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Politik

Macrons Rede zur Lage der "Grande Nation"

Catherine Martens
3. Juli 2017

Emmanuel Macron erfindet das politische Frankreich neu. Aus dem Nichts heraus gewann er mit seiner Bewegung Präsidentschaft und Parlamentswahlen - und auch sonst soll jetzt vieles anders werden in der fünften Republik.

Frankreich Emmanuel Macron, vor Rede in Versailles
Bild: Reuters/E. Laurent

Das ganz große Besteck muss es sein. Einen gewissen Hang zur Dramaturgie muss sich Präsident Macron nachsagen lassen: Nicht nur Hinterbänkler lästern mehr oder weniger laut über den Drang des jüngst gewählten Staatschefs, sich selbst sprechen zu hören - und dann auch nicht irgendwo, sondern vor beiden Kammern des Parlaments, im Schloss Versailles. Mon Dieu.

Präsident Macron will ans Eingemachte

Doch wer mit politischer Harmonielehre gerechnet hatte, der musste an diesem Nachmittag in Versailles umdenken. Tiefgreifende Reformen für Abgeordnetenhaus und Minister kündigt Macron an, nichts weniger als das, und wenn's sein muss mit Referendum. Wums. Das ist der Paukenschlag, den die wenigsten erwartet hatten und nun viele Parlamentarier erst einmal verdauen müssen. Entspannt zurücklehnen, Rede anhören und zum Tagesgeschäft übergehen - Fehlanzeige.

Seit Mittags herrschte reger Verkehr zwischen der Hauptstadt  und Versailles. Reisebusse brachten die Abgeordneten in den Pariser Westen. Die republikanische Garde säumte präsidentiell den roten Teppich, die sieben Stufen hinauf bis zu den Eingangspforten.

Auf dem roten Teppich geblieben: Emmanuel Macron (2. v.r.) vor seiner RedeBild: Reuters/P.Wojazer

Der pompöse Rahmen steht im Kontrast zu dem, was der Präsident vorhat: Weniger ist mehr, so scheint die neue Haltung. Macron will ans Eingemachte, ganz konkret: die Institutionen reformieren. Etwa ein Drittel weniger Abgeordnete soll es geben "für ein besser funktionierendes Abgeordnetenhaus". Eine effizientere Republik dürfe sich nicht mehr in Gesetzgebungsprozessen verlieren ohne Ergebnisse, so der Präsident.

Effizienz, Repräsentanz, Verantwortung

Nicht nur das Parlament soll schrumpfen.  Auch der Regierungsapparat ist ihm zu aufgeblasen. Nur noch zehn Mitarbeiter pro Minister, so Macron, das müsse reichen für eine "direktere und unmittelbarere Kommunikation zwischen Minister und Kabinett". Einen nicht unerheblichen Reformwunsch hegt er auch gegenüber einer urfranzösischen Institution, der Cour de Justice, den Gerichtshof der Republik, der bislang ausschließlich über etwaigere Vergehen von Ministern befand. Ihn will er am liebsten ganz abschaffen, "man könne keinem Franzosen heutzutage noch erklären, warum Minister Anspruch auf ein eigenes Gericht hätten". Wums. Auch das kommt unerwartet.

Elegante Volte oder derbes Ausscheren aus der Republik?

Wohlgesonnene sehen den ganz und gar ungewöhnlichen Auftritt in Versailles als neuen Stil, der einer angeschlagenen Republik nur guttun kann. "Eine überraschende Rede" attestieren ihm die Sozialisten, eine elegante Volte und nicht etwa ein derbes Ausscheren sei das Einberufen der beiden Kammern in Versailles, beurteilt der konservative Senator Roger Karoutchi (LR): "Ich befürworte dies, und im Übrigen sollte es ruhig regelmäßig stattfinden ".

Ungewohnte Umgebung: Macrons Rede im Schloss VersaillesBild: Getty Images/E.Feferberg

Völlig ausräumen kann Macron die Skepsis aber nicht. Tatsächlich ist das "Manöver Versailles" so außergewöhnlich wie riskant für einen Präsidenten. Die französische Verfassung erlaubt zwar die außerordentliche Versammlung beider Kammern, aber die Fallhöhe muss stimmen. Etwa "wenn die Einheit der Nation auf dem Spiel stehe", so der Pariser Politikwissenschaftler Jerôme Sainte-Marie. Wie und wann genau das der Fall ist, liegt freilich im Ermessen des Präsidenten. Kleingedrucktes gibt es nicht.

Zweimal kam es unter der fünften Republik bislang dazu: Vor-Vorgänger Nicholas Sarkozy ließ die Abgeordneten ob der Turbulenzen der Eurokrise zusammen kommen. Der abgewählte Sozialist Francois Hollande versammelte die Parlamentarier nach den Attentaten vom 13. November in Paris. Der Sinn, so Sainte-Marie: "eine Botschaft der Einheit quer durch alle politischen Lager zu senden".

Politische Gegner werfen Macron monarchische Entgleisung vor

Ein Präsident, der seinen Abgeordneten sagt, was sie zu tun oder zu lassen haben, gilt seit jeher als pikant in Frankreich. Zu schnell erinnert es die Franzosen an unschöne Bilder eines allmächtigen Sonnenkönigs, eines Napoleons. Nicht umsonst verboten die Republikaner nach ihrer Machtübernahme 1870 kurzerhand das präsidentielle Rederecht vor beiden Kammern.

"Sich vor den Kongress in Versailles zu stellen, das ist eine monarchistische Entgleisung", urteilen die Anhänger des extrem linken Jean-Luc Melenchon mit ihrer Bewegung La France Insoumise. Sie boykottieren Macrons Rede. Das erste Mal überhaupt in der Geschichte der fünften Republik bleiben Abgeordnete einem Kongress fern. Kritik kommt aber auch von gemäßigter Seite: "Macron betreibt hier die Präsidentialisierung der Institutionen und entfernt sich immer mehr von unserer Republik", kritisiert der Konservative Bernard Accoyer, langjähriger Abgeordneter und ehemaliger Präsident der Nationalversammlung.

Ein Präsident kriegt die Kurve

Zurück zur Fallhöhe. Immerhin: die scheint Emmanuel Macron in den Augen politischer Beobachter mit seiner Rede nicht verfehlt zu haben. Die Unkenrufe, der Präsident missbrauche Versailles für einen verlängerten Wahlkampf, sieht Politologe Jerôme Sainte-Marie nicht bestätigt. Im Gegenteil, Macron habe überraschenderweise die Kurve gekriegt und zudem die Rolle seines  Premierminister Edouard Philippe skizziert. Dieser könne jetzt  - vor allem auch an die politische Rechte adressiert -  erklären, wie die Regierung die notwendigen Reformen umsetzen wolle. Dass Emmanuel Macron nun jedes Jahr, ähnlich dem amerikanischen Präsidenten, eine "Rede zur Lage der Nation" halten wolle, sehen Experten wie Sainte-Marie kritisch. Versailles dürfe nicht zu Gewohnheit werden, denn: "Zuviel präsidentielles Gehabe geht den Franzosen sehr schnell auf die Nerven und wird direkt abgestraft".

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