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Mann? Frau? Beides? - Intersexualität

Gudrun Heise
15. November 2017

Ein Mann, der auch eine Frau ist und eine Frau, die auch ein Mann ist – etwa 100.000 Intersexuelle leben in Deutschland. Und sie lassen sich nicht alle in ein und dieselbe Schublade stecken. Wir erklären, warum.

Intersexualität Gemälde von Ivonne Krawinkel
Bild: Intersexuelle Menschen e.V./I. Krawinkel

Wird es ein Mädchen oder ein Junge? Das ist eine Frage die sich wohl alle werdenden Eltern stellen. Mädchen tragen in ihrem Erbgut die Chromosomen XX, Jungen die Chromosomen XY. Etwa ab der siebten Schwangerschaftswoche bilden sich die Geschlechtsmerkmale: Beim Mann ist der Penis das genitale Geschlecht, bei der Frau die Vulva. Intersexuelle Menschen haben beides, manchmal sichtbar, manchmal aber auch auf den ersten Blick nicht zu erkennen.

Ärzte können das nur mit Hilfe einer Blutuntersuchung eindeutig zuordnen. Dabei bestimmen sie Hormone und Gene. Das gehört allerdings nicht zu den Routine-Untersuchungen nach der Geburt. Da wird nur nachgeschaut, ob das Neugeborene die typischen Merkmale aufweist: Hoden und Penis oder Vulva.

Aber: Ganz so einfach ist die Sache nicht. Oft zeigt sich erst später, ob die- oder derjenige intersexuell ist. Intersexualität oder Intergeschlechtlichkeit ist ein Oberbegriff, der zahlreiche angeborene Erscheinungsformen umfasst, bei denen die körperlichen Geschlechtsmerkmale weiblich und männlich zugleich sind, in unterschiedlicher Ausprägung.

Das genetische Geschlecht

Die Medizin unterscheidet zunächst einmal nach dem zugrunde liegenden genetischen Geschlecht, dem Karyotyp. Der Karyotyp eines chromosomal unauffälligen Menschen umfasst 46 Chromosomen: 22 Autosomenpaare und zwei Geschlechtschromosomen, sogenannte Gonosomen (weiblicher Karyotyp: 46,XX, männlicher Karyotyp: 46,XY). Jeweils ein Chromosom eines Paares stammt von der Mutter und eins vom Vater.

Das belgische Model Hanne Gaby Odiele ist intersexuellBild: picture-alliance/dpa/C. Blumberg

Außen Mädchen, innen Junge – das Androgenresistenz-Syndrom (AIS)

Die Medizin unterscheidet zwischen kompletter oder vollständiger Androgenresistenz (AIS - Androgen Insensitivity Syndrome). Bei AIS hat das Kind einen männlichen Chromosomensatz (XY). Außerdem hat es Hoden, die männliche Hormone wie Testosteron ausschütten.

Aber die Zell-Rezeptoren reagieren nicht auf das Hormon Androgen, das normalerweise die Entwicklung männlicher Merkmale stimuliert. Der Körper versteht also nicht, in welche Richtung er sich entwickeln soll. Die Keimdrüsen produzieren zwar Androgene, aber sie werden blockiert, und obwohl das genetische Geschlecht männlich ist, wächst bereits im Mutterleib ein scheinbar weibliches Kind heran.

Die äußeren Geschlechtsmerkmale einer Frau sind vorhanden, aber nicht die inneren. Gebärmutter und Eierstöcke entwickeln sich nicht. Stattdessen gibt es im Bauchraum Hoden, also männliche Merkmale. Normalerweise wandern die Hoden vor der Geburt nach außen. Das ist bei AIS nicht der Fall. Entsprechend schwierig ist die Diagnose, und sie kommt meist relativ spät. Sie ist erst möglich, wenn die Betroffenen in die Pubertät kommen. Die Menstruation bleibt aus, es wachsen keine Haare an den weiblichen Genitalien und unter den Achseln. Das Mädchen ist also genetisch gesehen ein Junge. 

CAIS ist die Bezeichnung für eine komplette Androgenblockade (Complete Androgen Insensitivity Syndrome). PAIS ist eine partielle AIS (Partiell Androgen Insensitivity Syndrome). Bei Menschen mit PAIS kann sich zum Beispiel ein extrem kleiner Penis entwickeln, aber keine Vagina und keine Brüste.

