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Politik

Macron und Merkel besuchen Compiègne

Barbara Wesel
10. November 2018

Compiègne, wo 1918 das Ende des Ersten Weltkrieges besiegelt wurde: Mit ihrem Treffen dort erinnern Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Macron auch an die Geschichte der Neuanfänge in der deutsch-französischen Politik.

Merkel und Macron Gedenkstätte Compiegne Erster Weltkrieg | Waffenstillstand 1918
Bild: Getty Images/AFP/A. Jocard

Dieser Nachmittag an der Gedenkstätte im Wald von Compiègne und das Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel müssen für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron eine Erleichterung gewesen sein - nach seinem explosiven Termin mit Donald Trump am Morgen. Der US-Präsident hatte sich per Twitter über ein Interview von Macron aufgeregt, in dem Frankreichs Staatschef Selbstständigkeit für die europäische Verteidigungspolitik gefordert hatte. Mit Mühe konnte ein tieferer Eklat verhindert und die Fassade eines freundschaftlichen Besuches aufrechterhalten werden, wie das gemeinsame Gedenken an das Ende des Ersten Weltkrieges es verlangt.

Compiègne ist Symbol für Revanche und Versöhnung

Der Eisenbahnwaggon in der Waldlichtung von Compiègne, wo am 11. November 1918 der Waffenstillstandsvertrag zur Beendigung des Krieges unterschrieben wurde, ist nicht das Original. Denn der historische holzgetäfelte Salonwagen, in dem damals Matthias Erzberger für die entstehende deutsche Republik und der französische Feldmarschall Ferdinand Foch als Vertreter der Siegermächte zusammentrafen, blieb damals Symbol für den tödlichen Kampf zwischen beiden Ländern.

In einem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne wurde am 11. November 1918 der Waffenstillstand unterschriebenBild: picture-alliance/dpa

Die Franzosen hatten den Waggon nach Kriegsende nach Paris gebracht, wo er als Siegestrophäe ausgestellt wurde. Gerade zwei Jahrzehnte später benutzte Adolf Hitler ihn dann, um am 21. Juni 1940 im Zweiten Weltkrieg eine französische Delegation ihrerseits den Waffenstillstand gegenüber der deutschen Armee unterzeichnen zu lassen. Im Anschluss ließen die Deutschen den Wagen nach Berlin überführen und im Lustgarten ausstellen, um wiederum den Sieg über Frankreich zu feiern. Am Ende des 2. Weltkrieges dann wurde der Waggon im alliierten Bombardement zerstört. Heute steht in Compiègne an der Gedenkstätte ein baugleiches Modell.

Dieses historische Detail zeigt, wie kompliziert die Geschichte zwischen Deutschland und Frankreich ist - mit ihrem Wandel von Revanche zur Versöhnung. Für Frankreich ist der Erste Weltkrieg immer noch "La grande guerre", der große Krieg in dem 1,4 Millionen französische Soldaten starben. Für Deutschland überlagern Schrecken und Schuld des Zweiten Weltkrieges das Inferno von 1914 bis 1918, das überwiegend auf französischem Boden ausgetragen wurde. In jedem französischen Dorf finden sich noch heute Kriegerdenkmäler mit den langen Listen der Gefallenen.

Gemeinsam die Zukunft gewinnen

Emmanuel Macron erinnerte schon zu Beginn seiner "Tour de Guerre", seiner Reise an die Gedenkorte und Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges, an die Gefahren der Gegenwart: "Wir erleben einen Moment, der der Zeit zwischen den Kriegen ähnelt". Er meint dabei den wieder aufsteigenden Nationalismus in Europa, wo neue Opfermythen gepflegt werden, die Ausgrenzung von Minderheiten und sogar die Fratze des Antisemitismus zurückkehren.

Die Kopie des historischen Waggons; Symbol von Revanche und Versöhnung Bild: picture-alliance/dpa/C. Böhmer

An diesem Sonnabend in Compiègne besteht die Ehrenformation aus dem deutsch-französischen Korps - denn Ansätze für die vom Präsidenten geforderte gemeinsame europäische Verteidigung gibt es ja längst, nur fehlt die konsequente Fortsetzung der Idee. Die Soldaten beider Länder spielen beide Nationalhymnen und die Regierungschefs enthüllen einen Gedenkstein, auf dem anlässlich dieses besonderen Gedenktages "die Bedeutung der deutsch-französischen Aussöhnung im Dienste Europas und des Friedens" bekräftigt wird.  

