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Politik

Machen Euros aus Berlin aus Serben Nazis?

Una Sabljakovic
10. Juni 2020

Unterstützt vom Auswärtigen Amt informiert eine serbische Jugendorganisation im Internet über die Beteiligung ihres Landes an den Jugoslawienkriegen. Serbiens Außenminister und Medien reagieren mit scharfer Kritik.

Kosovo Pristina 2013 | Helm mit serbischer Flagge
Die serbische Fahne auf einem Stahlhelm aus den Balkankriegen den 1990erBild: Getty Images/AFP/A. Nimani

"Krieg in Serbien – er fand statt" steht in fetten Buchstaben auf der Website ratusrbiji.rs, mit der die serbische Nichtregierungsorganisation (NGO) "Jugendinitiative für Menschenrechte" (YIHR) gegen einen in Serbien weit verbreiteten Mythos ankämpft: Der ex-jugoslawische Staat sei nicht an den bewaffneten Konflikten der 1990er Jahre in den zuvor ebenfalls zu Jugoslawien gehörenden Nachbarländern Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo beteiligt gewesen.

Das meinen nicht nur die meisten Mitglieder der serbischen Regierungen der vergangenen drei Jahrzehnte; auch die meisten Bürgerinnen und Bürger des EU-Kandidatenstaates auf dem Balkan glauben nicht an eine Beteiligung ihres Landes an den Kriegen um (Ex-)Jugoslawien. Die Verbrechen, die dabei begangen wurden, sind den meisten Serbinnen und Serben unbekannt.

Gerade die jüngere Generation im heutigen Serbien weiß wenig bis nichts über Vukovar oder Srebrenica. Untersuchungen zufolge glauben etwa 30 Prozent der serbischen Schüler, dass ihr Land überhaupt nicht für die bewaffneten Konflikte der 1990er verantwortlich ist.

Mit ratusrbiji.rs will die YIHR Unwissen und Unglauben Fakten entgegensetzten. Die Texte auf der Webseite, die seit 1. Juni 2020 online ist, belegen auf der Grundlage von Dokumenten, Recherchen und Gerichtsurteilen, dass die Jugoslawienkriege auch in Serbien stattgefunden haben - und dass der serbische Staat aktiv an den Kämpfen in Kroatien, Bosnien und Kosovo beteiligt war.

Petrovo Selo, Ostserbien, 21. Juli 2001: Nach forensicher Untersuchung wurden die sterblichen Überreste von 77 Kosovo-Albanern, die in einem Massengrab in Serbien gefunden worden waren, individuell bestattet Bild: Getty Images

Massengräber, Gefangenenlager, Paramilitärs

Auf ihrer vom deutschen Außenministerium unterstützten Webseite erinnert die 2003 gegründete Nichtregierungsorganisation YIHR unter anderem daran, dass die serbischen Behörden Massengräber versteckt hielten, in denen im Kosovo-Krieg (1998-99) getötete Albaner verscharrt wurden; dass es in Serbien während der Kriege in Kroatien (1991-95) und Bosnien (1992-95) Lager für gefangene Kroaten und Bosniaken (muslimische Bosnier) gab; und dass die serbische Armee eng mit serbischen paramilitärischen Einheiten zusammenarbeitete, die erwiesenermaßen Kriegsverbrechen begingen.

Auch die internationale juristische Aufarbeitung der schweren Menschenrechtsverletzungen der 1990er Jahren auf dem Balkan durch das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien der Vereinten Nationen (ICTY) in Den Haag wird gewürdigt. Dabei machen die serbischen Menschenrechts-Aktivisten deutlich, dass einige ehemalige ICTY-Angeklagte heute aktiv am politischen Leben Serbiens teilnehmen, etwa Vojislav Šešelj, der Mitglied des serbischen Parlaments ist.

Der serbische Ultra-Nationalist und Parlamentsabgeordnete Vojislav Šešelj verbrennt eine kroatische FahneBild: Getty Images/AP/A. Stankovic

Ein Versuch, Kriegsverbrechen zu instrumentalisieren?