MAIS ist eine minimale AIS (Minimal Androgen Insensitivity Syndrome) Das heißt: Die Person hat insgesamt ein männliches Aussehen, allerdings nur geringen Bartwuchs und minimale Körperbehaarung sowie ein Mangel an Androgenen. Auch die Spermabildung kann beeinträchtigt sein.

Außen Junge, innen Mädchen - Adrenogenitales Syndrom (AGS )

Diese Kinder werden mit weiblichen Chromosomen geboren. Sie bilden allerdings mehr Androgene wie etwa Testosteron als es bei Mädchen normalerweise der Fall ist. Aufgrund einer Enzymstörung kommt es schon vor der Geburt zu erhöhten Testosteron-Werten. Das genetisch weibliche Kind kommt mit einem Genital auf die Welt, das wie eine größere Klitoris oder wie ein kleiner Penis aussieht. Genetisch ist es ein Mädchen, hat also Eierstöcke und Gebärmutter, sieht aber aus wie ein Junge.

Hermaphroditismus verus

Hermaphroditos weist männliche und weibliche Merkmale auf und ist eine Gestalt der griechischen MythologieBild: picture-alliance/akg-images

Eine weitere Form der Intersexualität – wenn auch eine recht seltene - ist der Hermaphroditismus. Sowohl Eierstöcke als auch Hoden sind vorhanden. Der Chromosomensatz ist meist männlich. Die körperliche Entwicklung ist unterschiedlich. So kann es beispielsweise zu einer Mischform von Klitoris und Penis kommen mit großen und kleinen Schamlippen. Die Hoden produzieren ausreichend Hormone, aber die Reifung der Spermien ist gestört. Es kann auch eine Gebärfähigkeit vorliegen. Eine Eigenbesamung ist nicht möglich. 

Eindeutige genetische Zuordnung

Transsexualität

Transsexuelle Menschen sind biologisch und körperlich eindeutig zuzuordnen: Mann oder Frau. Aber sie können sich mit ihrem genetischen dem Geschlecht nicht identifizieren. Sie haben das Gefühl, im falschen Körper geboren worden zu sein: eine Frau, die sich wie ein Mann fühlt – ein Mann, der sich wie eine Frau fühlt. Anders als bei Intersexualität ist das biologische Geschlecht eindeutig, aber die eigene Wahrnehmung ist eine andere. Transsexuelle leben in einem "falschen Körper". Transsexualität hat jedoch nichts mit Transvestitismus zu tun, obwohl es oft verwechselt wird.

Transgender

Als "Transgender" werden alle Personen bezeichnet, die sich dem jeweils anderen Geschlecht zugehörig fühlen: Jungen, die sich dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen und Mädchen, die sich dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlen. Sie leben in einer "falschen sozialen Rolle". Gender bezieht sich auf den seelischen Zustand.

Homosexualität

Die Regenbogenfahne ist ein internationales schwul-lesbisches SymbolBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Der Begriff bezeichnet eine Beziehung zwischen Gleichgeschlechtlichen. Homosexuelle Männer werden in der Umgangssprache als schwul oder androphil bezeichnet, homosexuelle Frauen als lesbisch oder gynäkophil. Es ist nur eine der vielen Arten von Sexualität. In den letzten Jahren haben Homosexuelle in vielen Ländern die Möglichkeit, ihre Beziehung zu legalisieren, zu heiraten und Kinder zu adoptieren oder durch Samenspende Kinder zu zeugen.

Heterosexualität

Es beschreibt die Beziehung zwischen Mann und Frau und gilt in den meisten Gesellschaften noch immer als „normal". In der Evolution hat diese Form wegen der Fortpflanzung eine große Rolle gespielt. In vielen Ländern ist es noch immer die einzige akzeptierte Form einer zwischenmenschlichen Beziehung.

Bisexualität

Es beschreibt Menschen, die sich sowohl zu Männern als auch zu Frauen hingezogen fühlen. Eine andere Bezeichnung ist Ambisexualität. Bisexuelle haben oft das Problem, dass sie sich nicht den Homosexuellen zuordnen wollen und auch nicht den Heterosexuellen.

Asexualität

Hat jemand keinerlei sexuelle Neigung, ist an Sex in keinster Form interessiert, spricht man von Asexualität. Haben sie eine Beziehung, so handelt es sich dabei oft um eine eher platonische Liebe oder Verbindung. Sie haben kein sexuelles Verlangen.

Pansexualität

Im Interesse von Menschen mit dieser Orientierung steht das männliche und weibliche Geschlecht genauso wie Intersexuelle, Transsexuelle oder Transgender. Pansexualität bezeichnet alle sexuellen Formen. 

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