"Madita" - Glaube im Nebensatz
23. Mai 2025
Wenn man Jahre später ein früher geliebtes Kinderbuch noch einmal liest, schaut man mit anderen Augen darauf und nimmt andere Aspekte wahr. In meinem Fall war es so bei "Madita" von Astrid Lindgren (1907-2002). Das Buch, heute ein Klassiker, wurde 1960 erstmals in Schweden veröffentlicht.
Die Hauptfigur ist Madita, ein fantasievolles, einfühlsames siebenjähriges Mädchen aus dem Bürgertum, das zur Zeit des Ersten Weltkriegs in einer kleinen schwedischen Stadt lebt. Die Buchfigur ist so beliebt, dass nach ihr Mädchen benannt sind. In ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Lisabet hat Madita eine ideale Gefährtin für wilde Spiele. Die Ideen - man hat es vom Lesen als Kind vielleicht nicht in Erinnerung - kommen nicht selten aus der Bibel.
Eine dieser Geschichten spielt an einem Sommertag: Während Dienstmagd Alva und Wäscherin Linus-Ida am Fluss die Wäsche waschen und die Mädchen dort spielen, brauchen sie eine gute Geschichte, die zu Hitze, Fluss, Schilf und einem Waschzuber passt. "Lisabet!", ruft Madita. "Jetzt weiß ich, was wir machen! Wir spielen Moses im Schilf!" Madita schlüpft in die Rolle der Tochter des Pharao - passend gekleidet in Mamas stibitztem vornehmen Morgenmantel. Das Spiel endet allerdings anders als im Alten Testament nach nur ein paar Minuten, weil der Zuber leckt, Moses sich über nasse Hosen beklagt und sich die Tochter des Pharao mit seiner Rettung schwertut - beide fallen ins Wasser und sehen einem Tadel durch die Mutter entgegen.
Das ist jedoch nicht die einzige Stelle, die sich um den Glauben dreht: Geht es um die Schule, wird Maditas Lieblingsfach "Biblische Geschichte" häufig erwähnt. Madita hat durch Linus-Ida, eine fromme Frau, die sehr eindrucksvoll erzählen kann, großes Vorwissen über die Erschaffung des Menschen, die Geschichte vom barmherzigen Samariter und Jesu Leidensgeschichte. Nicht selten misst sie ihr Handeln an dem biblischer Figuren und eifert ihnen nach.
Es erstaunt deshalb nicht, dass auch das Beten mehr als eine Pflichtübung im Kinderalltag darstellt: Madita bittet Gott, dass der Doktor sie trotz Gehirnerschütterung für gesund genug für den Schulausflug hält. Ein anderes Mal richtet sie die Bitte an Gott, dass Schulkameradin Mia für ihre Schimpfwörter nicht in die Hölle kommt. Eindringlich fleht sie, dass der Nachbarsjunge eine gefährliche Krankheit überlebt. Ebenso gehört der Gang in die Kirche sowohl mit der Schule als auch mit der Familie einfach dazu.
Vielleicht machen gerade solche Stellen "Madita" zu etwas Besonderem. Obwohl das Werk streng genommen ein historisches Kinderbuch ist, weil es zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt, Wäsche im Fluss gewaschen wird, Musik aus dem Grammophon kommt und Dienstboten im Haushalt angestellt sind, bleibt die Handlung aktuell wie eh und je: Das kindliche Denken und Fühlen, Idylle und Geborgenheit stehen im Vordergrund. Soziale Ungerechtigkeiten machen Madita das Herz dagegen schwer.
Leichtfüßig eingebaut, fast wie in einem Nebensatz, ist der Glaube dabei nicht frömmelnd, nicht moralisch und nicht an den Haaren herbeigezogen. Die Bibel gehört zum Weltwissen und liefert abenteuerliche Geschichten zum Nachspielen und Einfühlen. Beten ist auch etwas Normales, keine intime, verschämte Privatsache. Gleichzeitig lässt der Kinderglaube durchaus manchmal schmunzeln.
Nicht nur die "gute, alte Zeit" lässt ein bisschen wehmütig werden - auch der Umgang mit dem Glauben. Es ist nicht der Gedanke "Früher war alles besser". Eher ein "Warum können wir das heute nicht?" Es tut sich eine Leerstelle auf, denn in moderner Literatur wird man eine so unbefangene Darstellung kaum finden. Kinderbücher sollen einen großen Markt bedienen, sodass eindeutige religiöse oder kirchliche Bezüge ausgespart werden. Womöglich würde es fremd wirken oder sehr komisch ankommen, wenn Kinder heute von sich aus Geschichten aus dem Alten Testament nachspielen. In "Madita" wirkt es selbstbewusst, eigentlich selbstverständlich. Glaubenspraxis verschwindet aus der Literatur, weil sie im Alltag nicht sichtbar ist, vielleicht verschwindet sie aus dem Alltag, weil es keine literarischen Spiegelbilder gibt. Eigentlich ist das ziemlich schade.
Kurzvita:
Lydia Schwab ist in Augsburg geboren. Sie hat Germanistik und Latinistik studiert und ist Redakteurin bei der Katholischen Sonntagszeitung in Augsburg. Hier schreibt sie unter anderem Geschichten und Sachtexte für die Kinderseite.