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ReiseSpanien

Mallorca ohne Touristen - eine Insel am Limit

19. Januar 2021

Durch die Corona-Pandemie droht der Lieblingsinsel der Deutschen der Kollaps. Doch wann die Urlauber wiederkommen können, ist derzeit noch vollkommen ungewiss.

Spanien | Coronavirus | Mallorca
Verwaiste Einkaufsstraße in Palma de MallorcaBild: Xavier Bonilla/NurPhoto/picture alliance

"Es ist eine Katastrophe", sagt Stefan Huber, Inhaber eines Delikatessengeschäfts mitten in Palmas Altstadt. "Wir haben einen Umsatzrückgang von 90 Prozent im Vergleich zum Vorjahr." Sollte der Tourismus auf Mallorca nicht bald wieder losgehen, wird es für den gebürtigen Frankfurter eng. Die Fixkosten in einer der gefragtesten Einkaufsstraßen der Inselhauptstadt sind hoch. Obwohl sein Vermieter ihm etwas Rabatt gewährt und er seine Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt hat. "Irgendwann sind die Reserven aufgebraucht."

Stefan Huber in seinem Delikatessenladen: Wie lange er noch durchhält, ist ungewissBild: Jonas Martiny

Viele Einzelhändler in seiner Nachbarschaft haben bereits aufgegeben. "Zu vermieten", steht alle paar Meter an einem verrammelten Ladenlokal. Über den Rathausplatz gleich um die Ecke schlendern an diesem Wintervormittag nur ein paar Rentnerinnen. Mitten im Januar ist hier nie viel los. Aber die eine oder andere Urlaubergruppe würde gewiss ein paar Selfies vor dem knorrigen Olivenbaum schießen oder auf einer der sonnigen Bar-Terrassen beim Milchkaffee sitzen. Wenn die Corona-Pandemie nicht wäre.

80 Prozent weniger Touristen

In diesem Winter ist alles anders. Sämtliche Cafés und Restaurants haben geschlossen, ebenso die beiden schicken Hotels, von deren Zimmern man direkt auf die Barock-Fassade des Rathauses blickt. Seit die deutsche Bundesregierung Mallorca im August zum Risikogebiet erklärte, findet auf der Insel praktisch kein Tourismus mehr statt. Laut dem balearischen Statistikamt kamen im Jahr 2020 nur zwei Millionen Urlauber nach Mallorca - ein Minus von mehr als 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, als es noch fast zwölf Millionen waren. Statt 15 Milliarden Euro wie im Jahr 2019 gaben die Touristen auf den Balearen im abgelaufenen Jahr nur 1,8 Milliarden Euro aus.

Ganz für sich haben die Spaziergänger die Playa de Palma in diesen TagenBild: Jonas Martiny

Mallorca ist extrem abhängig vom Geschäft mit den Urlaubern, das mehr als ein Drittel der Wirtschaftsleistung ausmacht. Jeder dritte Arbeitnehmer ist in Hotellerie oder Gastronomie beschäftigt, dazu kommen Einzelhändler wie Stefan Huber, die ebenfalls auf den Tourismus angewiesen sind, und weitere Branchen, die indirekt von diesem profitieren. Gerät der Motor ins Stottern, hat das sofort Folgen. Die Zahl der Arbeitslosen ist in den vergangenen Monaten in die Höhe geschnellt. Ende 2020 waren es auf den Balearen fast 85.000, etwa 23.000 mehr als ein Jahr zuvor.

"Ohne Urlauber kommt alles zum Stillstand"

Corona lässt die Armut wachsen

02:37

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Was das für die Menschen bedeutet, erlebt Miguel Ángel Colom tagtäglich aus nächster Nähe. Er ist Vorsitzender einer Bürgervereinigung in Palma, die Lebensmittel an Bedürftige verteilt. Seit Monaten wird die Schlange derjenigen, die sich hier ihr Paket mit Nudeln, Zucker, Öl und Konserven abholen, immer länger. "Die Lage wird prekärer", sagt Colom. "Wir leben nun einmal vom Tourismus. Ohne Urlauber kommt hier alles zum Stillstand." Im Laufe des Corona-Jahres hat sich die Zahl der Familien, die bei ihm Hilfe suchen, auf 600 verdoppelt. Früher seien vor allem Einwanderer betroffen gewesen. "Mittlerweile kommen auch Mallorquiner. Leute, die nie auch nur daran gedacht hätten, dass sie irgendwann mal zur Tafel müssen."

Die Not wird immer größer: Miguel Ángel Colom versorgt Bedürftige mit LebensmittelnBild: Jonas Martiny

Die spanische Sozialhilfe reicht vielen nicht und auch das Geld aus den Corona-Programmen kommt längst nicht bei allen an. Im Sozialamt der Stadt wurden im vergangenen Jahr 36.000 hilfesuchende Menschen vorstellig, berichteten Inselmedien kürzlich - das sind fast zehn Prozent der Einwohner Palmas. Das Allerschlimmste hat die Regierung bisher abgewendet, indem sie seit Monaten großzügige Kurzarbeitsregelungen finanziert. Zum Jahreswechsel profitierten auf den Balearen fast 31.000 Arbeitnehmer davon. Schwierig ist die Situation derzeit vor allem für die Unternehmen und Selbständige wie Helmut Clemens.

Der deutsche Gastronom betrieb in Palmas Innenstadt bis vor Kurzem drei Lokale. Jetzt sind es nur noch zwei. Eines musste er mangels Rentabilität bereits schließen. "Wir stehen kurz vorm Abgrund", sagt er. Das liegt nicht nur an den ausbleibenden Touristen, sondern auch an den coronabedingten Einschränkungen der vergangenen Monate. Neuerdings dürfen Bars und Restaurants auf der Insel nur noch Liefer- und Außer-Haus-Service anbieten. Einen finanziellen Ausgleich für die Verluste gebe es nicht, sagt Clemens, der auch Vize-Vorsitzender des mallorquinischen Gastronomomenverbandes ist. Innerhalb eines Jahres seien allein in seiner Branche 17.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. "Ich gehe davon aus, dass es 40 Prozent aller Gastronomiebetriebe nicht schaffen werden."

Die Verzweiflung wächst: Mallorquiner demonstrieren am 13. Januar gegen die Verschärfung der Corona-Maßnahmen Bild: Isaac Buj/EUROPA PRESS/dpa/picture alliance

Saisonstart zu Ostern wird wohl nichts

Entsprechend angespannt ist die Lage. Das zeigte sich bei der Demonstration in der vergangenen Woche, als mehrere Tausend wütende Gastronomen trotz Verbots durch Palmas Innenstadt zogen, den Verkehr lahmlegten, Eier warfen und den Rücktritt der Regionalregierung forderten. Die steckt allerdings im Dilemma. Zum einen arbeitet sie an einer Strategie, um den Tourismus möglichst bald wieder anzukurbeln, andererseits versucht sie verzweifelt, die seit Wochen steigenden Infektionszahlen unter Kontrolle zu bekommen.

Die Quarantäne-Regelungen und die vorgeschriebenen PCR-Tests machen Reisen nach Mallorca derzeit nahezu unmöglich. Und das wird sich wohl auch so bald nicht ändern. Zumindest hinter vorgehaltener Hand räumen die Hoteliers der Insel ein, dass sie schon nicht mehr mit dem üblichen Saisonstart in der Osterwoche rechnen. Vermutlich werde es frühestens im Juni wieder aufwärts gehen. Für Stefan Huber könnte das zu spät sein. "Ich habe mir den Juni als Deadline gesetzt", sagt er. "Wenn es bis dahin nicht wieder aufwärts geht, mache ich dicht. Endgültig."