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Kurt Masur feierte Geburtstag

Marita Berg17. Juli 2012

Unter den Dirigenten ist er so etwas wie eine lebende Legende: Mehr als drei Jahrzehnte prägte Kurt Masur als Kapellmeister des Gewandhausorchesters das Musikleben in Leipzig. Am 18. Juli wurde der Maestro 85 Jahre alt.

(Dirigent Kurt Masur Foto: Felix Heyder dpa/lnw )
Bild: picture-alliance/dpa

Mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten begann für den "Meister mit dem Zauberstab" die internationale Karriere als Dirigent solch weltberühmter Orchester wie der New York Philharmonic oder des Orchestre National de France. Konzerttourneen führten den Maestro fortan um die ganze Welt, und 2010 wurde ihm der Klassik Echo-Preis für sein Lebenswerk verliehen. "Welchen Komponisten sich Kurt Masur auch widmet, für ihn ist die Musik eine Frage von Herz, Verstand und Emotionen. Er verkörpert die Tradition, die Erfahrung und die ewige Wandelbarkeit der klassischen Musik in einer neuen Epoche", hieß es in der Laudatio.

Sein 85. Geburtstag sei für ihn allerdings ein Tag wie jeder andere, ließ Masur verlauten. Trotz gesundheitlicher Probleme plant er seine nächsten Konzerttourneen. Und nach wie vor gibt er seine Erfahrungen in Meisterkursen weiter und probt emsig mit dem Dirigentennachwuchs. Ans Aufhören denkt Kurt Masur trotz seines Alters nicht: Da würde ihm zu viel verloren gehen, denn für ihn sei Musik wie Atmen, sagt er.

Masur verabschiedet sich 1996 mit dem Gewandhausorchester von seinem Publikum in LeipzigBild: picture-alliance/ZB

Geboren wurde Kurt Masur am 18. Juli 1927 im schlesischen Brieg, dem heutigen Brzeg. Schon als kleines Kind entdeckte er seine Leidenschaft für Musik und brachte sich selbst das Klavierspielen bei. Auf Wunsch seiner Eltern absolvierte er zunächst eine Elektrikerlehre, bevor er 1942 sein Musikstudium in Breslau begann. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wechselte er dann nach Leipzig, um Klavier, Komposition und Orchesterleitung zu studieren.

Gewandhaus-Kapellmeister in Leipzig

Leipzig sollte der Dreh- und Angelpunkt in Masurs Leben bleiben. Nach Anstellungen in Dresden, Schwerin und Berlin trat er 1970 das Amt des Gewandhaus-Kapellmeisters an. Fast 30 Jahre hatte Kurt Masur den Posten inne, und die Arbeit mit dem Orchester wurde für ihn, wie er sagt, zum Fundament seines künstlerischen Lebens. Es gelang ihm, dem Gewandhausorchester neuen Weltruhm zu verleihen und ihm einen ganz eigenen Charakter zu geben, der von Musikern und Orchestern weltweit als "Gewandhausklang" bewundert wird.

Der Klang ist für Kurt Masur das Kapital eines Orchesters, und im Falle des Gewandhauses gibt es sogar eine historische Basis: "Mendelssohn hat das Konservatorium in Leipzig mit der Idee gegründet, dass die Musiker des Gewandhauses dort unterrichten und ihre Studenten dann als ihre eigenen Nachfolger ins Orchester hineinbringen", erläutert er. "Das schafft natürlich eine Tradition. Als Dirigent wäre man schon sehr dumm, wenn man sie verändern wollte. Ähnlich ist es mit den Wiener Philharmonikern: Ein Dirigent, der den Wienern zeigen will, wie man Wiener Walzer spielt, wäre ein Tor." Und doch, so merkt Masur an, müsse man ein Orchester trotzdem in der täglichen Arbeit erziehen.

Probe mit NachwuchsdirigentenBild: picture-alliance/dpa

Unbequemer Orchesterchef

Kurt Masur hat sich nie davor gescheut, klare Stellung zu beziehen - weder in musikalischen Fragen noch in gesellschaftlichen oder politischen. Dabei nahm der Gewandhaus-Chef auch die Konfrontation mit dem damaligen Staatsapparat der DDR in Kauf. So führte er in den 1970er Jahren sämtliche Sinfonien des im Ostblock und besonders in der Sowjetunion in Ungnade gefallenen Dmitri Schostakowitsch auf. 1980 trat er vehement für den Neubau des im Krieg zerstörten Gewandhauses ein und protestierte nachdrücklich gegen Pläne der Kulturfunktionäre in Ostberlin, die stattdessen eine der damals üblichen DDR-Mehrzweckhallen errichten wollten. Er setzte sich durch und konnte 1981 im Neuen Gewandhaus- ebenfalls gegen den Willen der Funktionäre - die Uraufführung von Alfred Schnittkes Dritter Sinfonie dirigieren.

