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Einfach so abgeknallt

Ines Pohl5. Juli 2016

Kurz vor seinem 16. Geburtstag wurde Malek Mercer erschossen. Der Mörder hatte es auf seinen Designergürtel abgesehen. Ein alltäglicher Mord. Und vermutlich kein Grund für neue Waffengesetze. Aus Washington Ines Pohl.

USA Reportage Waffengewalt Malek Mercer (Foto: DW/F. Kroker)
Noch ein Opfer willkürlicher Waffengewalt: Der junge Mercer starb durch einen GenickschussBild: DW/F. Kroker

Ein Staubsauger, ein großer Ventilator, eine schwarze Sofaecke mit schwarz weißen Kissen im Zebralook, ein Fernsehapparat. Das ist alles, was in Sharon Becks Wohnzimmer steht. Die Sozialwohnung liegt in Oxon Hill, südöstlich von Washington. Der Teppichboden ist beige und etwas fleckig. Die Wände leer. Bis auf die große Fläche gleich links, wenn man zur Tür hineinkommt.

Ein großes Lächeln überstrahlt von dort aus das Gefühl der Verlorenheit, das einen überkommt, wenn man den Raum betritt. Fotos von Malek Mercer als Baby, als Kleinkind, als Teenager, mit seinen Kumpels, seiner Cousine, auf dem Arm seiner Mutter, mit Rockergeste, Baseballcap und Kopfhörern, die lässig über die Ohren baumeln.

Die Fotos sind rund, eckig oder in Herzform, mit Tesafilm auf weiße Pappe geklebt. Verziert mit Unterschriften und Wünschen in verschiedenen Farben von Freunden, seiner Familie. Eine Collage haben seine Mitschüler gebastelt. Auch die Lehrerin hat unterschrieben. Dazwischen klebt ein glitzernder Happy-Birthday-Luftballon, flach, ohne Füllung. Er ist vom vergangenen Jahr. Über allem schwebt ein gefüllter Ballon. An der Wand lehnt ein kleines Tischchen mit Kerzen.

Mutter Sharon Becks: "Wie viele Kinder müssen noch sterben, bevor endlich etwas passiert?"Bild: DW/F. Kroker

Malek hatte keine Chance

Malek Mercer war 15 Jahre alt, als er starb. Eine Woche vor seinem 16. Geburtstag schoss ihn ein Unbekannter ins Genick. Im Bus war es zu einer Kabbelei gekommen, seine Freunde erzählen, der Mann hätte Maleks Designergürtel gewollt.

Drei Tage lang kämpfte Malek um sein Leben. Dann versagte das Gehirn endgültig. Die Geräte wurden abgeschaltet. Er hatte keine Chance. Der Schuss hatte seine Wirbelsäule zerschmettert, die Versorgung des Gehirnes abgerissen. An dem Tag hatten die Schulsommerferien begonnen. Drei Tage später wäre er 16 Jahre alt geworden.

Mutter Sharon Becks hatte das Geburtstagsgeschenk schon gekauft. Eine Armbanduhr mit Superman-Ziffernblatt. Schon als Kind hatte Malek Superman geliebt. Die Uhr hat Sharon ihm mit ins Grab gegeben. Auch einen Superman-Aufkleber vom Auto seines älteren Bruders.

Bevor Malek Mercer an jenem Tag zur Schule ging, verabschiedete er sich wie immer. "Er umarmte mich fest und sagte, dass er mich liebt", erinnert sich Sharon. "Dann ging er weg, und ich ging zur Arbeit. Ich wusste natürlich nicht, dass das der letzte Kuss oder die letzte Umarmung von ihm sein würde. Er verabschiedet mich immer so und sagt dass, er mich liebt."

"Nichts ist sicher hier"

Sharon Becks rutscht ins Präsens, wenn sie erzählt, wie sie ihren Sohn das letzte Mal umarmt hat. So viele Nächte hatte sie Angst um ihn gehabt in seiner wilden Phase. Aber im vergangenen Jahr war er vernünftig geworden, schien durch die schlimmsten Zeiten seiner Pubertät durch, sagt sie. "Ich habe mir eigentlich keine Sorgen mehr gemacht um ihn. Und dann ist es passiert. Nichts ist sicher hier. Es ist verrückt."

Großrazzia gegen Straßengangs: Auch der Mörder von Malek Mercer war schon öfter mit der Polizei in Konflikt geratenBild: picture-alliance/AP Photo/New York Police Department

Washington DC ist ein gefährliches Pflaster, besonders für junge schwarze Männer. Allein im Großraum Washington starben im vergangenen Jahr 202 Menschen an ihren Schussverletzungen. Deshalb wollte Sharon Becks unbedingt raus, weit weg von den Vierteln, in denen die Menschen arm sind, schwarz sind und wo am meisten geschossen wird.

Am liebsten würde die 43-Jährige ganz weit wegziehen und ihre Kinder mitnehmen. Sie hat noch einen Sohn und zwei Töchter. Und schon zwei Enkelkinder. Der jüngste, Mason, wurde zwei Monate vor dem Tod Maleks geboren. Der Säugling ist oft bei ihr. Gibt ihr Kraft und Hoffnung.

Fataler Freigang

Es gibt keinen Morgen, an dem Sharon ohne Tränen in den Augen aufwacht. An Malek denkt und seinen Mörder Derryck Antjuan Decuir. Einen 22-Jährigen, der schon mehrmals mit der Polizei in Konflikt geraten war. Wegen Drogendealerei, einer Messerstecherei und illegalem Waffenbesitz. Eigentlich war er zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden. An dem Abend, an dem er Malek erschoss, war er allerdings gerade auf Freigang. Die Polizei faste ihn nur wenige Stunden nach dem Mord an Malek.

"Es ist schwer, das Leben meines Sohnes in Jahren aufzuwiegen. Aber das ist alles, was sie machen können, den Täter zu mehr Jahren Haft zu verurteilen. Es ist einfach sehr schwer."

Sharon kämpft mit den Tränen. Und sie kämpft mit ihrer Wut. Sie ist es leid, dass jeden Tag junge Menschen, sogar Kinder sterben, einfach, weil "irgendwelche Typen in der Gegend herumballern und die Querschläger Menschen töten". Oder weil irgendjemand einen Gürtel haben möchte, oder ein Mobiltelefon. Und deshalb mordet.

Im Namen der Opfer: Demokratische Abgeordnete forderung eine Verschärfung der WaffengesetzeBild: picture-alliance/dpa/J. lo Scalzo

"Gewalt durch Schusswaffen ist ein großes Thema in Washington. Es gibt viel Gerede darüber, was man tun sollte, aber es gibt immer noch viel zu viele Tote. Ich will endlich Taten sehen, und nicht nur das Geschwätz hören", fordert sie im Namen aller Opfer willkürlicher Gewalt.

Sitzblockade im Kongress

Auch viele Abgeordnete haben die ewigen Debatten satt. Sie wollen nicht mehr über schärfere Waffengesetze diskutieren, während an jedem Tag im Durchschnitt sieben Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren durch Waffengewalt ums Leben kommen, pro Jahr sind es insgesamt 25.000 Menschen in den Vereinigten Staaten. Am Dienstag wollen die Demokratischen Kongressabgeordneten wieder zivilen Ungehorsam üben und mit einer Sitzblockade im Parlament für schärfere Waffengesetze protestieren.

"Wie viele unserer Kinder müssen denn noch sterben, bevor endlich etwas passiert?", fragt Sharon Becks. Ihre Augen blicken dabei so gebrochen wie ihre Stimme klingt. Sie glaubt nicht daran, dass sich jemals etwas ändern wird. Zu stark, zu mächtig sei die Waffenlobby. Und die Politiker zu ängstlich, es sich mit ihren Wählern zu verderben. Sharon Becks Sorge gilt jetzt ihren anderen Kindern und Enkelkindern. "Nochmal ein Kind zu verlieren, das wäre hart, zu hart."

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