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Politik

Mafiainsel Malta?

3. November 2017

Nach dem Mord an einer investigativen Journalistin glauben immer mehr Malteser, dass das politische System des Inselstaates faul ist. Von der jetzigen Regierung erwarten sie weder Aufklärung noch Besserung.

Malta Protest nach Mord an Journalistin Daphne Caruana Galizia
Bild: James Bianchi/Mediatoday

Spätestens am 16. Oktober 2017 hat die kleine Mittelmeerinsel Malta in den Augen der Weltöffentlichkeit ihre Unschuld verloren. Die 53-jährige Journalistin Daphne Caruana Galizia war an diesem Tag durch eine Autobombe getötet worden. Zuvor schon hatte sie mehrfach Morddrohungen erhalten. Sie hatte über mögliche Verwicklungen der Familie von Ministerpräsident Joseph Muscat in undurchsichtige Finanzgeschäfte recherchiert.

Was also ist los im Inselstaat Malta, der schon wegen seiner EU-Mitgliedschaft hohe rechtsstaatliche Anforderungen erfüllen müsste? Ganz aus heiterem Himmel kommen die Zweifel jedenfalls nicht. Die EU-Kommission hatte sich 2016 die Medienlandschaft Maltas angesehen und war zu dem beunruhigenden Ergebnis gekommen, dass dort, verglichen mit allen anderen EU-Staaten, "Medien außerordentlich stark in der Hand politischer Parteien sind", und dass "wegen des Fehlens von Maßnahmen bei Regulierung und Selbstregulierung" die redaktionelle Unabhängigkeit der Nachrichtenmedien schwach sei.

Die Beisetzung von Daphne Caruana Galizia am 3. NovemberBild: Reuters/A. Bianchi

Schwache Medien, starke Finanzwirtschaft

Stark ist dagegen die Finanzwirtschaft auf Malta. Die Insel wird als Steuerparadies klassifiziert; die EU-Mitgliedschaft hat daran nichts geändert. Im Gegenteil: seit dem EU-Beitritt Maltas im Jahr 2004 und den damit verbundenen Möglichkeiten des Binnenmarktes hebt die Finanzbranche erst richtig ab. Ministerpräsident Muscat dagegen meinte kürzlich in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters: "Der Finanzsektor ist so transparent, solide und regelkonform wie jeder andere in Europa."

Viele Malteser, aber auch Beobachter von außen sehen in der Kombination aus schwach ausgeprägten Medien und einflussreicher Kapitallobby ein strukturelles Problem. Sie wundern sich auch nicht, dass die Polizei angesichts einer Welle von Attentaten ohnmächtig erscheint: In den vergangenen zwei Jahren hat es auf Malta sechs Anschläge mit Autobomben gegeben - keiner wurde bisher aufgeklärt.

Protestplakat: "Schmutziges Geld" im Kreislauf maltesischer ParteienBild: James Bianchi/Mediatoday

Misstrauen gegenüber dem System Muscat

Viele Malteser sind die Zustände leid und glauben bereits, die Demokratie sei stark ausgehöhlt. Bei einer Demonstration mit tausenden von Menschen am vergangenen Sonntag hieß es auf Spruchbändern "Man wird uns nicht zum Schweigen bringen" und "Unser Land hat es besser verdient". Der Blogger Jacques Zammit sagte in einer Rede während der Kundgebung: "Der Staat dient nicht mehr dem Land, sondern den inneren Machtzirkeln."

Die Familie der Ermordeten fordert unterdessen Ministerpräsident Muscat zum Rücktritt auf. Dieser habe aus Malta eine "Mafiainsel" gemacht. An Gerechtigkeit unter der gegenwärtigen Regierung glauben sie nicht. In einem Facebook-Post von Galizias Söhnen heißt es: "Diejenigen, die, solange wie wir zurückdenken können, versucht haben, unsere Mutter zum Schweigen zu bringen, können jetzt keine Gerechtigkeit bringen."

Unter Druck: Maltas Ministerpräsident Joseph Muscat von der sozialdemokratischen Partei PLBild: picture alliance/NurPhoto/K. Gilbert

Internationale Aufmerksamkeit

Die Kritik kommt inzwischen aus ganz Europa - in ungeahnter Schärfe. Die EU-Kommission rief die maltesische Regierung auf, nicht nur den Mord aufzuklären, sondern dabei auch "mögliche strukturelle Probleme" mit der Rechtsstaatlichkeit zu lösen - starke Worte, wenn man bedenkt, dass hier eine Verbindung angedeutet wird, die längst nicht bewiesen ist. "Die Augen Europas sind auf die maltesischen Behörden gerichtet", schreibt Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans.

Bemerkenswert ist auch ein offener Brief der Chefredakteure wichtiger Medien wie The Guardian, der Süddeutschen Zeitung, der New York Times oder der BBC an Timmermans. Darin heißt es: "Den Mördern von Daphne darf es nicht gelingen, ihr offenkundiges Ziel zu erreichen: dass Daphnes Nachforschungen, welche die Korruption auf der höchsten Ebene Maltas betreffen, zum Stillstand gebracht werden." Die Kommission solle dafür sorgen, dass "Regeln und Rechtsstaatlichkeit" auf Malta funktionierten.

Demonstration am vergangenen Sonntag: "Man wird uns nicht zum Schweigen bringen"Bild: James Bianchi/Mediatoday

"Mehr Angst vor einer Schreibfeder als vor einer Pistole"

Führende Mafia-Bekämpfer aus Italien sehen auf Malta inzwischen ähnliche Zustände wie früher in ihrem eigenen Land. Rosy Bindi, Leiterin des Anti-Mafia-Ausschusses im italienischen Parlament, war kurz nach der Ermordung Galizias mit einer Delegation auf Malta und fand, die Insel sei wegen ihrer undurchsichtigen Finanzmarktregeln ein "gastfreundliches" Heim für das organisierte Verbrechen. Der Mord an der Journalistin, so Bindi, zeige, "dass sie manchmal mehr Angst vor einer Schreibfeder als vor einer Pistole haben". Man solle den Mord zum Anlass nehmen, mit einem Verbrechen aufzuräumen, "bei dem sie Leute umbringen, wenn sie am Geschäftemachen gehindert werden". 

Maltas Innenminister Michael Farrugia hat gesagt, die Polizei habe für alle notwendige Ermittlungen einen "Blankoscheck" bekommen. Premier Muscat hat eine Belohnung von einer Million Euro für Hinweise zur Ergreifung des Täters ausgesetzt. Doch das Misstrauen und der Druck sind mittlerweile so groß, dass sich Muscat einverstanden erklärte, Ermittler von Europol, dem FBI und niederländische Forensiker ins Land zu lassen, die den maltesischen Kollegen helfen sollen. 

Bringt der Mord am Ende einen Wendepunkt?Bild: Reuters/D. Z. Lupi

Durchgriffsrechte hat allerdings keiner der ausländischen Ermittler, auch nicht die Kommission. Denn Polizeiarbeit ist und bleibt Sache der Mitgliedsstaaten. Viele Malteser hoffen aber, dass der Mord schon aufgrund der großen internationalen Aufmerksamkeit aufgeklärt werden wird. Ihre Hoffnung drückt sich auch auf einem handgeschriebenen Zettel aus, den jemand am Tatort zwischen die Blumen gesteckt hat: "Was du geschrieben und aufgedeckt hast, kann nicht verwehen."

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