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Mahnende Worte am Romaday

Marcel Fürstenau, Berlin8. April 2016

Ein breites gesellschaftliches Bündnis fordert Gleichberechtigung für Sinti und Roma. Es fallen auch Sätze, die wie eine Ohrfeige für die Bundesregierung klingen. Aus Berlin Marcel Fürstenau.

Eine Rose am Roma-Tag und Gedenkstätte Sinti und Roma NS-Opfer Rose (Foto: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld)
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

"Ich wünsche mir einen würdigen Umgang mit Sinti und Roma", sagt der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Mark Dainows Satz ist kaum verklungen, als eine Frauenstimme zu hören ist: "Keine Abschiebung!", ruft die Unbekannte laut und vernehmlich. Sie spricht etwas aus, was Staatsministerin Aydan Özoğuz peinlich berühren dürfte. Die Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration vertritt beim Romaday am Freitag in Berlin die deutsche Regierung. Und die schiebt Menschen in sogenannte sichere Drittstaaten ab. Betroffen sind auch Sinti und Roma, die in ihren Herkunftsländern diskriminiert und verfolgt werden.

"Eine zivilisierte Gesellschaft respektiert Menschenrechte", sagt Zoni Weisz ein paar Minuten später und erhält dafür viel Beifall. Der aus den Niederlanden stammende Sinto ist "auf wundersame Weise der nationalsozialistischen Mordmaschine entkommen". Aber die Gesellschaft habe "fast nichts" aus der Geschichte gelernt. "Sonst würde man heute verantwortungsvoller mit uns umgehen", kritisiert Weisz.

Romani Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma, Zeitzeuge Zoni Weisz, Bundespräsident Joachim Gauck (v.r.n.l.)Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Sinti und Roma hätten politisch in den meisten Ländern keinerlei Einfluss. Damit sich daran etwas ändert, erwartet Weisz indirekt aber auch mehr Engagement von seiner eigenen Bevölkerungsgruppe. Die eigenen Netzwerke sollten erweitert werden. "Wir müssen die Opferrolle hinter uns lassen und vollwertig Bürger sein", verlangt er von der größten europäischen Minderheit.

Kränkende Denkmal-Schändung

Schätzungen über die Zahl der Sinti und Roma schwanken stark - zwischen sechs und zwölf Millionen sollen es sein. Man müsse offen für andere Kulturen sein, appelliert Weisz an alle europäischen Gesellschaften. "Dann kommt es zu einer gegenseitigen Befruchtung."

Wie schwer das fallen dürfte angesichts des Vormarsches rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Gruppen, weiß er nur zu gut. "Die Lage in Europa ist angespannt und wird sich wahrscheinlich nicht verbessern", befürchtet der 79-Jährige. Er steht in diesem Moment direkt neben dem 2012 eingeweihten Mahnmal für die in der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma. Auch damals sprach Weisz mahnende Worte. Im Oktober vergangenen Jahres wurde der Gedenkort mit Hakenkreuzen und dem Wort "Vergasen" beschmiert. "Die Schändung des Denkmals trifft uns tief ins Herz".

Rosen der Erinnerung, die in den Teich des Denkmals für die Sinti und Roma geworfen werdenBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Staatsministerin Özoğuz, die zum Auftakt der Kundgebung spricht, erinnert an die lange Geschichte des Antiziganismus, wie die Diskriminierung von Sinti und Roma bezeichnet wird. Die Sozialdemokratin erwähnt auch das skandalöse Urteil des Bundesgerichtshofs 1956, in dem die Verfolgung der Minderheit gerechtfertigt wurde. In Deutschland gebe es eine jahrhundertealte Tradition der Sinti und Roma, doch die meisten Menschen wüssten "außer ein paar Stereotypen" so gut wie nichts über sie, kritisiert die Politikerin. Deshalb fordert sie, dem Thema in Bildungseinrichtungen mehr Platz einzuräumen.

Hip-Hop für Gauck

Moderiert wird die eineinhalb Stunden dauernde Kundgebung vom Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Uwe Neumärker bedankt sich besonders bei Bundespräsident Joachim Gauck für sein Erscheinen und damit für sein "derart sichtbares Zeichen gegen Antiziganismus". Das Staatsoberhaupt nimmt am Ende der Veranstaltung bei strahlendem Sonnenschein den Dank der singenden Brüder Kefaet, Hikmet und Selami Prizremi entgegen. Gauck darf sich nämlich die Hip-Hop-Musik des Trios "reinziehen", wie sie es stilecht formulieren.

Kefaet und Hikmet stammen aus dem Kosovo, Selami kam in Deutschland zur Welt. Sie sind Roma. Zwei der drei Brüder wurden 2010 nach Prizren abgeschoben. Sie kehrten fünf Jahre später über Serbien und Ungarn nach Deutschland zurück. Anträge auf Asyl waren erfolglos. Alle drei können jederzeit abgeschoben werden. Im Moment leben sie geduldet in Deutschland. Jede verlängerte Aufenthaltsgenehmigung hat die Dauer von einem Monat.

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