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Politik

Chinas ungleiche Kinder

Melissa Sou-Jie van Brunnersum nsh
20. Dezember 2019

Während die Menschen in Hongkong seit Monaten demonstrieren, bleibt es in Macau, der anderen chinesischen Sonderverwaltungszone, ruhig. Das könnte auch an den unterschiedlichen Kolonialgeschichten liegen.

Macao Skyline
Blick auf das Grand Lisboa Casino und den Macau TowerBild: Imago/imagebroker

Jubiläumsfeiern in Macau

02:03

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Seit fünf Monaten demonstrieren die Menschen in Hongkong inzwischen schon für mehr Demokratie. Was als Massenprotest gegen ein umstrittenenes Auslieferungsgesetz begann, ist zu einer Bewegung geworden, die sich für mehr Unabhängigkeit von der chinesischen Regierung in Peking, gegen Polizeigewalt und für den Rücktritt von Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam einsetzt. Der zivile, in Teilen auch gewalttätige Ungehorsam der Sonderverwaltungszone Hongkong ist zu einer Herausforderung für China und das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" geworden.

Macau: Vorzeigeobjekt Pekings

Nur eine Stunde mit der Fähre von Hongkong entfernt liegt die ehemalige Kolonie Macau, die gerade das Ende der portugiesischen Kolonialzeit vor 20 Jahren feiert. Hier ist vom Aufbegehren der Nachbarn nichts zu spüren. Das halb-autonome Macau ist mit dem chinesischen Festland durch die weltgrößte Seebrücke der Welt verbunden. Oft wird die Stadt als Pekings besser erzogene Sonderverwaltungszone bezeichnet, denn bislang ist keiner der Hongkonger Proteste hier jemals herüber geschwappt. Viele fragen sich, wie Macau zum Vorzeigeobjekt der Pekinger-Regierung werden konnte, während sein Nachbar ein Symbol des Widerstands ist.  

"Die meisten Menschen in Macau stehen nicht hinter den Demonstranten, sondern hinter der Regierung von Hongkong", sagt Kin-Sun Chan, Assistenzprofessor für Verwaltungsrecht an der Universität von Macau, der DW. Angesichts der riesigen Unterschiede sei es schwierig, die beiden Sonderverwaltungsregionen direkt miteinander zu vergleichen, so Chan. "Die wirtschaftlichen Situationen von Macau und Hongkong sind sehr unterschiedlich. Macau ist noch dazu sehr viel kleiner. Deswegen ist Macau auch viel abhängiger von Festland China."

Mehrheit der Macauer fühlen sich als Chinesen

Und dann wären da auch noch die Einwohner: Während in Hongkong fast 7,5 Millionen Menschen leben, sind es in Macau gerade einmal 623.000. Und: Die meisten von ihnen wurden in Festlandchina geboren, in Hongkong sind es nur etwa 20 Prozent. "Die Mehrheit der Macauer betrachtet sich als chinesisch und hat eine starke Verbindung zu China", so Kin-Sun Chan von der Universität von Macau.

Verglichen mit der wirtschaftlichen Entwicklung Hongkongs sei Macau auch nur eine Mikroöknomoie und benötige Unterstützung aus China, so Chan. Auch wenn Macaus Pro-Kopf-Einkommen das vierthöchste der Welt ist - und damit größer als das in Hongkong -, ist seine Wirtschaftskraft doch viel kleiner. So ist Macau für sein wirtschaftliches Überleben beispielsweise auf Touristen vom Festland angewiesen. 2018 kamen 70 Prozent der Besucher aus China.

Bekannt als das Las Vegas Asiens, macht Macau mit seinen vielen Casinos ordentlich Kasse - 50 Prozent der Haushaltseinnahmen stammen aus dem Glücksspiel. Hongkong hingegen, eine Finanzmetropole in Asien, konzentriert sich mehr auf seine geschäftlichen Beziehungen mit dem Westen.

Geschichtliche Unterschiede

Der Moment der Rückgabe Macaus an China 1999Bild: picture-alliance/dpa/B. Yip

Auch im Hinblick auf ihre Geschichte unterscheiden sich die zwei chinesischen Sonderverwaltungszonen. Hongkong wurde vor mehr als 150 Jahren von den Briten kolonisiert und 1997 an China zurückgegeben. Macau stand seit 1557 unter portugiesischer Herrschaft und wurde 1999 feierlich an China zurückgegeben. Beide Kolonialmächte haben Spuren hinterlassen - nicht nur in den rechtlichen und zivilgesellschaftlichen Strukturen, sondern auch in der ideologischen und kulturellen Identität der Menschen. Lange Zeit hatten beispielsweise die Hongkonger nicht nur keinen Bezug zu Peking, sie fühlten sich den Festland-Chinesen gegenüber überlegen. Dies sei das Ergebnis eines Eurozentrismus und einer westlichen Propaganda, die mit der britischen Herrschaft gekommen wäre, sagte Yuk-Lin Wong, Professor an der Universität von York.

