Mit einer Mischung aus Kunst-Happening und Ausstellung präsentiert sich in München die internationale Street-Art-Szene. Inzwischen lässt sich mit den Künstlern viel Geld verdienen. Mit dabei: Graffiti-Star Banksy.
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Am Anfang gab es nur anonyme Kürzel. Mit diesen sogenannten "Tags" kennzeichneten die ersten Sprayer ihre mannshohen Graffitis: mit Sprühfarbe auf Häuserwänden, Mauern oder Eisenbahnwaggons verewigt. Ende der 1970er Jahre gelangte diese illegale Kunst bis in die Pop Art - und ist heute nicht mehr aus der Kunstszene wegzudenken. Längst ist Street-Art in die Kunstgeschichte eingegangen.
Früher arbeiteten die Künstler häufig am Rande der Illegalität. Gefängnisstrafen wegen Sachbeschädigung und juristische Einschränkungen ihrer Kunst waren an der Tagesordnung, als Kunstform anerkannt waren Graffitis nicht, sie galten höchstens als "Schmierereien". Bei der Street-Art heute ist das anders. Dort treffen völlig verschiedene künstlerische Lebensformen aufeinander: illegale Sprayer, bekannte Graffiti-Künstler und Open-Air-Performer.
Nicht nur eindimensionale, sondern gar dreidimensionale Kunst, wie die Installation "Dresden Gargoyle" von "Yok & Sheriyo" erwartet die Besucher in München Bild: picture-alliance/dpa/A. Heinl
Diesen Kultur-Clash präsentiert auch das Festival "MAGIC CITY - Die Kunst der Strasse" ab 13. April in München in einem neuen Ausstellungsformat. Das Ganze präsentiert sich in einer ambitionierten Mischung aus Parcours, Festival und künstlerischem Spielplatz. "Es geht um die Idee von Stadt, es geht um die Formbarkeit dieser Idee und um die optischen Irritationen, ohne welche die Stadt und die in ihr Lebenden innerlich irgendwann veröden würden", kommentiert die Süddeutsche Zeitung das Münchner Ausstellungsprojekt, das als Wanderausstellung konzipiert ist und von München weiter nach Stockholm ziehen wird.
Nicht nur Kunst aus der Dose
Die erste Sprayer-Kunst tauchte 1970 in der bayerischen Landeshauptstadt auf. Parallel dazu entwickelte sich in New York die Street-Art, die sich schließlich nach London oder Berlin weiterverbreitete. Lange rätselte man, wer die Urheber der farbenfrohen Kunstwerke in München waren. Die Sprayer signierten ihre Werke höchstens mit einem verschlüsselten Kürzel, selten tauchten offizielle Namen auf - auch um sich vor Strafverfolgung zu schützen.
Die Geschichte der Street-Art
Im 21. Jahrhundert hat es die Street-Art bis ins Museum geschafft - doch sie begann als illegaler Protest in Großstädten: von Mexiko über Paris bis New York. Die Hip-Hop-Kultur machte sie in den 80er Jahren populär.
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Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz
Street-Art entwickelte sich aus der illegalen Graffiti-Szene, ist ihr aber heute nur noch in eingeschränktem Umfang nahe. Beide sind Statements im öffentlichen Raum, beim Graffiti überwiegt der Schrift-Anteil, bei Street-Art das Bildliche. Seit Street-Art auch in Galerien und Museen stattfindet, ist der Streit um ihre Glaubwürdigkeit neu entbrannt. Ein geschichtlicher Abriss.
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Vorläufer in Mexiko: Muralismo in den 1920ern
Diego Riviera, einer der bedeutensten modernen Maler Mexikos, gehört zu den wichtigsten Vertretern des Muralismo. Die Murales, Wandmalereien im öffentlichen Raum, oft mit nationalistischen Inhalten, wurden von der Regierung beauftragt. In Mexiko finden sie sich heute an fast allen öffentlichen Gebäuden. Viele der protestorientierten Graffiti-Künstler grenzten sich später vom Muralismo ab.
