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Magdeburg und der mutmaßliche Täter: Was wir wissen

Timothy Rooks | Monir Ghaedi
21. Dezember 2024

Mehrere Menschen starben, Hunderte wurden verletzt, als ein Mann am Freitagabend ein Auto in die Menschenmenge auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt steuerte. Der Verdächtige war offenbar Islamkritiker und AfD-Anhänger.

Polizisten in Kampfausrüstung und mit Helmen und Waffen auf einer Straße in der Dunkelheit
Schnelle Festnahme: In Magdeburg nahm die Polizei kurz nach dem Anschlag einen Verdächtigen festBild: Heiko Rebsch/dpa/picture alliance

Unmittelbar nach der tödlichen Attacke auf einem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ist ein Tatverdächtiger verhaftet worden. Am Freitagabend sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, der Festgenommene sei ein 50-jähriger Mann aus Saudi-Arabien, der seit 18 Jahren in Deutschland lebe und wahrscheinlich allein gehandelt habe.

Mehrere Medien identifizieren den Mann als Talib A. und berichten, dass er Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sei. Er habe einen unbefristeten Aufenthaltstitel und lebe in Bernburg, rund 40 Kilometer südlich von Magdeburg.

Der saudische Staatsbürger wurde als Muslim erzogen, sagte sich aber von seiner Religion los und wandelte sich zum aktiven Islamgegner und zu einem Kritiker des schlechten Umgangs mit Frauen, vor allem in seinem Heimatland.

Eine Spur des Hasses in sozialen Netzwerken

Sich selbst beschrieb er als ehemaliger Muslim und saudischer Dissident. Er war ein enthusiastischer Nutzer der Social-Media-Plattform X, ehemals Twitter, wo er rund 47.000 Follower hatte. Hier postete und repostete er täglich vorwiegend antiislamische Inhalte. Er gratulierte Muslimen, die ihrem Glauben den Rücken kehrten.

Mahnwache: Menschen gedenken der Opfer der Autoattacke auf den Magdeburger WeihnachtsmarktBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

In einem Interview mit der BBC sagte Talib A. 2022, er betreibe die Website "Wir sind Saudis" (wearesaudis.net) und er nutze sie, um saudischen Aktivisten und Ex-Muslimen zu helfen, aus Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten zu fliehen. Der BBC erzählte er, dass ihn oft junge saudische Frauen ansprächen, die der Unterdrückung durch ihre Familien entkommen wollten.

Die britische Tageszeitung "Daily Telegraph" berichtet, dass manche Dissidenten seine Äußerungen zu heftig fanden und auf Abstand gingen.

Seine Ansichten wandelten sich zur Islamophobie und er postete regelmäßig Inhalte mit rechtsextremer Rhetorik. Oft kritisierte er Deutschlands Migrationspolitik und behauptete, die Regierung lasse zu viele Muslime ins Land. Die Schuld dafür gab er der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Im Dezember teilte er ein Video über afghanische Frauen, die die Taliban von Medizinischen Hochschulen verbannten, und kommentierte: "Hätte Merkel ihren Plan umgesetzt, würde das heute auch in Deutschland geschehen." Sie habe Deutschland islamisieren wollen und sollte dafür hingerichtet werden.

Diese Unterstützung für die extreme Rechte und seine Bedenken wegen des Islams in Europa reichen mindestens bis 2016 zurück. Damals schrieb er auf Twitter (jetzt X), Muslime bekämen im Westen jede Menge Hilfe, Ex-Muslime so gut wie gar keine. Von Deutschland zeigte er sich zunehmend enttäuscht. Er habe gedacht, dass die Linken sich aus humanitären Gründen für Geflüchtete einsetzten. Stattdessen wollten auch sie Deutschland islamisieren.

Talib A. lobte die in Teilen rechtsextreme Partei AfD ebenso wie den niederländischen Rechtsaußen-Politiker Geert Wilders und den britischen Extremisten Tommy Robinson - und den US-amerikanischen Milliardär Elon Musk.

Kontakt zu deutschen Medien

Talib A. suchte aktiv nach Medienkontakten für seine Sache. 2019 waren er und seine Website Thema in vielen Medien in Deutschland, Großbritannien und anderen Ländern, auch in der deutschen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Mit der Deutschen Welle (DW) hatte er ebenfalls Kontakt. Die DW schreibt dazu in einem Statement:

"Der mutmaßliche Täter von Magdeburg, Talib A., war in Kontakt mit der DW.

Der 50-jährige Arzt aus Saudi-Arabien hatte sich im März 2021 über den damaligen Kurznachrichtendienst Twitter gemeldet. Sein Vorwurf: Saudi-Arabien und Saudis in Deutschland spionierten ihn aus. Er warf den deutschen Behörden vor, ihn nicht ernst zu nehmen und nicht zu handeln.

In einer Nachricht an die DW vom Oktober 2023 schreibt er: "Sie haben sich geweigert, auch nur eine Untersuchung einzuleiten! Mit der Begründung, es gebe kein öffentliches Interesse. (…) Man lässt einen saudischen Geflüchteten Einschüchterung, Überwachung und Verfolgung ausgesetzt, ohne auch nur eine einstündige Untersuchung durchzuführen, um wenigstens einen ersten Eindruck zu gewinnen."

Viele seiner Behauptungen konnten aber durch die DW nicht unabhängig überprüft werden. Im November und Dezember 2024 schließlich bot er an, in der DW aufzutreten und auch öffentlich Beweise vorzulegen. Danach brach der Kontakt ab."

Hass und Aggression: Der Wagen, den der mutmaßliche Täter in die Menschenmenge gesteuert hatBild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

Nur wenige Tage vor dem Anschlag in Magdeburg gab Talib A. der RAIR Foundation ein Interview, einer Website, die impfskeptischen und antimuslimischen Inhalten Raum gibt. Die RAIR Foundation ersetzte das Interview vom 12. Dezember später mit einem völlig anderen Text. Die archivierte Version der Website zeigt jedoch, dass Talib A. dort ein weiteres Interview gegeben hat, das seinen vorherigen Aussagen ähnelt. Er behauptete unter anderem, Deutschland führe einen Krieg gegen Ex-Muslime.

Auf seinem X-Account erklärte er, er habe Beweise dafür, dass deutsche Behörden Verbrechen an saudischen Flüchtlingen begingen. Er schrieb auch: "Wenn Deutschland uns umbringen will, werden wir sie schlachten, sterben oder voller Stolz ins Gefängnis gehen."

Was bisher unklar ist, sind die Motive hinter der Tat, die Talib A. mutmaßlich begangen hat. Die Ermittlungsbehörden haben dazu bisher nichts verlauten lassen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte am Samstag lediglich: "Wir können zum jetzigen Zeitpunkt nur gesichert sagen, dass der Täter offensichtlich islamophob war."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

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