Unter der britischen Kolonialmacht wurden in Hongkong neue oder veränderte Glaubens- und Rangordnungen eingeführt. Schrittweise akzeptierten die Hongkonger zunächst den Liberalismus, die Rechtssprechung und später auch die Meinungsfreiheit. In Macau hingegen hatten die Portugiesen Schwierigkeiten, die Kontrolle über die Regierung zu behalten. Sie ließen Chinas kommunistische Partei schon vor der Rückgabe an Peking in Teilen mitbestimmen. Eigentlich stand Macau schon 33 Jahre vor seiner kolonialen Unabhängigkeit unter chinesischer Führung.

Gang-Kämpfe im Casino

Für Unruhe und Chaos sorgten während der Kolonialzeit sowohl in Hongkong als auch in Macau Mafia-Gruppen, bekannt als Triaden. In Macau führten die Kämpfe verfeindeter Gangs in den Casinos zu wirtschaftlichen Einbußen und Gewalt. Mit der Rücknahme beider Sonderverwaltungszonen durch China wurden auch die Triaden vertrieben. Viele Macauer betrachteten die Intervention Pekings als Wiederherstellung von sozialer Ordnung und finanzieller Stabilität. Und so gibt es bis heute nur wenig Protest in Macau gegen das chinesische Festland. 2014 gingen Menschen gegen ein Rentengesetz auf die Straße, im selben Jahr versuchten einige einen Volksentscheid gegen die Wiederwahl von Regierungschef Fernando Chui Sai-On durchzusetzen. Die Polizei setzte dem schnell ein Ende.

Ein Blick in eines der vielen Casinos MacausBild: picture-alliance/dpa/Imaginechina/Gcmt

Die Nachbarn in Hongkong sind wesentlich demonstrationsfreudiger. Spätestens seit den erfolgreichen Protesten gegen die Einführung des Schulfachs "Nationale Erziehung" 2012, haben die Hongkonger begriffen, wie wirkungsvoll die Mobilisierung von Massen sein kann. Warum funktioniert das hier, aber nicht in Macau? Kin-Sun Chan von der Universität von Macau glaubt, dass es an der Rechtsordnung der Finanzmetropole liegt, die in Bezug auf die Zivilgesellschaft und die Rechtsstaatlichkeit weiter entwickelt sei als jene von Macau. Die Menschen in Hongkong wüssten also, dass sie sich auch während einer Demonstration auf eine gewisse Ordnung und Gesetze verlassen könnten und sich sicher fühlen könnten, so Chan. Diese Rahmenbedingungen würden den Protest gegen eine autoritäre Regierung wahrscheinlicher machen.

Vereinigungen üben Druck aus

In Macau hingegen gibt es neben vielen Vereinigungen auch so etwas wie "einflussreiche Nachbarschaften", in denen vor allem Mitglieder der Pro-Peking-Elite leben. Viele Gruppierungen wie die "Macau-Wirtschaftsunion" und die "Gemeinschaftliche Gesellschaft Jiangmen" haben Sitze im Rat der Stadt. Während solche Gruppen einerseits erfolgreich auf vielen Kanälen Lobbyarbeit für benachteiligte Gruppen machten, würden sie andererseits auch Druck ausüben, so der Assistenzprofessor Chan.

Wie die Behörden in Macau zu den Protesten im benachbarten Hongkong stehen, wurde erst Anfang des Monats deutlich. Da verkündete der Sicherheitsbeauftragte der Stadt, dass Versammlungen von Studentengruppen, die Plakate mit Solidaritätsbekundungen für die Hongkonger Proteste hochhielten, als illegal betrachtet werden könnten. Im August hatte die Polizei eine Solidaritätsveranstaltung für Hongkong abgebrochen und sieben Menschen in Gewahrsam genommen.

"Es ist noch zu früh, um sagen zu können, ob Hongkong gescheitert und Macau ein Erfolg ist", sagt Kent Deng, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der London School of Economics der DW. "Wir sollten beiden noch fünf Jahre geben. Dann können wir das abschließend beurteilen." 

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