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Der lange Kampf um eine Nationalität

5. März 2019

Weltweit gibt es über zehn Millionen Staatenlose. Die im Libanon geborene Maha Mamo war lange eine von ihnen - bis Brasilien ihren Traum von Zugehörigkeit erfüllte. Nun kämpft Mamo für die Rechte anderer Staatenloser.

Maha Mamo Aktivistin für Staatenlose
Bild: Privat

Maha Mamo ist heute Brasilianerin. Sie lebt mit ihrer Schwester in Belo Horizonte im Südosten des Landes, kann einer geregelten Arbeit nachgehen, Auto fahren oder etwa für einen ihrer Vorträge ins Ausland reisen. Doch was sich wie ein normales Leben anhört, lag für Mamo lange in unerreichbarer Ferne. Sie und ihre Geschwister waren staatenlos. Sie hatten keine Staatsangehörigkeit, weder im Libanon, wo sie geboren wurden, noch in Syrien, wo ihre Eltern herkommen.

Der Vater, ein Christ, und die Mutter, eine Muslimin, seien von Syrien in den Libanon geflohen, weil die Familien ihre Beziehung nicht akzeptierten. "Im Libanon heirateten meine Eltern kirchlich, aber die libanesischen Behörden haben diese interreligiöse Ehe nicht anerkannt", erzählt Mamo.

Oft sind restriktive Gesetze Grund für Staatenlosigkeit

Als Folge dieser Konstellation waren Maha Mamo, ihre Schwester Souad und ihr Bruder Eddy von Geburt an staatenlos. Denn sowohl die syrische als auch die libanesische Staatsbürgerschaft erhält nur derjenige, dessen (durch Ehe anerkannter) Vater sie auch hat. Die Mutter dagegen kann ihre Nationalität nicht vererben. Im Libanon gilt zudem kein Geburtsortprinzip, das heißt, dort geboren zu sein, verhilft einem nicht zur Staatsbürgerschaft.

Die Familie Mamo noch vereint im Libanon Bild: Privat

Weltweit sind nach Informationen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR mindestens zehn Millionen Menschen staatenlos. Die Gründe dafür sind vielfältig, meistens spielen restriktive und diskriminierende Gesetze wie im Fall der Mamos eine Rolle. UNHCR zufolge können in 27 Ländern nur Männer ihre Staatsbürgerschaft an die Kinder weitergeben. Andere Länder enthalten etwa bestimmten Minderheiten und Ethnien die Staatsbürgerschaft vor, so wie Myanmar es bei den Rohingya praktiziert. Menschen können ihre Nationalität auch verlieren, wenn sich Staatsgrenzen ändern, oder ihnen durch Flucht und Krieg die Dokumente abhanden kommen.

"Es fühlt sich an wie ein Schattendasein"

Staatenlose Personen haben wenig Rechte und sehen sich mit vielen Einschränkungen und Hindernissen konfrontiert. Bei Mamo fingen die Probleme bei der Einschulung an: "Meine Mutter ging von Schule zu Schule und sprach mit allen Direktoren. Nach langer Suche erklärte sich eine einzige Schule bereit, mich und meine Geschwister aufzunehmen." Mamo, die gut Basketball spielte, konnte nie an offiziellen Wettbewerben teilnehmen. Auch an einer Universität angenommen zu werden, gestaltete sich später schwierig; sie schaffte es dennoch. Wenn Mamo zum Arzt musste, legte sie die Dokumente einer Freundin vor, um behandelt zu werden.

"Keine Geburtsurkunde zu haben, nichts, das sagt, wer du eigentlich bist, das fühlt sich an wie ein Schattendasein. Mit 16 realisierte ich, wie groß mein Problem eigentlich war", sagt Mamo. Daraufhin versuchte sie zunächst, mithilfe von Anwälten doch noch die libanesische oder syrische Staatsangehörigkeit zu erlangen. Als das nicht klappte, fing sie an, die Botschaften anderer Länder im Libanon zu kontaktieren: "Es war mir wirklich egal, welches Land ich da um Hilfe fragte, ich wollte einfach nur raus aus meiner Situation. Zehn Jahre lang erhielt ich nur Absagen."

Brasilien ließ die Geschwister als einziges Land einreisen

Mahas Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass Brasilien ihr und ihren Geschwistern schließlich 2014 erlaubte, als syrische Flüchtlinge einzureisen. "Brasilien akzeptierte uns zwar nicht als Staatenlose; zu der Zeit gab es im brasilianischen Recht gar keine Definition dafür. Aber die Leute von der Botschaft wollten uns trotzdem irgendwie helfen, und das war der Weg, den sie fanden." In Brasilien waren die Geschwister dann weitgehend auf sich alleine gestellt, sie kamen bei einer Familie in Belo Horizonte unter. Nach zwei Jahren wurde ihnen offiziell Asyl gewährt und eine Arbeitserlaubnis ausgestellt.

Mamo Ende 2018 bei einer Konferenz in São PauloBild: Privat

Mamo setzte sich zu der Zeit bereits als Fürsprecherin für Staatenlose weltweit ein, hielt Vorträge bei UNHCR-Veranstaltungen, gab Interviews und ließ sich filmen. Dann passierte etwas Tragisches, das Mamo aber umso entschlossener in ihrem Kampf gegen Staatenlosigkeit machte: "Mein Bruder wurde bei einem Raubüberfall getötet. Es machte mich so wütend, dass er als Staatenloser auf die Welt gekommen war und auch sterben musste - ohne Geburtsurkunde, ohne Sterbeurkunde, als hätte er nie existiert."

UNHCR fordert Gesetzesreformen

2017 trat in Brasilien ein neues Migrationsgesetz in Kraft, dass die Rechte von Einwanderern stärkte und zum ersten Mal auch Staatenlose miteinbezog. Damit ist das südamerikanische Land vielen anderen voraus. Für Mamo und ihre Schwester ebnete das neue Gesetz den Weg zur Einbürgerung. Im Oktober 2018 war es dann schließlich so weit. Sie wurden als erste Staatenlose zu brasilianischen Staatsbürgerinnen. Mamo kann es immer noch nicht fassen: "Auf einer UNHCR-Veranstaltung in Genf tauchte plötzlich Bernardo Laferté auf, der Koordinator des brasilianischen Flüchtlingskomittees, und gab es bekannt. Es fühlt sich immer noch wie ein Traum an. Unser jahrelanger Kampf war plötzlich vorbei. Mein Bruder wäre stolz auf uns."

Die Eltern - hier zu Besuch in Brasilien - könnten nun sogar nachziehenBild: Privat

Und Mamo ist stolz auf Brasilien. Zu offiziellen Anlässen trägt die 30-Jährige, die fast perfekt portugiesisch spricht, stets die brasilianische Flagge um den Hals. Sie will erreichen, dass auch andere Länder Gesetze ändern, um Staatenlosigkeit erst gar nicht entstehen zu lassen oder zu beenden. "Ich sehe es als meine Lebensaufgabe, ein größeres Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Jede Person, die durch mich etwas über Staatenlosigkeit lernt, ist ein Erfolg."

UNHCR startete 2014 die #IBelong-Kampagne, um Regierungen zu Reformen zu bewegen und den Millionen Staatenlosen zu Papieren und damit zu Rechten zu verhelfen. Bis 2024 will das Flüchtlingshilfswerk so Staatenlosigkeit beenden. Es ist ein ambitioniertes Ziel, dem das Erstarken nationalistischer Tendenzen in vielen Ländern allerdings entgegensteht.

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