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Pixação: Runenartige Grafitti in Brasilien
Illegale Wandbemalung begann in São Paulo während der Militärdiktatur Brasiliens 1964-1985. Pixação war eine Protestbewegung, die Gebäude mit Tags und Slogans in einem speziellen kryptischen Stil versahen. Eine extra Challenge waren hohe Gebäude, die sich die Pixadores durch abenteuerliche Klettereien erschlossen. Die lateinamerikanische Street-Art-Szene wurde von Pixação entscheidend geprägt.
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Grafitti in Paris
Graffitis gab es in Paris schon lange vor New York, wie der aus Rumänien stammende Fotograf Brassaï bereits in den 1930ern dokumentierte. Seine Bilder publizierte er 1960 in einem Fotoband mit dem Titel "Graffiti", vorangestellt war ein Essay von Pablo Picasso zum Thema. Im Bild eine Ausstellung dieser Fotografien im Centre Pompidou 2016.
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New York als Epizentrum des Graffitihypes
New York war der Ort, von dem aus die Graffiti-Kunst (und in ihrem Windschatten die Street-Art) populär wurde. Zwei Publikationen waren für die weltweite Verbreitung entscheidend: Der Fotoband "Subway Art" trug 1984 die kunstvollen Tags auf den Wänden der New Yorker U-Bahn-Waggons in die Welt. Und der Film "Wild Style" ordnete die Graffiti-Kunst 1984 in die Hip Hop-Kultur ein.
Künstler lassen sich von Grafftis inspirieren
In New York waren die farbenfrohe Schriftzüge schon in den Siebziger Jahren Teil des Stadtbilds. Entsprechend früh wurden sie auch in der Kunstwelt rezipiert. Der Künstler Keith Haring eignete sich Techniken der Graffitiszene an: Das erste seiner sogenannten "Subway Drawings" fertigte Haring im Dezember 1980 an und führte diese bis etwa 1985 fort.
Bild: Nationaal Archief
Jean-Michel Basquiat
Auch Jean-Michel Basquiat eroberte in den 80ern New Yorks Gallerien. Er wurde wiederholt der Graffiti-Szene zugeordnet, widersprach dem aber: "Ich bin kein Teil der Graffiti-Kunst." Wohl aber bediente er sich ihrer Techniken: Sein SAMO-Tag sprayte er an verschiedene Wände New Yorks - als eine Art Anti-Graffiti. Bis heute wird um seine kunsthistorische Einordnung gestritten.
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Regionale Protestkulturen: Schweiz
Harald Naegeli wurde als "Der Sprayer von Zürich" Ende der 70er Jahre weltweit bekannt. Nachdem er 1981 erwischt und verurteilt worden war, flüchtete Naegeli nach Deutschland, wurde aber 1984 an die Schweiz ausgeliefert und saß eine 6-monatige Haftstrafe ab. Nichtsdestotrotz gehört er mit seinen politisch-motivierten Interventionen auf der Straße zu den Vorläufern der Street-Art in Europa.
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Regionale Protestkulturen: Berliner Mauer
Mitte der 80er Jahre wurde die Berliner Mauer als Oberfläche entdeckt. Die Kritzeleien wurden durch kunstvollere Grafittis abgelöst, der Nordteil der Mauer wurde zur Spielwiese für Graffitis im amerikanischen Stil. Nach der Wiedervereinigung wurden 118 internationale Künstler mit der Verzierung der Mauerreste an der Berliner Mühlenstraße beauftragt.
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Regionale Protestkulturen: Buenos Aires
Die Schablonenkunst war zentral für die Street-Art in Argentinien: Während der Proteste gegen die Militärjunta 1976-1983 musste es schnell gehen, da war das Sprayen mittels vorbereiteter Schablonen besonders effektiv. Nach der Wirtschaftskrise 2001 kam es zu einem erneuten Boom. In Buenos Aires gibt es farbenfrohe Street-Art, die meist von eingeladenen Künstlern stammt.
