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Politik

Macron bescheinigt der NATO den "Hirntod"

7. November 2019

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat den Zustand der NATO scharf kritisiert und die Bündnis-Loyalität der USA infrage gestellt. Europa müsse seine militärische Souveränität wiedergewinnen, forderte Macron.

UN-Klimagipfel New York | Emmanuel Macron, Frankreich
Bild: Reuters/C. Allegri

Wenige Wochen vor dem NATO-Jubiläumsgipfel zum 70-jährigen Bestehen hat der französische Staatspräsident Emmanuel Macron dem Militärbündnis ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. "Was wir derzeit erleben, ist der Hirntod der NATO", sagte Macron der britischen Zeitschrift "The Economist". Es gebe "keinerlei Koordination bei strategischen Entscheidungen zwischen den USA und ihren NATO-Verbündeten".

"Wir finden uns das erste Mal mit einem amerikanischen Präsidenten wieder, der unsere Idee des europäischen Projekts nicht teilt", sagte Macron mit Blick auf Donald Trump und den Truppenabzug der USA aus dem Norden Syriens ohne vorherige Konsultation der Verbündeten. Operativ funktioniere die Zusammenarbeit zwar gut. Man sollte die Realität der NATO im Lichte des Engagements der Vereinigten Staaten aber neu bewerten.

Zugleich zeige das NATO-Mitglied Türkei ein "unkoordiniertes, aggressives" Vorgehen in einem Bereich, in dem die Sicherheitsinteressen aller berührt seien. Damit spielte er auf die türkische Militäroffensive gegen die Kurden in Nordsyrien an, die bei den Verbündeten auf massive Kritik gestoßen ist.

Kein Verlass auf USA?

Macron warnte zudem die europäischen Länder, dass diese sich nicht mehr auf die USA verlassen könnten. In dem Gespräch, das nach Angaben des Magazins bereits Ende Oktober geführt wurde, antwortete der Präsident auf die Frage, ob der Beistandsartikel fünf des Bündnisses angesichts der türkischen Offensive noch Bestand habe: "Ich weiß es nicht." Wenn der syrische Staatschef Baschar al-Assad beschließe, "Vergeltung an der Türkei zu üben, werden wir uns dazu bekennen?", fragte Macron.

Artikel fünf besagt, dass ein Angriff auf ein NATO-Mitglied einem Angriff auf alle gleichkommt und die Partner dem betroffenen Land beispringen müssen. Er kam in der Geschichte des Bündnisses erst einmal zur Anwendung: Nach den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 und dem anschließenden Militäreinsatz der Allianz in Afghanistan.

Europa muss aufwachen

Europa stehe am Rande des Abgrunds und laufe Gefahr, nicht mehr selbst über sein Schicksal bestimmen zu können, betonte Macron. Es müsse aufwachen und sich selbst mehr um seine eigene Verteidigung kümmern. Zudem müsse Europa seine militärische Souveränität wiedererlangen, forderte der Präsident in dem Interview. Die internationale Sicherheitslage und die aufstrebende Macht China hätten zu einer "außergewöhnlichen Schwäche Europas" geführt. "Wenn Europa sich nicht als Weltmacht sehen kann, wird es verschwinden", warnte Macron.

Merkel widerspricht Macron

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Vorwurf Macrons, die NATO sei "hirntot", mit deutlichen Worten zurückgewiesen: "Diese Sichtweise entspricht nicht meiner." Ein Rundumschlag wie der Macrons sei nicht nötig, auch wenn sich die NATO-Partner zusammenraufen müssten. Europa müsse sein Schicksal etwas mehr in die eigenen Hände nehmen, aber das transatlantische Bündnis sei unabdingbar.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte unterdessen davor, einen Keil zwischen die USA und Europa zu treiben. "Jeglicher Versuch, Europa von Nordamerika zu distanzieren, wird die transatlantische Allianz nicht nur schwächen", sagte er in Berlin. "Er birgt auch das Risiko, Europa selbst zu spalten." Europäische Einheit könne "die transatlantische Einheit nicht ersetzen".

Derweil sagte die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin, die NATO bleibe "der Anker der Sicherheit Europas". Gemeinsames Ziel sei "ein handlungsfähiges Europa" und keine "Konkurrenz", wie sie unter Anspielung auf die USA betonte.

Graf Lambsdorff widerspricht

Beim FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff stießen Macrons Äußerungen zur NATO auf Widerspruch. Macron klinge fast schon wie US-Präsident Donald Trump, sagte er. Natürlich führe das schwache Auftreten der USA zu einem Führungsvakuum im Bündnis. Diese aber als "hirntot" zu bezeichnen, verschärfe Zweifel und stoße keine Debatte über neue Ideen für das Verteidigungsbündnis an. "Die NATO ist und bleibt Garant der europäischen Sicherheit. Auch die französische Force de Frappe ersetzt den amerikanischen Nuklearschirm nicht", unterstrich der FDP-Politiker.

Er stellt sich gegen Macron: der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf LambsdorffBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Aus dem Umfeld Macrons verlautete, der Präsident habe mit dem Interview "nicht die NATO in ihrer Gesamtheit in Frage stellen wollen, wohl aber die Strategie und Politik der Institution". Der Jubiläumsgipfel des Bündnisses findet am 3. und 4. Dezember in London statt. Die Vereinigten Staaten sind das größte der 29 Mitgliedsländer und tragen mehr zum Budget der NATO bei als alle anderen zusammen.

Frankreich hat ein spezielles Verhältnis zur NATO: Das Land war 1949 zwar Gründungsmitglied, zog ich aber nach dem Aufstieg zur Atommacht 1966 aus der militärischen Integration zurück, weil Präsident Charles de Gaulle keine Unterordnung seiner Truppen unter US-Kommando akzeptieren wollte. Erst unter Präsident Nicolas Sarkozy wurde das Land 2009 wieder vollständig in die Nato integriert.

kle/uh (afp, dpa, rtr, ape)  

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