„Man kann nicht gottlos sterben“
1. November 2013"Ich habe keinen Bezug mehr zur Kirche. Nach meiner Hochzeit ist da nicht mehr viel gelaufen. Das ist jetzt Jahrzehnte her. Ich weiß auch heute nicht, was ich von der Kirche halten soll. Jetzt ist meine Mutter tot und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einfach so unter die Erde kommt, ohne beten und ohne Gott…“
Dies ist die Aussage eines Mannes, dessen Mutter vor wenigen Tagen gestorben ist. Ich besuche ihn, um mit ihm den Gottesdienst und die Beerdigung vorzubereiten. Seit mehr als drei Jahren habe ich von Bischof Heinrich Mussinghoff, dem Bischof von Aachen die Beauftragung zum Begräbnisdienst im Ehrenamt.
Wir sprechen über das Leben und den Tod der Mutter, über seine Beziehung zu ihr, über seine Traurigkeit, über die Kirche früher und heute, über den Glauben, den man verlieren und auch wieder finden kann. Auf meine Frage, warum ihm eine katholische Beerdigungsfeier für seine Mutter wichtig ist, sagt er mit einer großen inneren Überzeugung: „Man kann doch nicht gottlos sterben.“
Kontaktverlust und Enttäuschung
Mehr als die Hälfte aller Trauergespräche führe ich mit Frauen und Männern, die seit ihrer Jugend oder frühem Erwachsenenleben den Kontakt mit der Pfarrgemeinde vor Ort verloren haben oder sich - häufig auch aus Enttäuschung - von der Kirche abgewendet haben.
Im Angesicht des Todes ist die Erfahrung der Endgültigkeit eines Verlustes immer wieder tief erschütternd und wühlt die Grundfragen an das Leben auf: Was ist das Leben? Was ist der Tod? Was kommt danach? Was ist der Sinn von Anfang und Ende eines Lebens? Was ist der Sinn eines Lebens, das nun zu Ende gegangen ist? Und wo ist bei all dem nun Gott?
„Man kann doch nicht gottlos sterben!“ Diese Aussage drückt für mich das Bedürfnis nach Glauben aus sowie eine große Sehnsucht nach Sinn und nach Gott. Dahinter steht der tiefe Wunsch, ein Leben möge doch insgesamt nicht sinnlos gewesen sein. Es müsse doch mehr geben als das bloße Ende, mehr als das Erinnern und Vergessen.
Beim Namen gerufen
Das christliche Beerdigungsritual verweist auf den Glauben an die Auferstehung, darauf, dass Gott uns in seine große Liebe aufnimmt und der Tod nicht das letzte Wort hat. In besonderer Weise wird im Trauergottesdienst das Leben eines Menschen in seiner Einmaligkeit gewürdigt und in seiner Bedeutung vor Gott gestellt. „Fürchte dich nicht. Ich habe dich beim Namen gerufen. Du bist mein“, heißt es in den Gebeten. Das Segnen des Leichnams oder der Asche vollendet die einst mit der Taufe begonnene gemeinsame Geschichte eines Menschen mit Gott hier auf Erden.
Seit vielen Jahrhunderten trägt und tröstet dieses alte Ritual des Begräbnisses die Zurückbleibenden und erinnert sie auch an die eigene Vergänglichkeit. Es müssen keine neuen Worte oder Gebete gefunden werden. Die meisten Menschen kennen die alten Texte noch, auch wenn sie lange nicht gesprochen wurden. Auch das Singen von alten Liedern ist für viele tröstlich, eine tragende Erfahrung. Und auch die alten Zeichen sprechen für sich. So braucht zum Beispiel niemand eine Erklärung dafür, dass Erde auf den Sarg oder die Urne geworfen wird. Jeder weiß oder fühlt die Bedeutung ganz intuitiv.
Beerdigung durch Laien
In vielen deutschen Bistümern werden seit längerem ehren – oder hauptamtliche Laien vom jeweiligen Bischof für den Beerdigungsdienst beauftragt. Als eines der sieben Werke der Barmherzigkeit ist es eine der besonderen Aufgabe einer christlichen Gemeinde, Sterbende zu stärken, die Toten zu begraben und Trauernde zu trösten. Da das Beerdigen kein Sakrament ist, können auch Laien den Gottesdienst (sofern es ein Wortgottesdienst ist) feiern und das Beerdigungsritual vollziehen. In Absprache mit dem Ortspfarrer werden die vom Pfarrgemeinderat akzeptierten Frauen oder Männer besonders auf ihre Aufgabe vorbereitet und geschult. In einem Gottesdienst der Gemeinde wird die Beauftragung des Bischofs in Absprache mit dem Ortspfarrer für die Dauer von vier Jahren überreicht.
In meinem Heimatbistum Aachen konnten bereits seit etwa 20 Jahren gute Erfahrungen mit dieser Praxis gewonnen werden. Auch wenn es für die eine oder den anderen manchmal noch fremd ist, dass eine Frau den Wortgottesdienst und das Beerdigungsritual leitet, so sind doch viele froh darüber, dass es diese Möglichkeit gibt. Die Akzeptanz ist inzwischen sehr hoch.
Meine Beziehung zum Tod hat sich nach diesen drei Jahren und den mit vielen Menschen geteilten Erfahrungen verändert. Der Tod zeigt sich mir weniger bedrohlich, weniger ängstigend. Ich fühle mich immer wieder ermutigt und gestärkt, mein Leben jetzt zu leben, voller Vertrauen und Zuversicht.
Zur Autorin:
Brigitte Vielhaus ist katholische Theologin und pädagogisch therapeutische Beraterin. Sie leitet die Abteilung Theologie und Kirche beim Bundesverband der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands, kfd, in Düsseldorf.