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Regionale Protestkulturen: London
London ist eine sehr engmaschig überwachte Stadt, was auch Einfluss auf die Graffiti-Szene hatte: Die Schriftzüge sind oft "quick and dirty" angebracht - viele haben einen fast aggressiven Stil. Im Windschatten der Stencils von Banksy, die 2000 auch der Kunstszene positiv auffielen, kam es zu einer Flut unorigineller Street-Art in East London - von Graffiti-Künstlern als "art fags" verspottet.
Bild: AP
Bansky oder Wie Street Art ins Museum kam
Der aus Bristol stammende Street-Art-Künstler Banksy ist Dreh- und Angelpunkt der Kommerzialisierung und Popularisierung von Street-Art. Auch wenn er mit seinen Inhalten und Aktionen für das genaue Gegenteil stehen will - nämlich für unabhängige, nicht-kommerzielle politische Inhalte. Seine Ausflüge in die Kunstwelt (oben: Bristol City Museum 2009) werden teils gefeiert, teils harsch kritisiert.
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Street Art For Sale
Im Jahr 2005 wurde bei Sothebys das erste Mal ein Druck von Banksy versteigert. Es übertraf den Schätzpreis um das Doppelte. Mit prominenten Sammlern wie Brad Pitt erreichte die Entwicklung drei Jahre später ihren Höhepunkt: 2008 wurde das erste Banksy-Werk für über eine Million Dollar versteigert.
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Street Art als Touristenmagnet
Street-Art ist bei Städtereisenden beliebt, gerade im Selfie-Zeitalter. Neben dem obligatorischen Besuch der East Side Gallery, sind auch Touren durch andere Street-Art-Highlights der deutschen Hauptstadt interessant geworden. Viele andere Städte bieten mittlerweile Street-Art-Führungen an - und auch so manche Tourismusbehörde hat Lunte gerochen.
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Street-Art für die ganze Familie
Fast jede mittelgroße deutsche Stadt hat heute eine Urban Art Gallery. Relativ neu sind dagegen große Infotainment-Veranstaltungen wie die Magic-City-Reihe. "Für die ganze Familie" angepriesen wird hier Street Art zu einem Großevent. Nach Dresden findet die Veranstaltung 2017 in München statt. Street Art als Familienunterhaltung - es ist fraglich, ob das im Sinne der Erfinder war.
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In den 1980er Jahren verbrachte der Künstler Niels Shoe Meulman ganze Nächte in München damit, illegal Züge zu besprühen, ständig auf der Hut vor Polizeistreifen, die ihn häufig genug erwischten. 31 Jahre später steht er in der gleichen Stadt vor einer neuen Arbeit, einem Auftragswerk, das ganz offiziell in der Ausstellung des "Magic City"-Festivals präsentiert wird. "Wir haben damals gedacht: Diese Stadt ist so steril, wir haben hier viel Arbeit vor uns", sagt der 49-jährige Holländer im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.
Streetart ist salonfähig geworden
Heute gehören einige der Street-Art-Künstler zu den weltweit beachteten Stars der Graffiti-Szene, beispielsweise der geheimnisvolle Banksy, dessen Identität bis heute nicht zweifelsfrei geklärt ist. Mit seinen großformatigen Wandarbeiten ist er rund um den Globus vertreten und auch in München ist er mit einer Arbeit dabei.
Banksy's "Flying Copper" ist in der Ausstellung "Banksy - King of Urban Art @ Munich" in der Galerie Kronsbein zu sehenBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe
Für den Kurator der "Magic City", Carlo McCormick, hat Straßenkunst immer eine soziale und damit auch politische Komponente. "Die Künstler geben ihre Werke der Öffentlichkeit immerhin kostenlos", sagt er. An den Kreativen, die er nach München geholt hat, schätzt er zwei Dinge besonders: ihr Herz und ihren Humor.
"Magic City" ist ein breit konzipiertes Ausstellungs- und Performance-Projekt, das sich von Stadt zu Stadt weiter entwickelt. Nach der Weltpremiere in Dresden gastiert es vom 13. April bis zum 3. September 2017 in München. Erwartet werden Besucher und Künstler aus aller Welt, die an den öffentlichen Happenings auch teilnehmen können. Danach zieht die Ausstellung weiter nach Stockholm, Paris und am Schluss nach Philadelphia/USA.