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Politik

Miese Stimmung vor den Wahlen

7. November 2018

Die Madagassen wählen an diesem Mittwoch einen neuen Präsidenten. Die Programme der Kandidaten unterscheiden sich kaum voneinander. Wer viel Geld für den Wahlkampf ausgeben konnte, liegt klar im Vorteil.

Madagaskar Wahlen Plakate in Antananarivo
Bild: Getty Images/AFP/M. Longari

Wenn es nach diesem Passanten in der Hauptstadt Antananarivo geht, bräuchte die Wahl gar nicht erst stattzufinden: "Sie ist zwecklos", sagt er der DW. "Ich habe verschiedene Präsidenten kommen und gehen sehen, sie haben viel versprochen, was sie nicht gehalten haben." Er selbst werde nicht wählen gehen: "Ich sehe Kandidaten, die uns Luftschlösser bauen. Und ich sehe keine Anzeichen, dass sie diese Träume verwirklichen werden."

So wie er denken viele. Die Politikverdrossenheit ist groß, Madagaskar in einer desolaten Lage. Seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1960 hat sich das Land nicht aus der Armut befreien können. Trotz einer relativ friedlichen Geschichte ohne Bürgerkriege ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf fast kontinuierlich gesunken. Auf dem Index für menschliche Entwicklung der Vereinten Nationen rangiert Madagaskar im unteren Viertel, neun von zehn Menschen hier leben unterhalb der Armutsgrenze. Der überwiegend ländlichen Bevölkerung fehlt es an Perspektiven, die Armut fördert Kriminalität. "Die schlechte Sicherheitslage vergiftet das Leben und das Geschäftsklima. Armut und Korruption führen regelmäßig zu Katastrophen", sagt der politische Aktivist Roméo Razafintsalam.

Einer der teuersten Wahlkämpfe der Welt

36 Kandidaten bewerben sich um das höchste Staatsamt - fast ausschließlich Männer, darunter gleich mehrere ehemalige Staats- und Regierungschefs. Marcus Schneider, der das madagassische Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung leitet, spricht von der "Wahl des Jahrhunderts": "Erstmals treten vier Ex-Präsidenten gegeneinander an und drei ehemalige Premierminister", sagt Schneider im DW-Interview. Zu den aussichtsreichen Kandidaten gehören der scheidende Präsident Héry Rajaonarimampianina sowie sein unmittelbarer Vorgänger Andry Rajoelina. Beide haben ihr Wahlprogramm "Aufstieg" genannt. Auch Rajoelinas Vorgänger Marc Ravalomanana, den Rajoelina 2009 aus dem Amt putschte, gilt als chancenreich. Sein Motto: "Never give up!".

Anwohner von Manjakaray, einem Armenviertel der Hauptstadt Antanarivo, machen Wahlkampf für Ex-Bildungsminister Paul RabaryBild: Getty Images/AFP/Rijasolo

Große Worte haben sie dafür, wie sie das Leid der Bevölkerung mindern wollen. Doch vor allem haben sie Geld. Das müssen sie auch - im offenbar teuersten Wahlkampf der Welt. Eine Studie im Auftrag der Europäischen Union nach den Wahlen 2013 kam zu dem Schluss, dass die führenden madagassischen Kandidaten mehr Geld pro erzielter Stimme ausgaben, als das selbst in den USA der Fall war. 2018 dürfte das Wettrennen um das höchste Staatsamt ähnlich teuer werden. "Die Kaution, die die Kandidaten hinterlegen müssen, ist mit 25.000 Euro schon teuer", sagt Salomon Ravelontsalama, von der Tageszeitung La Gazette de la Grande Ile. "Aber das ist nichts im Vergleich zu den Gesamtausgaben des Wahlkampfs der Kandidaten, die oft in zweistelliger Millionenhöhe ausfallen."

Große Worte, wenig Taten

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung geht  davon aus, dass am Ende das Budget der Kandidaten über den Ausgang der Wahl entscheidet. So sei die Wahlkampfperiode - 30 Tage für die erste Runde, sieben Tage für die mögliche Stichwahl - extrem knapp bemessen. Das Land ist größer als Frankreich, doch die Straßen sind oft in katastrophalem Zustand. Wer Bekanntheit im ganzen Land erlangen will, ist auf Flugzeug und Hubschrauber angewiesen - und auf ein starkes Team, das die Arbeit vor Ort unterstützt und Wahlkampfauftritte vorbereitet. Die lokalen Eliten würden ihre Unterstützung oft meistbietend versteigern, so die Studie.

Frühstück können sich diese Madagassen zwar leisten, doch das Land ist eines der ärmsten der WeltBild: Getty Images/AFP/M. Longari

Programmatische Unterschiede gibt es hingegen wenige. Allen geht es um sauberes Trinkwasser, Schulen und Arbeitsplätze, den Kampf gegen Korruption, Anreize für Investoren. Doch keiner der drei führenden Kandidaten hat in seiner bisherigen Zeit an der Macht sichtbare Verbesserungen in diesen Bereichen erzielt. Auch darüber hinaus sind die Profile der Top drei nicht klar unterscheidbar. Schon bei den letzten Wahlen war die Beteiligung gering. Bei den Kommunalwahlen 2015 gaben nicht einmal 30 Prozent der Wahlberechtigten in der Hauptstadt ihre Stimmen ab, auf dem Land waren es noch weniger.

Kampf gegen Armut und Ausbeutung

Doch so ernüchtert, wie die Bevölkerung sich zeigt, so erbittert ringen die Politiker um die Vorherrschaft. Es ist eine schwelende Krise, die regelmäßig eskaliert, wenn Wahlen anstehen. Im April rief ein Oppositionsbündnis zu Demonstrationen gegen die Politik von Präsident Rajaonarimampianina auf. Er wolle sich mit einem neuen Wahlgesetz Vorteile verschaffen, so der Vorwurf. Die Einigkeit der Herausforderer Rajoelina und Ravalomanana überraschte, hatte doch der Erstere den Letzteren aus dem Amt und ins jahrelange Exil gedrängt.

Im Juni entlud die Bevölkerung ihren Frust in Protesten in den Straßen Antanarivos - und erreichte NeuwahlenBild: Getty Images/AFP/Rijasolo

Wer am Ende das Rennen macht, wird sich einer Reihe von Herausforderungen stellen müssen – allen voran die Bekämpfung der Armut und der Ausbeutung von Natur und Rohstoffen durch eine kleine Elite, die zur weiteren Verarmung beiträgt. Marcus Schneider von der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt sich skeptisch, ob das gelingen wird. "Das Hauptproblem ist, dass die Profiteure des illegalen Raubbaus an den Ressourcen politische Beziehungen haben", so Schneider. Ein Präsident, der eine Trendwende schaffen wolle, müsse die Netzwerke der Mächtigen attackieren. "Die große Frage ist, ob Madagaskar einen Präsidenten bekommt, der die notwendige Macht dazu hat - und der auch das Interesse daran hat."

Andry Rajoelina etwa betreibe den wohl teuersten Wahlkampf im Land. Woher er seine Mittel nehme, sei unklar. "Es steht zu befürchten, dass er nach einem Wahlsieg versuchen würde, diese Mittel wieder hereinzuholen." Für die Entwicklung des Landes sei dies nicht förderlich.

Mitarbeit: Rémy Mallet, Prisca Rakotomalala