Diese kritischen Einblicke in die Vergangenheit und die Gegenwart Serbiens gefallen nicht allen im Land. Kurz nach dem Launch der YIHR-Website erklärte Außenminister Ivica Dačić, während der Jugoslawienkriege Funktionär der damals regierenden Sozialistischen Partei, "Krieg in Serbien" sei ein Versuch, Kriegsverbrechen aus den 1990ern für die heutige Politik zu instrumentalisieren.

Kurz darauf veröffentlichte die Zeitung "Večernje Novosti", die 1990er Jahren offen auf der Seite des damaligen Regimes in Serbien stand, einen Beitrag unter dem dem Titel "Mit Euros aus Berlin machen sie aus Serben neue Nazis: Eine neue Webseite wimmelt von Lügen". Darin kritisiert Dačić die Unterstützung des deutschen Außenministeriums für "Krieg in Serbien" - und forderte, die westlichen Botschaften in Serbien sollten lieber Projekte über das Leid der aus Kroatien und Kosovo vertriebenen Serben unterstützen. YIHR sei nur darauf aus, unter Einsatz einer "gut etablierten Matrix über die serbische Schuld" an ausländische Gelder heranzukommen.

Im Lager Begejci in der Nähe der serbischen Stadt Zrenjanin wurden während der Jugoslawienkriege Kroaten inhaftiertBild: YIHR

Es gibt nicht nur eine Wahrheit

Die deutschen Botschaft kommentierte diese Vorwürfe auf Anfrage der Nachrichtenagentur "Tanjug" so: "Angesichts der beispiellosen, schrecklichen Verbrechen, die die Deutschen während des Zweiten Weltkriegs hier in Serbien begangen haben, halten wir es als deutsche Botschaft für äußerst wichtig, sich mit allen Aspekten der Geschichte auseinanderzusetzen."

Es sei zudem wichtig ist zu verstehen, dass es zu jedem historischen Ereignis verschiedene subjektive Erinnerungen und Wahrheiten gibt. Die Webseite ratusrbiji.rs sei ein wertvoller Beitrag zur Debatte über die Kriege im ehemaligen Jugoslawien.

Serbiens heutiger Außenminister Ivica Dačić spricht im Jahr 2007 bei einer Gedenkfeier für Slobodan Milošević, den 2006 in Den Haager Haft verstorbenen Präsidenten Serbiens während der Balkankriege der 1990er Bild: AP

Fokus: Serbien heute

Außenminister Dačić und "Večernje Novosti" sind nicht die einzigen Stimmen in Serbien, die das YIHR-Projekt scharf kritisieren. Die regierungsnahe Boulevardzeitung "Informer" monierte unter der Schlagzeile "Schändlicher Schritt der Jugendinitiative für Menschenrechte: Veröffentlichung einer Karte von Serbien ohne Kosovo" dass auf der Landkarte auf ratusrbiji.rs, wo die Orte der in den 1990er Jahren begangenen Verbrechen markiert sind, der seit 2008 unabhängige Staat Kosovo fehlt.

"Unser Fokus lag auf den Orten auf dem Territorium des heutigen Serbiens, wo in den 1990ern Verbrechen begangen wurden. Darunter sind auch die, wo die Leichen von über 900 Zivilisten aus dem Kosovo versteckt wurden", erklärt YIHR-Aktivist Marko Milosavljević im DW-Gespräch.

Marko Milosavljević, Aktivist der serbischen "Jugendinitiative für Menschenrechte" (YIHR) Bild: Privat

Respekt und Strafe

"Als Generation junger Menschen, die mit der Last dieser Verbrechen aufgewachsen sind, sprechen wir nicht Kategorien kollektiver Schuld oder des kollektiven Opfers einer Nation an", so Milosavljević weiter. "Es geht um Respekt für die Opfer, unabhängig von ihrer Nationalität."

Aber YIHR fordere auch, dass Individuen, die Verbrechen begangen haben, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. "Minister Dačićs Kommentar ist eine Verteidigung der Verbrechen, die vom serbischen Regime in den 1990ern begangen wurden", sagt Aktivist Milosavljević. "Dazu passt, dass die gegenwärtige Regierung viele verurteilte Kriegsverbrecher als Helden feiert und politisch unterstützt."

Una Sabljakovic Autorin DW Serbisch
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