1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Macrons Bewährungsprobe

28. Juni 2017

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit will der französische Präsident Emmanuel Macron eine umstrittene Arbeitsmarktreform umsetzen - per Dekret. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.

Frankreich Paris Amtseinführung Emmanuel Macron
Bild: Reuters/F. Mori

Was bedeutet diese Reform für Macron?

Sie ist sein erstes großes innenpolitisches Vorhaben und wegen der erwarteten Konflikte auch seine erste Bewährungsprobe. Deshalb hat er sie gleich an den Beginn seiner Amtszeit gesetzt. Besteht er sie, wird er mit größerer Autorität weiterregieren können; verliert er den Konflikt mit den Gewerkschaften, stünde seine Amtszeit gleich unter einem schlechten Stern. Er wäre angeschlagen, noch bevor er richtig angefangen hat. Macron war mit dem Plan einer Arbeitsmarktreform bereits in den Wahlkampf gegangen; niemand kann also überrascht sein.

Warum ist die Reform so wichtig?

Die Arbeitslosigkeit in Frankreich liegt seit Jahren bei knapp zehn Prozent. Sie ist etwa doppelt so hoch wie in Deutschland und belastet die Sozialkassen und das gesellschaftliche Klima schwer. Gerade die strukturelle Arbeitslosigkeit ist hoch, also die, die unabhängig von der aktuellen Konjunktur ist und nur durch strukturelle Reformen abgebaut werden kann. Die im Vergleich zu anderen westlichen Industrieländern sehr weit gehenden Arbeitnehmerrechte in Frankreich gelten als Hindernis für Einstellungen und Wachstum. Daher will Macron die Regeln lockern. Er will damit aber auch bei seinen europäischen Partnern Vertrauen in seine Reformfähigkeit schaffen, um Unterstützung für seine Umbaupläne der Eurozone zu bekommen.

Die Begeisterung war groß, aber hält sie an, wenn sich Emmanuel Macron unbeliebt macht?Bild: Imago/IP3press/M. Awaad

Worum genau geht es?

Unternehmer sollen einen Anreiz bekommen, Beschäftigte einzustellen, indem sie sie auch leichter wieder entlassen können. Dazu soll das Arbeitsrecht flexibler werden. Um Rücksicht auf die besondere Situation einzelner Betriebe zu nehmen, sollen mehr Tarifverträge auf Betriebsebene geschlossen werden statt für ganze Branchen. Nicht angetastet wird allerdings die 35-Stunden-Woche, die aus Sicht der Arbeitgeber und zahlreicher konservativer Politiker ebenfalls abgeschafft werden sollte. Daran scheint sich Macron nicht heranzutrauen.

Warum die Form eines Dekretes?

Das geht schneller als auf dem üblichen parlamentarischen Weg mit seinen Ausschussberatungen, Plenardebatten und Änderungsanträgen. "Das bedeutet aber nicht, dass die Regierung diktieren kann", sagt Julie Hamann, Frankreich-Expertin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Die Nationalversammlung bleibt nicht völlig außen vor. Zunächst muss sie der Regierung eine Art Vollmacht erteilen, Dekrete zu den Vorhaben zu verfassen. Nach deren Einführung stimmt das Parlament noch einmal darüber ab, ob es das Gesetzespaket insgesamt annimmt oder nicht. Wenn ja, wird die Initiative endgültig Gesetz. Die Abgeordneten haben aber keinen Einfluss auf Details.

Die Zustimmung gilt angesichts Macrons Mehrheit im Parlament als sicher. Die Form des Dekrets ist zwar umstritten – die Gewerkschaft CGT spricht von "Verweigerung der Demokratie". Gleichzeitig sind Dekrete in Frankreich aber nichts Ungewöhnliches und in Artikel 38 der französischen Verfassung verankert. Verschiedene Präsidenten haben diese Form der politischen Arbeit immer wieder gewählt. "Das Ganze findet immer noch unter einer starken Kontrolle statt", sagt Julie Hamann. Macron müsse dabei auf einem "schmalen Grat" wandern; er könne durch Dekrete ein Gesetz relativ schnell durchbringen, müsse aber darauf achten, nicht das Vertrauen zu verlieren.