Schließlich signieren Merkel und Macron gemeinsam das Goldene Buch, das im Inneren des Waggons an der Gedenkstätte ausliegt. Und ein Kinderchor intoniert noch einmal die französische Hymne mit ihrem historischen blutrünstigen Text in einer Nachdichtung, die in einem neuen Refrain endet:"… kein Krieg mehr für unsere Kinder", heißt es nun. Alles ist sehr freundschaftlich und sehr symbolgeladen.

Eine Geschichte der vielen Anfänge

Jeder Schüler lernt in Deutschland die Wegmarken der deutsch-französischen Versöhnung im Geschichtsunterricht: 1963 der Elyséevertrag zwischen Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, mit dem Freundschaft und Zusammenarbeit beider Länder besiegelt wurden. 1984 das Treffen von François Mitterand und Helmut Kohl in Verdun, wo beide Politiker sich plötzlich die Hände reichten, angesichts des Gemetzels auf diesen Schlachtfeldern.

Zeichen der Versöhnung - Mitterand und Kohl reichten sich 1984 in Verdun die HändeBild: ullstein bild/Sven Simon

Seitdem wird beschworen, wie wichtig die Zusammenarbeit beider Länder für die Zukunft Europas ist und die Freundschaft wurde institutionalisiert, vom Schüler- bis zum Parlamentarieraustausch. Dennoch schien die Gemeinsamkeit immer wieder in der Alltagspolitik zu versacken, gibt es alle paar Jahre die rituelle Aufforderung, doch bitte den deutsch-französischen Motor wieder in Gang zu bringen. 

Die Ursachen dafür liegen wohl auf beiden Seiten. Zuletzt aber war dieser Mechanismus nach der Wahl Emmanuel Macrons zu beobachten, der Europa in den Mittelpunkt seiner Politik stellen und mit Reformideen nach vorn stürmen wollte. In Berlin stieß er damit zwar auf freundliche Worte aber politisches Desinteresse und zögerliche Reaktionen.

Deshalb fordern einige deutsche Politiker längst einen neuen Impuls für eine stärkere Partnerschaft, wie etwa der FDP-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff. Hundert Jahre danach reiche es nicht, "der europäischen, insbesondere deutsch-französischen Katastrophe nur zu gedenken". Er fordert, dass Deutschland die ausgestreckte Hand Macrons jetzt ergreifen und mit Paris eine gemeinsame Politik bei Migration, Klimaschutz oder Verdeidigung in der EU entwickeln solle. Hier hat Angela Merkel noch Meinung vieler Kommentatoren noch Raum, ihr europäisches Vermächtnis zu definieren. 

Freundlicher Blick auf die Nachbarn

Wurde deutschen Besuchern besonders in Nordfrankreich vor einigen Jahren noch öfter das Schimpfwort "Boches" hinterher gezischt, hat sich das Meinungsbild inzwischen gewandelt: Nach Umfragen mögen 62 Prozent der Franzosen die deutsche Bundeskanzlerin und rund 80 Prozent haben ein gutes Bild von Deutschland. Darin mischt sich durchaus auch etwas Neid für den wirtschaftlichen Erfolg der Deutschen.

Präsident Macron versucht, mit seinen Reformen nicht zuletzt an dieses Vorbild anzuknüpfen. Das aber nehmen ihm viele Franzosen wiederum derzeit übel, weil sie sich nicht genug gehört und einbezogen fühlen. Da hilft vielleicht der Blick zurück auf die Fußballweltmeisterschaft, wo der Sieg Frankreichs das Selbstbewusstsein der Nation aufgerichtet hatte und Deutschland schmählich in der Vorrunde ausgeschieden war. Im größeren Rahmen nachbarschaftlicher Beziehungen kann so etwas manchmal nützlich sein.