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KatastropheUruguay

Überleben nach dem Flugzeugabsturz

Nicolás Guzmán
12. Oktober 2022

Vor fünfzig Jahren hat er einen spektakulären Flugzeugabsturz in den Anden überlebt und für die Rettung weiterer Überlebender gesorgt. Roberto Canessa berichtet der DW, wie er 72 Tage in eisiger Kälte aushielt.

Roberto Canessa, Überlebender des Flugzeugabsturzes in den Anden 1972
"Die Menschen haben keine Probleme, sie haben Schwierigkeiten": Roberto CanessaBild: Sandra Lampreia

Es ist der Stoff, aus dem Hollywoodfilme gemacht werden - und diese Tragödie ist bereits mehrmals verfilmt worden: Am 13. Oktober 1972 zerschellt eine Maschine der Luftwaffe Uruguays auf dem Weg nach Chile an einem Berghang in den Anden auf 4000 Metern Höhe. An Bord des Flugs FAU 571 sind Mitglieder, Betreuer und Angehörige einer Rugbymannschaft auf dem Weg zu einem Freundschaftsspiel. Viele der 45 Insassen überleben den Absturz. Einer von ihnen ist der Medizinstudent und Rugbyspieler Roberto Canessa. Doch die Behörden können die Maschine nicht finden; nach zehn Tagen stellen sie die Suche ein. Die Überlebenden sitzen jenseits der Baumgrenze fest, ohne warme Kleidung und Nahrung. Sie ernähren sich vom Fleisch der Verstorbenen. 62 Tage nach dem Unfall beschließen Canessa und ein weiterer Überlebender, sich auf die Suche nach Hilfe zu machen. Zehn Tage lang marschieren sie durch die unwegsamen Berge, bis sie auf einen Menschen treffen. Insgesamt 16 Menschen können gerettet werden.

Der heute knapp 70-jährige Kardiologe Roberto Canessa veröffentlichte vor sechs Jahren das Buch "Ich musste überleben", in dem er seine Erlebnisse schildert. Fünfzig Jahre danach sprach er mit DW über die Wochen, die sein Leben bestimmt haben.

Deutsche Welle: Wie hat der Absturz Ihr Leben verändert?

Roberto Canessa: Zweifellos bekam ich die Chance auf ein zweites Leben. Ich dachte, ich würde sterben, denn in einem Flugzeug, das in einen Berg fliegt, stirbt man mit Sicherheit. Ich konnte mir nie vorstellen, dass ich mich selbst retten könnte, und deshalb ist die Devise zur treibenden Kraft in meinem Leben geworden: "72 Tage. Solange es Leben und Hoffnung gibt, gibt es vielleicht auch ein Morgen!"

Wie haben Sie nach dem Flugzeugabsturz die Einsamkeit der Anden erlebt?

Wir waren Gefangene des Gebirges. Wir hatten ein kleines Radio, das uns vor Augen führte, dass sich die Welt immer noch weiterdrehte. Der Radiosender war aus Chile. Zu hören, dass die Menschen den Frühling genossen, während wir uns quälten und alles dem Tod geweiht schien, war sehr bedrückend.

Woher hatten Sie das Radio?

Es war eines dieser batteriebetriebenen Radios, die damals verwendet wurden. Es gehörte einer jungen Frau. Wir haben versucht, den Betrieb so gut wie möglich zu dosieren. Wir wussten, dass es um sieben Uhr morgens guten Empfang gab, und da hörten wir, dass die Welt wusste, dass ein Flugzeug in den Anden abgestürzt war. Dann wurde uns klar, dass sie nach uns suchten, als wir ein Flugzeug über uns hinwegfliegen sahen. Aber es entdeckte uns nicht. Mit diesen Suchmethoden hätten sie uns nie gefunden. Und uns wurde klar, dass nur wir uns selbst retten konnten.

Was war es, das Sie am Leben hielt?

Das Schlimmste für mich war die gigantische Ungewissheit, dem Tod so nah und doch so fern zu sein. Denn ein paar Meter von mir entfernt waren viele Freunde tot, aber ich war am Leben. Draußen war die Welt noch in Ordnung. Und wir haben verstanden, dass wir überleben könnten, wenn wir es schaffen würden, uns so lange wie möglich am Leben zu halten. Wir durften nicht aufgeben.

Sie hatten auch mit einer Schneelawine zu kämpfen...

Ja, nach 19 Tagen starben acht weitere Passagiere, und ich sah, dass es einem im Leben immer schlechter gehen kann. Ich dachte, es könnte nicht schlimmer kommen als das, was ich erlebt hatte, und an diesem Tag wurden wir von der Lawine lebendig begraben.

