Maja T. setzt Hungerstreik im Budapester Gefängnis fort
18. Juni 2025
Seit dem 5. Juni befindet sich Maja T. im Hungerstreik. Die gesundheitlichen Folgen sind nach Einschätzung des Vaters Wolfram Jarosch, der zu jedem Prozesstag nach Budapest reist, gravierend: starker Gewichtsverlust, zunehmende Müdigkeit, eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit.
Am Mittwoch (18.06.2025) sei sein Kind eigenen Angaben zufolge von einem Arzt zunächst für verhandlungsunfähig erklärt worden, bevor der Mediziner seinen Befund auf Drängen von Gefängnisverantwortlichen verändert haben soll.
Maja T. musste dann doch im Gerichtssaal erscheinen. Das sei ein Skandal, sagt Jarosch. "Ich fordere eine regelmäßige und unabhängige Untersuchung Majas durch einen deutschen Arzt."
Von der deutschen Politik fühlt sich der Vater im Stich gelassen. Schon am 12. Juni, eine Woche nach Beginn des Hungerstreiks seines Kindes, appellierte er an die deutsche Regierung, sich mehr zu engagieren: "Diese Quälerei muss ein Ende haben. Herr Bundesaußenminister Wadephul, holen Sie Maja zurück nach Deutschland!"
Ein kleiner Erfolg: Hofgang mit anderen Gefangenen
Immerhin hat der Hungerstreik zu Hafterleichterungen geführt: Maja T. darf jetzt eine Stunde täglich mit vier anderen Gefangenen zum Hofgang die Zelle verlassen. Vorher galt Isolationshaft ohne Kontakt zu anderen Häftlingen. "In Ungarn müssen Gefangene erst in den Hungerstreik treten, damit auch nur über die Frage einer menschenwürdigen Unterbringung nachgedacht wird", empört sich Jarosch.
Sollte der Prozess trotz Maja T.s angeschlagenem Gesundheitszustand auch am Freitag fortgesetzt werden, könnte über den Antrag auf Verlegung in einen Hausarrest entschieden werden. Wichtigstes Ziel der Angeklagten und des Vaters bleibt jedoch die Rückkehr nach Deutschland, wo sich beide einen rechtsstaatlich fairen Prozess erhoffen.
"Ich kann die Haftbedingungen in Ungarn nicht weiter ertragen"
Über die Zustände im Gefängnis hat sich Maja T. schon oft beklagt, so auch zu Beginn des Hungerstreiks: "Ich kann die Haftbedingungen in Ungarn nicht weiter ertragen. Meine Zelle war über drei Monate rund um die Uhr videoüberwacht. Ich musste über sieben Monate außerhalb meiner Zelle immer Handschellen tragen."
Die Schikanen erklärt sich Maja T. auch damit, dass sie non-binär ist. So werden Menschen bezeichnet, die sich weder als ausschließlich weiblich noch männlich identifizieren.
Sie haben es in Ungarn, einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union (EU), grundsätzlich schwer. Anfang 2025 wurde in dem von Viktor Orbán autoritär regierten Land ein Gesetz beschlossen, mit dem Veranstaltungen wie der Christopher Street Day (CSD) verboten werden können.
Keine Hoffnung auf einen rechtsstaatlichen Prozess
Maja T. hat schon längst die Hoffnung auf ein faires Strafverfahren aufgegeben. Im Juni 2024 war T. von Deutschland an Ungarn ausgeliefert worden. Der Prozess hat am 21. Februar begonnen.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem aus Jena (Thüringen) stammenden Häftling vor, im Februar 2023 in Budapest mehrere Menschen überfallen und schwer verletzt zu haben. Die Opfer hatten sich am sogenannten "Tag der Ehre" beteiligt, einem jährlich stattfindenden Aufmarsch von Neonazis aus ganz Europa.
Maja T. lehnt ein Schuldgeständnis ab
Zum Auftakt des Strafverfahrens wurde T. in Handschellen und mit Fußfesseln von Sicherheitspersonal an einer Leine in den Gerichtssaal geführt. Die Staatsanwaltschaft machte das Angebot, ein Schuldgeständnis abzulegen und dafür ohne weitere Verhandlung 14 Jahre Haft zu akzeptieren.
Darauf ließ sich T. aber nicht ein und gab stattdessen eine sechsseitige Erklärung mit deutlicher Kritik an Ungarn ab: "Es ist ein Staat, der ganz offen Menschen wegen ihrer Sexualität oder ihrem Geschlecht ausgrenzt und separiert. Ich bin angeklagt von einem europäischen Staat, weil ich Antifaschist*in bin."
