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Magdalen Nabb: Geburtstag in Florenz

Alexander Kudascheff23. September 2001

Er ist wieder da: Maresciallo Guarnaccia, der dicke Carabinieri aus Florenz, der Mann aus dem Volk mit dem großen Herzen für die kleinen Sünder und Sünden. Die Autorin zeichnet sie mit einfühlender Präzision.

Wieder mal wird der Maresciallo eher zufällig in einen Mordfall verwickelt, der wie keiner aussieht und doch einer ist. Wieder siegt Guarnaccia nicht durch seinen messerscharfen Verstand über ermittelnde Staatsanwälte und überführt den heimtückisch-snobistischen Mörder, sondern durch sein Gefühl, seine unheimliche Intuition, die er selbst auch nicht begreift.

Wieder streift er - diesmal mit knurrendem Magen, denn er hat sich selbst auf eine Diät gesetzt, die er mit schrecklichen Hungeranfällen bezahlt - durch ein abweisendes Florenz, das hochherrschaftlich arrogant ist - vor allem gegenüber dem dicken Maresciallo aus dem fernen Sizilien mit seinen entzündeten Augen, die er hinter einer voluminösen Sonnebrille verbirgt.

Unerklärlicher Unfall

Guarnaccia ist ein Fremder und ein Einheimischer zugleich, ein Carabinieri, der auffällt, vor allem wenn er in die feinen Kreise des adelig anmutenden Florenz eindringt. Man ahnt als Leser, zu welcher brüsken Ablehung die Altflorentiner gegenüber allen Fremden fähig sind - Römern ebenso wie Engländern.

Der Fall, den Guarnaccia diesmal aufklärt, ist psychologisch dicht verwoben, aber in seiner Struktur selbst eher einfach. Eine englische Schriftstellerin wird tot in der Badewanne aufgefunden. Ihr Mann, ein erfolgloser Journalist, aber erfolgreicher Schmarotzer, liegt sturzbetrunken daneben und erinnert sich an nichts. An der Toten findet sich allerdings nicht das geringste Indiz dafür, dass sie ermordet sein könnte. Ein unerklärlicher Unfall, man könnte die Akten schließen - wäre da nicht die Spürnase des Maresciallos.

Einfühlende Präzision

Der Fall selbst ist weniger interessant. Was zählt, ist die unverkennbare Handschrift von Magdalen Nabb, die hier ihren zehnten Roman mit dem "Maigretverschnitt" Guarnaccia vorlegt. So wie Donna Leon ihren - allerdings gesellschaftlich arrivierten - Commissario Brunetti durch die Lagunenstadt Venedig streichen lässt, so erkundet Nabb mit dem scheinbar tumben Guarnaccia Florenz.

Sie zeichnet mit einfühlender Präzision ein Porträt von Florenz und von seinen Einwohnern. Sie zeigt eine hermetische Stadt, in der die Klassengesellschaft weiterlebt. Sie enthüllt ein Italien, das neben seiner Lebensfreude auch hässliche Züge - wie z.B. einen kaum fassbaren Hochmut gegenüber Fremden - aufweist.

Perfektion der Einfachheit

Und sie entwickelt mit großen Charme ihren Helden, den Maresciallo Guarnaccia: In seiner freundlichen Unbeholfenheit, in seinem Staunen über sich selbst, in seiner Beharrlichkeit, in seiner Bescheidenheit, in seiner Liebenswürdigkeit ist er inzwischen ein Held der Leser - wie Maigret, wie Nero Wolfe, wie Columbo. Was ihn unterscheidet, ist, dass er von unten kommt und sich duch die "Welt da oben" wie ein Kind bewegt, das etwas sucht. Und genau das macht seinen Charme aus.

Magdalen Nabbs Kriminalroman ist psychologisch dicht und atmosphärisch anschaulich. Der Leser wird nicht enttäuscht, der Fan muss sich begeistern. Denn so herrlich-wunderlich, so menschlich-anrührend war der Maresciallo Guarnaccia noch nie. Nabb strebt mit diesem Roman der Perfektion der Einfachheit entgegen. Ein Lesegenuss sondergleichen.


Magdalen Nabb
Geburtstag in Florenz
Diogenes, 1998
ISBN 3257061854