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Politik

Macron in der Klemme

Andreas Noll
11. Dezember 2018

Sie hatten für mehr Kaufkraft und einen Politikwechsel demonstriert. Jetzt kommt Emmanuel Macron den Gelbwesten entgegen. Doch es ist unwahrscheinlich, dass Frankreichs Präsident das Land dauerhaft beruhigen kann.

Emmanuel Macron Rede an die Nation
Bild: Reuters/L. Marin

Dreizehn Minuten haben sie ihrem Präsidenten zugehört, dann macht sich bei vielen Gelbwesten Ernüchterung breit. "Das reicht nicht", diktieren sie nach der Fernsehansprache von Emmanuel Macron den Journalisten selbstbewusst in die Mikrofone. Nach vier Wochen des Massenprotestes haben viele Wutbürger die Erfahrung gemacht, dass ihre Forderungen in Paris plötzlich Gewicht haben - und offensichtlich Geschmack auf mehr bekommen.

Der Präsident selbst hat in seiner Rede eine rhetorische Verbeugung vor den Sorgen und Nöten seiner Landsleute gemacht. Er übernehme einen "Teil der Verantwortung", so Macron, und er bat die Franzosen um Entschuldigung für "verletzende Worte". Um dann eine Liste von Maßnahmen zu verkünden, die innenpolitischen Druck aus dem Kessel nehmen sollen, aber der Regierung auf europäischer Bühne neue Schwierigkeiten machen dürften.

Mit der Anhebung des Mindestlohns noch nicht zufrieden: Gelbwesten schauen die Rede des Präsidenten im FernsehenBild: Reuters/S. Mahe

Eine Neuverschuldung von 2,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hatte Paris für 2019 nach Brüssel gemeldet - die neuen Zusagen sollen den Staatshaushalt mit weiteren zehn Milliarden Euro jährlich belasten. Das Defizit könnte dadurch auf bis zu 3,5 Prozent steigen und damit die Maastricht-Kriterien deutlich verfehlen. Dabei war Macron mit dem Anspruch in seine Amtszeit gestartet, endlich die EU-Regeln einzuhalten.

Teure Geschenke an die Bürger

Im Einzelnen plant die Regierung eine Anhebung des Mindestlohns um 100 Euro zum 1. Januar. Mit einem Netto-Mindestlohn von 1185 Euro pro Monat garantiert der französische Staat allerdings schon heute einen der höchsten Mindestlöhne in der OECD. Wirtschaftswissenschaftler hatten Macron und seinen Premier Edouard Philippe zuvor vor einer weiteren Erhöhung gewarnt. Der Präsident verspricht nun, dass die Arbeitgeber durch die deutliche Lohnerhöhung für rund 1,6 Millionen Arbeitnehmer nicht zusätzlich belastet würden - und macht eine komplizierte Rechnung auf.

Welche politische Kraft kann die Revolte der Gelbwesten noch entfalten? Bild: picture-alliance/NurPhoto/R. Carre

Bereits vor einigen Tagen hatte die Regierung eine Mindestlohnerhöhung um 1,8 Prozent versprochen - was gut 20 Euro entspricht. Durch sinkende Sozialabgaben kommen weitere 20 Euro hinzu. Eine für die kommenden Jahre in Schritten geplante Erhöhung des staatlichen Zuschusses für Familien mit besonders niedrigem Einkommen wird nun auf den 1.1.2019 vorgezogen - das sind die fehlenden 60 Euro. Ob diese Erhöhung, von der am Ende je nach Familiensituation auch nicht alle Mindestlohnempfänger profitieren, die Gemüter nachhaltig beruhigt, ist allerdings fraglich. Die ersten Reaktionen auf Seiten der Gelbwesten klangen jedenfalls nicht danach.

Botschaft an die Rentner

Die Mittelschicht soll von einer neuen Überstunden-Regelung profitieren. Demnach fallen in Zukunft auf Überstunden weder Sozialabgaben noch Steuern an. Der konservative Präsident Nicolas Sarkozy hatte dies in seiner Präsidentschaft erstmals eingeführt, sein Nachfolger François Hollande mit dem Kabinettsmitglied Macron aber wieder abgeschafft.

Eine dritte Maßnahme richtet sich an die vielen wütenden Rentner, die seit Monaten über die Erhöhung der Sozialsteuer (CSG) klagen. Diese Erhöhung wird für Renten von weniger als 2000 Euro (Durchschnittsrente in Frankreich: rund 1400 Euro) wieder rückgängig gemacht.

Wichtige Wählerklientel: Mit der Rücknahme der Sozialsteuererhöhung will Macron die Wut der Rentner zähmenBild: picture-alliance/Rainer Hackenberg

Begehrlichkeiten geweckt

Die politische Elite Frankreichs ist sich in ihrem Urteil uneins über die Pläne. Während einzelne Vertreter der Opposition nun für ein Ende der Proteste werben, sieht dazu Macrons großer Gegenspieler von der extremen Linken, Jean-Luc Mélenchon, keinen Grund. Er vertraut darauf, dass aus einer sozialen Bewegung längst eine politische geworden ist, die den Präsidenten selbst zum Ziel hat.

Während am Anfang die von der Regierung geplanten Öko-Steuererhöhungen im Zentrum der Forderungen standen, geht es vor allem der radikalen Fraktion der Gelbwesten längst um die Präsidentschaft von Emmanuel Macron, den sie als "Präsidenten der Reichen" verunglimpfen. Dass er die von den Gelbwesten geforderte Wiedereinführung der Vermögenssteuer ablehnt, passt für die Demonstranten in dieses Bild. Vor allem daran entzündet sich massive Kritik.

Heizt die Stimmung an: Linksextremist Jean-Luc Mélenchon von La France Insoumise (Das unbeugsame Frankreich)Bild: Getty Images/AFP/C. Simon

Da die Gelbwesten über keine einheitliche Führung verfügen und sich lose über das Internet koordinieren, ist ein Ende der Proteste ohnehin nicht von heute auf morgen zu erwarten. Das unterscheidet diesen Aufruhr von früheren Eruptionen, die noch von den Gewerkschaften kontrolliert werden konnten.

"Rettet den Soldaten Macron"

Doch Macron musste in seiner Rede nicht nur eine Antwort finden auf Verteilungsfragen, die in Frankreich immer massiver gestellt werden. Die Bewegung der Gelbwesten, analysiert der Frankreich-Forscher Henrik Uterwedde, habe auch den Regierungsstil Macrons thematisiert. "Das ist eine Kehrseite dieses französischen Regierungssystems und der Präsidenten, dass die Macht sehr stark oben konzentriert ist und oft der Eindruck erweckt wird, als ob die Präsidenten alleine wissen, was dem Land gut tut. Die Präsidenten versuchen dann, von oben dieses Land zu verändern - ohne ausreichend Rückkopplung mit der Gesellschaft, mit Gewerkschaften, mit Verbänden oder auch mit den Parteien und den Kommunen." 

Die Kluft zwischen Paris und der Provinz verringern: Macron wirbt für einen "neuen Vertrag der Nation"Bild: Reuters/S. Mahe

Macron verspricht nun mehr politische Mitsprache für die Bürger - auch unabhängig von den alle fünf Jahre stattfindenden Wahlterminen für die Parlaments- und Präsidentenwahlen. Dafür will er den Kontakt zu den Bürgermeistern der mehr als 35.000 Städte und Gemeinden suchen und mit ihrer Hilfe einen "neuen Vertrag der Nation" entwickeln. Das sind neue Töne eines Präsidenten, der zum Missfallen der Kommunalpolitiker dem Jahreskongress der Bürgermeister vor drei Wochen noch ferngeblieben war.

Wie weit Macron bei der Reform des politischen Systems gehen will, ist einstweilen offen. Ob die Reform die immer größeren Verteilungskonflikte befrieden kann, ebenfalls. Unter französischen Publizisten kursiert schon lange die Angst, dass ein Scheitern des sozial-liberalen Präsidenten den Extremisten den Weg an die Macht ebnen könnte. Wie groß diese Sorge ist, zeigt ein flammender Appell des liberalen Essayisten Nicolas Baverez: "Rettet den Soldaten Macron" betitelte er seinen Text über den in höchste Not geratenen Präsidenten.

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