Zum Inhalt der Anklage - mehrfache schwere Körperverletzung - äußerte sich T. nicht. Auseinandersetzungen zwischen militanten Antifaschisten und Neonazis gibt es immer wieder, auch in Deutschland.
Eine Gruppe um die Linksextremistin Lina E. wurde dafür 2023 vom Oberlandesgericht Dresden (Sachsen) zu Haftstrafen von maximal fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Für Maja T. könnte es wesentlich schlimmer kommen: Bis zu 24 Jahre sind nach ungarischem Recht möglich.
Auslieferung nach Ungarn war rechtswidrig
Vor einem deutschen Gericht wäre die Aussicht auf ein deutlich milderes Urteil garantiert. Was den Fall besonders brisant macht: T.s Auslieferung von Deutschland nach Ungarn war rechtswidrig.
So hat das Bundesverfassungsgericht Ende Januar entschieden. Dabei wurde ausdrücklich auf die Grundrechtecharta der Europäischen Union (EU) verwiesen und das damit verbundene Verbot unmenschlicher Behandlung.
Verantwortlich für die unrechtmäßige Auslieferung ist das Berliner Kammergericht, dem das Bundesverfassungsgericht schwere Versäumnisse vorwirft: So seien unter anderem aktuelle Informationen zu Überbelegung und Haftbedingungen in ungarischen Gefängnissen nicht ausreichend geprüft worden.
Was T. in einem ungarischen Gefängnis befürchtete, ist in der Verfassungsbeschwerde aufgelistet: unzureichende hygienische Bedingungen, mangelnder Zugang zu warmem Wasser, Bettwanzen, schlechtes und wenig Essen, extreme Temperaturen im Winter und im Sommer, schlechte Belichtung und Belüftung der Zellen, Gewalt gegen Häftlinge durch Mithäftlinge und Gefängnis-Personal, rechtsstaatliche Defizite.
Neben Wolfram Jarosch kümmern sich mehrere Abgeordnete der deutschen Linken um Maja T. Die Europa-Parlamentarierin Carola Rackete war schon zweimal zu Besuch und konnte mit dem Sicherheitspersonal auch über die Haftbedingungen sprechen. Dabei habe man ihr gesagt, die Isolationshaft sei "von oben" angeordnet worden, berichtet sie im DW-Gespräch.
Entwürdigende Sicherungsmaßnahmen im Gefängnis
Während die anderen Inhaftierten in Mehrbett-Zellen untergebracht sind und gemeinsam Hofgang haben, ist Maja T. auf sich allein gestellt. Angeblich wegen der non-binären Identität. Von einer Verlegung in eine Zelle mit anderen Personen sei noch nie die Rede gewesen. Dass sich daran etwas ändern könne, hält Rackete für unwahrscheinlich.
Die Europa-Abgeordnete fordert Bundeskanzler Friedrich Merz und die deutsche Regierung auf, Druck auf Ungarn auszuüben: Wenn man sich ernsthaft von Rechtsextremen abgrenze und für demokratische Werte einsetzen wolle, dürfe man nicht untätig zusehen, wie Orbans Regime in ungarischen Gerichten Menschenleben zerstöre.
Racketes Partei-Kollege im Europaparlament, Martin Schirdewan, will Maja T. am Freitag im Gefängnis besuchen. "Die gesundheitsgefährdende Entscheidung von Maja T., in den Hungerstreik zu treten, ist ein letztes verzweifeltes Mittel, um auf die eigene prekäre Situation aufmerksam zu machen." Die Bundesregierung dürfe nicht weiter wegschauen, wie Ungarn ein Exempel an der antifaschistischen Person statuiere, meint Schirdewan.
Keine weitere Auslieferung mutmaßlicher Linksextremisten
Mehr Glück als Maja T. hatten sechs lange untergetauchte mutmaßliche Linksextremisten, die sich 2023 ebenfalls an den Überfällen auf vermeintliche Neonazis in Budapest beteiligt haben sollen. Die Gruppe hat sich im Januar freiwillig den deutschen Behörden gestellt. Eine Auslieferung nach Ungarn müssen sie offenbar nicht befürchten, wie die Bundesanwaltschaft der DW auf Anfrage bestätigte.
Demnach wurde den für Auslieferungsverfahren zuständigen Generalstaatsanwaltschaften schriftlich mitgeteilt, dass die Ermittlungen in Deutschland vorrangig seien. Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden Anklage gegen sie erhoben.
Dieser Artikel basiert teilweise auf einem Text, der am 21.02.2025 veröffentlicht und am 05.06.2025 aktualisiert wurde, nachdem Maja T. in den Hungerstreik getreten war.