Material fürs Museum: Notdürftig aus dem Stoff der Flugzeugsitze gefertigte KleidungBild: Federico Gutierrez/dpa/picture alliance

Irgendwann ging Ihnen das Essen aus, und Sie versuchten, sich von Ledergürteln zu ernähren oder Kölnisch Wasser zu trinken, aber Sie merkten, dass das nicht ausreichte. Also beschlossen Sie, sich an die Verstorbenen zu wenden. Wie kommt man dazu, eine solche Situation zu akzeptieren?

Es ist ein Gedanke, der langsam heranwächst, ein Produkt des Hungers. Und es ist schrecklich festzustellen, dass es unter unseren Freunden Fett und Fleisch gibt. Es ist wie ein mentaler Prozess, in dem die Handbücher des zivilisierten Lebens ihre Gültigkeit verlieren und man den Weg des tierischen Instinkts gehen muss, ihn rationalisieren und verinnerlichen. Ich fühlte mich sehr gedemütigt und empfand es als einen großen Verstoß gegen zivilisierte Prinzipien. Aber ich akzeptierte auch, dass ich nichts tat, was man nicht auch mit mir in dieser Situation hätte machen dürfen. Es wäre mir eine Ehre gewesen, den anderen auf diese Weise zu dienen.

Nach 62 Tagen beschlossen Sie, Hilfe zu suchen und mehr als 70 Kilometer durch den Schnee zu laufen. Gab es ein Ereignis, das Sie dazu veranlasst hat, diese Herausforderung anzunehmen?

Als ein weiterer Freund starb, sagte mir Nando Parrado, dass in den nächsten Tagen wahrscheinlich auch andere sterben würden und dass er und ich so geschwächt sein würden, dass wir bald nichts mehr machen könnten. Also beschlossen wir, Hilfe zu holen. Der Weg war schwierig. Dort, wo man den Gipfel vermutete, befand sich ein weiterer, höherer Berg. Aber zumindest wussten wir, dass jeder Schritt ein Schritt weiter auf dem Weg zum Ziel war. Und irgendwann, als wir die Bergkette passierten, sahen wir einen Fluss, Vegetation und sogar eine Eidechse. Und als ich das sah, wusste ich, dass dies die Rettung war, dass ich nicht im Schnee sterben würde wie meine Freunde. Und wir setzten unseren Weg fort, bis wir schließlich den Maultiertreiber Sergio Catalán trafen.

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie ihn gesehen haben?

Ich sagte mir: "Wir haben es geschafft." Von da an wüsste die Welt, dass es in dem Gebirge Überlebende gab, dass sie sich geirrt hatten und dass man uns fälschlicherweise für tot gehalten hatte. Und am wichtigsten war, dass die Rettung endlich unsere Freunde erreichen würde.

Gruppenfoto mit 16 Überlebenden und einem Maultiertreiber: Empfang bei Chiles Staatsspitze zum 40. JahrestagBild: Jose Manuel De La Maza/GOVERNMENT OF CHILE/picture alliance

Seit dem Unfall sind fünf Jahrzehnte vergangen. Haben Sie in all diesen Jahren etwas daraus lernen können?

Man kann nicht einfach dasitzen und warten, bis die Hubschrauber kommen, sondern man muss selbst auf die Suche gehen, notfalls zu Fuß. So lernen wir, wie wir Dinge schaffen und unsere Ziele erreichen können.

Und an diejenigen, die eine schwere Zeit durchmachen: Ich weiß, wie es ist, einen Berg zu erklimmen und den Mut zu verlieren. Aber geben Sie nicht auf. Machen Sie sich bewusst, was Sie im Leben alles erreicht haben und dass Sie noch viel mehr erreichen können. Menschen haben keine Probleme, sie haben Schwierigkeiten. Ein Problem ist, wenn man erfährt, dass man nur noch drei Monate zu leben hat. Der Aufprall auf eine Bergkette ist ein Problem. Der Rest sind Schwierigkeiten, die das Leben würzig machen.

Sind Sie mit den übrigen Überlebenden in Kontakt geblieben?

Ja, wir sind sehr enge Freunde. Wir sind nicht nur eine Gemeinschaft unter den Überlebenden, sondern auch mit den Familien derer, die nicht zurückgekehrt sind.

Bedauern Sie etwas?

(lachend) Na klar. Ich hätte dieses Flugzeug nicht besteigen sollen.

Das Interview führte Nicolás Guzmán. Adaption aus dem Spanischen: Gabriel Gonzalez.

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