Macrons Gegner Melenchon: "Wir werden keinen Fußbreit nachgeben"Bild: Picture-Alliance/dpa/S. Kunigkeit

Wie groß ist der Widerstand?

Als sich Macrons Vorgänger François Hollande 2016 an eine bescheidenere Arbeitsmarktreform machte, gingen Hunderttausende auf die Straße. Raffinerien mussten schließen, an den Tankstellen bildeten sich lange Schlangen. Das könnte einen Vorgeschmack auf das bieten, was Macron möglicherweise bevorsteht. Während die gemäßigte Gewerkschaft CFDT Streiks nur als letztes Mittel bezeichnet hat, sieht die linksradikale CGT die Reform als Angriff auf hart erkämpfte Arbeitnehmerrechte und hat für den 12. September zu landesweiten Streiks aufgerufen. Aber auch politisch droht Macron Ungemach. Der Linksaußenpolitiker und unterlegene Präsidentschaftsbewerber Jean-Luc Melenchon hat mit einem "sozialen Kampf" gedroht, sollte Macron Arbeitnehmerrechte beschneiden: "Keinen Fußbreit werden wir nachgeben", so Melenchon kürzlich bei einer Rede in Marseille.

Läuft es auf eine Konfrontation hinaus?

Macron will sie möglichst vermeiden und sich eng mit den Gewerkschaften abstimmen. Jean-Claude Mailly von der drittgrößten Gewerkschaft Forces Ouvrières fragt aber, ob Macron wirklich auf Einwände hören werde. Wenn er die Reformen gegen den Widerstand der Gewerkschaften durchpeitsche, "wird er einen schlechten Start haben, und dann wird es Spannungen geben", so Mailly. Der Regierung kommt allerdings entgegen, dass die radikale CGT bei Betriebsratswahlen in diesem Jahr erstmals hinter die gemäßigtere CFDT zurückgefallen ist. Deren Chef Laurent Berger kommt es vor allem auf einen "ernst gemeinten Dialog" an.

Auch gesamtgesellschaftlich haben die Franzosen wegen der hohen Arbeitslosigkeit zunehmend Verständnis für Reformen. Nach einer Umfrage der Allianz befürworten 47 Prozent weitgehende Veränderungen, 38 immerhin "graduelle Reformen". Die Chancen, sie durchzubekommen, sind daher nach Einschätzung von Julie Hamann grundsätzlich "besser als je zuvor". Doch ob es im Herbst zu einer großen Protestwelle kommt, hänge zum einen von den Einzelheiten ab, zum anderen, ob die Franzosen den Eindruck hätten, "dass Macron die Reformen mit Druck und mit Zwang durchsetzen möchte". In dem Fall "befürwortet eine große Mehrheit eine starke Mobilisierung dagegen". Die Regierung müsse daher sehr vorsichtig vorgehen.

Schon sein Vorgänger Hollande hatte sich an einer Lockerung des Arbeitsmarktes die Zähne ausgebissenBild: Getty Images/AFP/T. Samson

Wer muss seinen Kopf hinhalten?

Die neue Arbeitsministerin Muriel Penicaud gilt als gute Wahl. Die frühere Personalchefin des Lebensmittelkonzerns Danone hat Erfahrungen auf verschiedenen Posten in der Privatwirtschaft und im Staatssektor gesammelt und genießt allgemeine Hochachtung und den Ruf, neutral zu sein. Zu ihren Mitarbeitern gehören sowohl ehemalige Vertreter des Arbeitsgeberverbands als auch frühere Gewerkschaftsunterhändler.

Ihre Vorgängerin unter Präsident Hollande, Myriam El Khomri hatte mit einem ähnlichen Reformversuch wochenlange Proteste und Streiks ausgelöst. Dies dürfte für die neue Regierung eine Mahnung sein. Doch die Umstände für sie sind deutlich günstiger. Letztlich aber wird keine Ministerin Präsident Macron die Verantwortung abnehmen können. Mit dieser großen Reform entscheidet sich für den Präsidenten selbst, ob er sein Wahlversprechen einlösen und Frankreich nach vorn bringen kann.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen