicherheitsratssitzung in New York ein katastrophales Bild der Lage in Syrien. In den vergangenen zwei Jahren seien 2000 Kinder in den Kämpfen getötet worden. Der Bedarf an humanitärer Hilfe übertreffe die zur Verfügung stehenden Mittel bei weitem. Fore appellierte eindringlich an die Mitglieder des Sicherheitsrats, "für die Kinder Syriens aufzustehen". "Wir brauchen unbedingt eine Waffenruhe im Nordwesten Syriens", sagte sie. "Wir können es uns nicht leisten, ein weiteres Jahr zu verlieren."

Russland lässt Hoffnung schwinden

Russlands Präsident dämpfte die Hoffnungen auf einen von Erdogan vorgeschlagenen Syrien-Gipfel, an dem auch Deutschland und Frankreich teilnehmen sollen. Erdogan wollte dort mit Putin, Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron über die Lage in Idlib reden.

"Hol uns zu dir!"

02:31

This browser does not support the video element.

Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert hatte zuletzt bestätigt, dass von einem "zeitnahen" Treffen gesprochen worden sei, ohne ein genaues Datum zu nennen. Es gebe andere Formate, bei denen Russland auf Experten-Ebene mit der Türkei über die Lage in Nordsyrien spreche, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Das Außenministerium in Moskau sah zunächst keine Notwendigkeit, über einen Vierer-Gipfel zu sprechen. "Wenn wir über bilaterale Probleme sprechen, sollten sie in einem bilateralen Format gelöst werden", sagte Sprecherin Maria Sacharowa. Gespräche dazu liefen bereits.

Bundesaußenminister Maas forderte die Bemühungen um eine politische Lösung zu verstärken. "Ein Regime, das seine eigene Bevölkerung tötet und foltert, kann nicht für dauerhaften Frieden und Stabilität in Syrien sorgen", betonte er. "Diejenigen, die weiterhin in diesem Krieg kämpfen, müssen dies endlich einsehen."

Helfer versuchen nach den Angriffen in der Region Idlib die Opfer zu bergenBild: picture-alliance/AA/M. Barade

Die Region im Nordwesten Syriens ist eines der letzten großen Rebellengebiete des Landes. Die Gegend wird von der Al-Kaida-nahen islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) dominiert. Es kämpfen dort aber auch gemäßigte Gruppen. Zudem halten sich nach Schätzungen rund drei Millionen Zivilisten in dem Gebiet auf, die bei Angriffen auf Wohngebiete in der Provinz Idlib in dieser Woche zahlreich ums Leben kamen, meldet die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" (MSF). Ärzte in Krankenhäusern hätten von 18 Toten und 185 Verletzten berichtet. "Dieser willkürliche Beschuss mit Bomben und Granaten am Dienstag kann praktisch nur von der syrischen Regierung und ihren Verbündeten ausgegangen sein", sagte Meinie Nicolai, Leiterin des Operationalen Zentrums von MSF in Brüssel. Auch zwei Schulen und zwei Kindergärten seien getroffen worden. Kritiker werfen der Armee und Russland vor, gezielt wichtige Infrastruktur zu bombardieren.

sam/AR (Afp, dpa)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen