Mallorca und der Hai
27. Juni 2017Hunderte Badegäste liefen am Wochenende auf Mallorca schreiend und von Panik gepackt aus dem Wasser. Mehrfach hatte sich unweit der Inselhauptstadt Palma ein Blauhai der Küste genähert. "Tiburón!" (Hai) brüllten viele an den Stränden von Illetes, Cala Major und Can Pastilla. Angst und Sorge wichen am Montag allerdings immer mehr der Empörung.
Auf den Homepages der Regionalzeitungen protestierte die Mehrheit der Leser dagegen, dass ein von der spanischen Küstenwache am Sonntagabend gefangenes Tier noch am Strand von Can Pastilla in Ballermann-Nähe vor Dutzenden Schaulustigen eingeschläfert wurde. "Wilde!", schrieben einige. Ein Leser klagte bei "Última Hora", man hätte das Tier doch ins Aquarium von Palma bringen und zwecks möglicher Rettung zumindest zwei Tage lang beobachten und behandeln können. "Aber klar, einschläfern kommt billiger." Ein anderer Leser mutmaßte, man habe kurzen Prozess gemacht, weil das Tier es gewagt habe, die "Bojen der Hoteliers zu passieren". Die Furcht vor Stornierungen wurde aber kurz vor Beginn der Rekord Sommersaison vorerst nicht geäußert. Der Tourismusverband der Insel ließ eine Anfrage dazu unbeantwortet.
Hai war am Kopf verletzt
Meeresbiologen des Aquariums von Palma wurden von Medien mit den Worten zitiert, man habe den etwa eineinhalb Meter langen Hai erlösen müssen, weil er wegen einer irreparablen Angelhaken-Verletzung am Kopf gelitten habe. Es habe keine Alternative gegeben. Das bestätigte die regionale Tierschutz- und Umwelt.-Organisation GOB. "Solche Hochseehaie nähern sich der Küste nur dann, wenn sie gravierende Gesundheitsprobleme haben. In diesem Fall hat ein Haken wohl schlimme innere Verletzungen verursacht", sagte GOB-Sprecher Toni Muñóz.
Haisichtungen seien nichts Sensationelles. Erst im Mai 2016 sei ein noch größerer Blauhai am Hafen von Palma gesichtet, gefangen und wieder ins offene Meer gebracht worden. Die Strandbesucher versucht Muñóz zu beruhigen: "Solche Tiere stellen keine wirkliche Gefahr für die Menschen dar". Der Experte betont, dass Haie weltweit nur sehr selten für erwähnenswerte Attacken auf Menschen sorgen.
"In ganz Spanien wurden seit 1847 insgesamt nur sechs schwere Haiangriffe auf Menschen registriert", sagte er. Es gebe kleinere Beißattacken, die aber seltener und ungefährlicher seien "als etwa Stiche von Rochen, Spinnenfischen oder anderen Meeresbewohnern".
Kritik an Fischereimethoden
Muñóz und auch deutsche Experten wollen derweil klarmachen: Die Opfer sind hier nicht die in Panik versetzten Badegäste oder gar die Hoteliers. Nein, das Opfer seien der verirrte und verletzte Blauhai vom Wochenende sowie unzählige andere Meeresbewohner. Und Übeltäter seien nicht die Meeresbiologen, die in Can Pastilla zur Erlösung des Tiers gezwungen waren. Es seien vielmehr die Fischereiflotten und deren umstrittene Fangmethoden.
Denn Haie, Meeresschildkröten und andere Tiere verbeißen sich oft in einem der Tausenden Angelhaken, die an kilometerlangen Schleppleinen durch die Meere gezogen werden. Selbst wenn die Tiere von Fischern von den Haken befreit werden, verenden viele an den Verletzungen. Dazu sagt Muñóz: "Es gibt vor der Küste Mallorcas und anderer Balearen-Inseln zu diesem Zeitpunkt auch in Küstennähe sehr viele weitere verletzte Haie."
WWF-Experte Jörn Ehlers legt den Finger in dieselbe Wunde. "Sie können ganz beruhigt baden gehen", sagte er einer Journalistin und fügte sarkastisch an, da gebe es "schlimmere Gefahren - die Plastiknetze, in denen Sie sich verheddern könnten. Aber meistens passiert das den Haien".
Der Chef der internationalen Hai-Schutzorganisation Sharkproject, Gerhard Wegner, sagte, er sei "entsetzt" über die überzogenen Reaktion auf die Sichtung eines "unterernährten, desorientierten, verwundeten" Blauhais. "Dass es nach 20 Jahren Aufklärungsarbeit diese Panik-Reaktionen gibt, ist schon Wahnsinn." Obwohl es im Mittelmeer eine große Hai-Population gebe, seien Unfälle extrem selten. Der letzte tödliche Unfall habe sich 1998 ereignet. Anders sei das etwa in Südafrika, wo Haie in Landnähe Robben jagten und Schwimmern eher gefährlich werden.
Emilio Rappold dpa)