Politiker wider Willen

Als in den letzten Tagen der DDR im Herbst 1989 die Zahl der Teilnehmer an den Montagsdemonstrationen in Leipzig immer größer wurde und der Staat am 9. Oktober mit mehr als 8000 Polizisten und Soldaten der NVA gegen die friedlichen Demonstranten vorzugehen drohte, war Kurt Masur Mitverfasser des Aufrufs "Keine Gewalt", den er im Leipziger Stadtfunk vorlas: "Unsere gemeinsame Sorge und Verantwortung haben uns heute zusammengeführt. Wir sind von der Entwicklung in unserer Stadt betroffen und suchen nach einer Lösung. Wir bitten Sie dringend um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird." Mit diesen Worten trug Masur wesentlich dazu bei, dass die Demonstration an diesem Abend nicht eskalierte.

Das Unglaubliche geschah. Die bewaffneten Kampfgruppen, die Soldaten der Nationalen Volksarmee und die Polizisten zogen sich zurück. Das Gewandhausorchester gab an diesem Abend wie geplant ein Konzert. Neben den Noten des eigentlichen Programms hatte Masur aber zuvor auch die Noten des Trauermarschs aus Beethovens "Eroica" an die Musiker verteilen lassen. Hätte es draußen auf der Straße Tote gegeben, wäre das Konzert sofort abgebrochen worden - mit Beethovens Trauermarsch.

Im Leipziger Gewandhaus gab Masur jahrzehntelang den Ton anBild: AP

Freude mit Schiller und Beethoven

In den Tagen darauf öffnete Masur das Gewandhaus für politische Diskussionen und erarbeitete mit anderen Prominenten die "Leipziger Postulate" als Grundlage für eine neue "Demokratische Republik Deutschland". Bald schon war er im Gespräch für das Amt eines DDR-Staatspräsidenten, 1993 sogar für das des gesamtdeutschen Bundespräsidenten. Kurt Masur selbst hat sich stets als "Politiker wider Willen" bezeichnet.

Er habe, so sagt er, immer nur versucht, humanistische Botschaften zu vermitteln. Musik sei für ihn dabei das wichtigste Mittel, denn die Sprache der Musik sei die Sprache der Verständigung. "Die Botschaft, die ich den Menschen bringen wollte, ist seit Beginn meines Lebens die gleiche: Verständigung, Freundschaftlichkeit, Humanismus", sagt er. "Ich habe immer versucht, den Menschen mit den Mitteln der Musik klarzumachen, dass es Höheres gibt als die Streitigkeiten des Tages. Was uns alle verbindet, ist eigentlich in der Neunten Beethovens mit Schillers Worten und Beethovens Musik dokumentiert: Freude soll die Menschen verbinden und nicht der Hass."

An den Pulten der Welt

Mit dem Mauerfall begann für Kurt Masur eine rasante internationale Karriere; er wurde zu einem der weltweit gefragtesten Gastdirigenten. Zu Beginn der 1990er Jahre übernahm er als Nachfolger Arturo Toscaninis und Leonard Bernsteins die New York Philharmonic, im Jahre 2000 wurde er Principal Conductor der London Philharmonic und 2002 Musikdirektor des Orchestre National de France in Paris. Auch während seiner Zeit als Chefdirigent bei der New York Philharmonic blieb das Engagement für die Menschen ein Motor für Kurt Masurs Kraft: Als am 11. September 2001 in New York beim Terroranschlag auf das World Trade Center tausende Menschen starben, änderte er kurzfristig das Programm seines Orchesters, um mit einer Aufführung des "Deutschen Requiems" von Johannes Brahms der Toten zu gedenken und den Menschen Trost und Hoffnung zu spenden.

Noch Jahre später erinnerte sich Anthony Tommasini in der New York Times an diese Aufführung: "In seinem Herzen ist Herr Masur überzeugt, dass die großen Werke der Musik tiefe Bedeutung haben können. Und die friedlich schöne Brahms-Aufführung, die er dirigierte, brachte Heilung und Verbundenheit in eine verwundete Stadt."

"Maestro of the moment"

Das New York Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Kurt MasurBild: picture-alliance/dpa

Den Posten des Musikdirektors des New York Philharmonic Orchestra hatte Kurt Masur 1991 übernommen. Zwei Jahre nach dem Mauerfall begrüßte die New York Times den "Maestro of the moment" begeistert: "Werden Sie, was Sie in Leipzig sind - der kulturelle Wegweiser dieser Stadt!"

Zwölf Jahre stand Kurt Masur als Chef am Pult des ältesten US-amerikanischen Orchesters und in dieser Zeit gelang es ihm - wie der scharfzüngige Journalist Klaus Umbach schrieb - "den verlotterten Laden wieder auf Vordermann zu bringen". Als Kurt Masur 2002 dort seinen Abschied nahm, erhielt er den Titel "Music director emeritus" - eine Ehre, die in der über 150-jährigen Geschichte des Orchesters nur Leonard Bernstein erfahren hat.

Genaues Zuhören, davon ist Kurt Masur überzeugt, sei das Rezept für seinen großen Erfolg. "Ich habe versucht, jedem Orchester immer ein guter Zuhörer zu sein. Ich belehre nicht", hat er einmal gesagt. "Vielleicht ist das das Geheimnis. Ich erzähle ihnen nicht vorher, was ich will und sie dürfen das dann wie Schüler nachvollziehen, sondern ich beginne und höre zu. Und wenn wir nicht übereinstimmen, dann sprechen wir miteinander."

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