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Korpsgeist gegen Gewissensfreiheit

Bernd Gräßler10. August 2015

Noch ist es nicht geschnürt - doch das dritte Hilfspaket für Griechenland sorgt in der Unions-Fraktion im Bundestag bereits für Ärger. Der Vorsitzende Kauder droht Abweichlern und erntet heftigen Protest.

Volker Kauder Haushaltsdebatte Bundestag 25.6.2014
Bild: picture-alliance/dpa

Noch steht nicht fest, ob der Bundestag kommende Woche in einer Sondersitzung über ein drittes Hilfspaket für Griechenland entscheiden muss. Doch die Stimmen der Kritiker aus dem Berliner Regierungslager sind bereits jetzt nicht zu überhören. Einer von ihnen ist der einflussreiche CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach. Nach allem was bisher über die Verhandlungen der Gläubiger in Athen bekannt sei, könne man dem Paket nicht zustimmen, sagt er. Michelbach bezweifelt nämlich, dass der Verkauf griechischen Staatseigentums die angepeilten 50 Milliarden Euro erbringen kann. Ohne diesen Erlös sei jedoch die Schuldentragfähigkeit des griechischen Staates nicht gegeben.

Auch der Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, Ralph Brinkhaus (CDU), sieht mit Blick auf die Verhandlungen von EU, Europäischer Zentralbank, Rettungsfond ESM und Internationalem Währungsfond mit Griechenland "noch viele offene Fragen". Er ist unter anderem dagegen, den Griechen gleich mit der ersten Tranche zu viel Geld in die Hand zu geben. Sonst könne man den Reformprozess nicht kontrollieren.

CSU-Abgeordneter Michelbach: Zweifel an 50 Milliarden-ErlösBild: picture-alliance / dpa

Für den Fraktionschef von CDU und CSU im Bundestag, Volker Kauder, sind diese Äußerungen weitere Alarmsignale. Merkels Statthalter im Parlament fürchtet, dass es diesmal noch mehr Gegenstimmen aus der eigenen Fraktion geben könnte, als bei der jüngsten Abstimmung zu den Griechenland-Hilfen. Am 17. Juli waren es 60 Unionsabgeordnete, die dem Kurs von Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble nicht folgen wollten.

Empörung im eigenen Lager

Eigentlich kann Kauder sicher sein, dass auch dieses Mal die notwendige Stimmenzahl aus dem Regierungslager zusammenkommt – immerhin haben Union und SPD zusammen die erdrückende Mehrheit von 504 der 631 Sitze. Trotzdem sieht sich der langjährige Chef der Unionsfraktion veranlasst, möglichen "Abweichlern" schon einmal mit Konsequenzen zu drohen. Mit Blick auf die "Nein"-Sager" vom Juli erklärte Kauder in der Zeitung "Welt am Sonntag: "Diejenigen, die mit Nein gestimmt haben, können nicht in Ausschüssen bleiben, in denen es darauf ankommt, die Mehrheit zu behalten, etwa im Haushalts- oder Europaausschuss." Die Fraktion entsende Kollegen in die Ausschüsse, "damit sie dort die Position der Fraktion vertreten".

Obwohl Kauder damit formal recht hat, erntete er empörte Proteste aus den eigenen Reihen. Der CDU- Abgeordnete Albert Funk meinte, Kauders Worte seien "erschreckend und beschämend" für jeden Vertreter der parlamentarischen Demokratie. Der Abgeordnete Andreas Mattfeld warf Kauder vor, er habe die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit für Abgeordnete "mit Füßen getreten" und die Abgeordnete Veronika Bellmann sagte, Drohungen und Sanktionen stünden nicht in der Fraktionsordnung.

Korpsgeist gegen Gewissensfreiheit

Die Vielzahl der Kritiker bewog Kauder offenbar zu einem Rückzieher. Eine Fraktionssprecherin berichtete in der Zeitung "Der Tagesspiegel", Kauder habe nicht die Absicht, Abgeordnete aus einem Ausschuss abzuziehen. Ein Blick auf die große Mehrheit, die Union und SPD in den erwähnten Ausschüssen für Haushalt und für Europa haben, zeigt ohnehin, dass die Regierung auch dort mit ein paar "Abweichlern" gut leben kann.

Allerdings werden Kauders umstrittene Interview-Äußerungen oft verkürzt dargestellt. Der 65-jährige Parlaments-Routinier, der bereits seit 2005 im Bundestag die Mehrheiten für Kanzlerin Merkel organisiert, hatte auch gesagt, dass er die Gegenstimmen akzeptiere, auch wenn ihm dies nicht leicht falle. Er verwies dabei aber auf die Fraktionsordnung, in der stehe: "Wir diskutieren, streiten und stimmen ab, aber am Schluss muss die Minderheit mit der Mehrheit stimmen". Das hat laut Kauder auch "mit dem Korpsgeist zu tun, den eine gute Truppe haben sollte". Die "Abweichler" machen dagegen geltend, die Griechenland-Hilfen seien für sie mittlerweile "eine Gewissensfrage".

Griechenland macht die Union zunehmend nervösBild: Getty Images/O. Scarff

Auch die SPD hatte "Zuchtmeister"

Kauders Interview belebt - im Sommerloch besonders willkommen - im politischen Berlin wieder einmal die Diskussion um das Spannungsfeld zwischen grundgesetzlich garantiertem freien Mandat und Fraktionsdisziplin. Dass im Fall Griechenland vor allem die Union davon betroffen ist, ist eher eine Ausnahme. Mehr damit zu kämpfen hatten in der Vergangenheit vor allem die Fraktionsvorsitzenden der SPD. Dort sind die Fliehkräfte innerhalb von Partei und Fraktion traditionell größer. So erwarben sich die sozialdemokratischen Fraktionschefs Herbert Wehner, Franz Müntefering und Peter Struck die wenig schmeichelhaften Beinamen "Zuchtmeister". Bei knappen Mehrheitsverhältnissen drohte 2005 sogar die Regierung Schröder an der immer größer werden den Zahl von Abweichlern zu scheitern: Schröder flüchtete sich in vorzeitige Neuwahlen und verlor.

Kauders - offenbar wieder zurückgenommene - Drohung wird in Berlin jedoch durchaus als Zeichen für die zunehmende Nervosität und Zerrissenheit innerhalb der Union über die Folgen von Merkels und Schäubles Griechenland-Politik gewertet. Viele Abgeordnete haben Probleme, die ständig größer werdenden Milliardenkredite in ihren Heimat-Wahlkreisen zu rechtfertigen. Umso mehr, als sie diese Kredite einer Linksregierung in Athen gewähren. Wiederholt hatte Finanzminister Schäuble sich in der Vergangenheit sogar geweigert, öffentlich über ein drittes Hilfspaket auch nur zu reden.

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