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Politik

Sarrazin: EU-Erweiterungsversprechen gilt

22. Juni 2022

Vor dem EU-Westbalkangipfel sind die Erwartungen hoch - und die Streitpunkte zahlreich. Manuel Sarrazin, Sonderbeauftragter der Bundesregierung, plädiert im DW-Interview für Fortschritte im EU-Erweiterungsprozess.

Deutschland Sonderbeauftragter Manuel Sarrazin EU-Osterweiterung
Manuel Sarrazin, Westbalkan-Sonderbeauftragter der BundesregierungBild: Anila Shuka/DW

Deutsche Welle: Herr Sarrazin, die EU-Kommission hat sich in einer Rekordzeit für einen Kandidatenstatus für die Ukraine und die Republik Moldau ausgesprochen. Wie kommentieren Sie diese Empfehlung in Bezug auf den westlichen Balkan?

Manuel Sarrazin: Aus meiner Sicht ist das gut für die Länder des westlichen Balkans, weil es zeigt, dass die geostrategische Bedeutung der EU-Erweiterung immer noch vorhanden ist und dass Bewegung in den Erweiterungsprozess kommt.

Bosnien und Herzegowina und Kosovo bleiben weiterhin vor der Tür. Was sollte man diesen beiden vulnerablen Staaten anbieten?

Das Erweiterungsversprechen des Gipfeltreffens von Thessaloniki 2003 gilt. Und dafür bleiben bei Bosnien und Herzegowina die 14 Kernprioritäten und die Umsetzung von Reformen, damit wir endlich auch den Kandidatenstatus verleihen können. Für Kosovo ist es so, dass die Regierung Reformen durchführt und dass wir die auch belohnen wollen. Die Visa-Liberalisierung für kosovarische Bürger ist einer dieser notwendigen Schritte, der jetzt unbedingt folgen muss. Auch der Normalisierungsdialog mit Serbien muss wieder in Gang gebracht werden und beide Seiten müssen dort auch bereit sein, Fortschritte zu liefern.

Schwieriger Normalisierungsdialog: Der EU-Sonderbeauftragte Miroslav Lajcak (l.), der kosovarische Premier Albin Kurti (M.) und der serbische Präsident Aleksandar Vucic am 4.05.2022 in BerlinBild: Pressestelle der Deutschen Bundesregierung

Serbien bezieht weiterhin Gas und Getreide aus Russland und gibt es an andere Westbalkan-Staaten und auch an EU-Länder weiter. Sollte man da nicht stärker konditionieren?

Gas importieren wir auch. Insofern muss man zum Teil aufpassen, dass man dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic einerseits klarmacht, dass wir erwarten, dass er sich den Sanktionen der EU gegen Russland anschließt, dass wir ihm aber auch nicht die Möglichkeit geben zu behaupten, damit würde in seinem Land das Licht ausgehen, weil wir ja auch darauf achten, dass bei uns die Entscheidungen auch ökonomisch zu vertretbaren Auswirkungen führen.

Serbien steht im Zentrum der russischen Desinformation und des hybriden Krieges, der auf die ganze Region ausstrahlt. Was schlagen Sie als Maßnahmen vor, diesen Einfluss einzudämmen?

Die wichtigste Maßnahme dagegen ist die Glaubwürdigkeit des Erweiterungsversprechens der Europäischen Union. Deswegen ist es so wichtig, dass wir bei der Frage der Erweiterungspolitik, bei der Visa-Liberalisierung und bei der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien endlich diese Fehler korrigieren und zeigen: Wenn man voranschreitet, wird Europa auch zu seinen Zusagen stehen.

Nun gibt es ja gerade in Bezug auf Nordmazedonien und Albanien die Befürchtung, dass wieder nichts passiert. Sollte man die beiden Kandidaten nicht entkoppeln und Verhandlungen mit Albanien bereits beginnen?

Sie haben gerade von russischer Desinformation gesprochen. Nordmazedonien wird ein zentrales Ziel nicht nur von russischer, aber auch von russischer Desinformation sein, und das ist möglicherweise auch eine strategisch offene Flanke für uns. Deswegen ist es im Moment extrem wichtig, dass die Verhandlungen mit beiden Ländern endlich eröffnet werden.

Angesichts der schleppenden EU-Erweiterung hat sich die Idee der regionalen Kooperation namens Open Balkan immer stärker als Alternative etabliert. Was halten Sie von diesem Konzept?

Grundsätzlich bin ich sehr skeptisch, was Open Balkan angeht. Es muss klar sein, dass Initiativen in der Region erstens inklusiv sind und dass es realistische Modi gibt, unter denen auch alle teilnehmen könnten. Und zum anderen ist es wichtig, dass keine Parallelstrukturen aufgemacht werden. Ganz abgesehen davon, muss immer klar sein, es ersetzt keineswegs einen EU-Beitritt.

Open-Balkan-Gipfel am 8.06.2022 in Ohrid, Nordmazedonien. Von links nach rechts: Zoran Tegeltija, Vorsitzender des Ministerrats von Bosnien und Herzegowina, Aleksandar Vucic, Präsident von Serbien, Dimitar Kovacevski, Premier von Nordmazedonien, Edi Rama, Premier von Albanien, Dritan Abazovic, Premier von MontenegroBild: Ladislav King/Government of North Macedonia

Ein anderes Format ist ja der Berliner Prozess, der in den vergangenen Jahren keine durchschlagenden Erfolge gebracht hat. Was bieten Sie konkret an, damit daraus ein attraktives Format für die Westbalkanländer wird?

Der Berliner Prozess war in den vergangenen Jahren immer sehr attraktiv. Wir haben, zum Beispiel mit dem Jugendbüro RYCO eine ganze Menge erreicht. Wir haben vier Abkommen, die auf dem Tisch liegen, die einen großen Schritt in Richtung Entwicklung eines gemeinsamen regionalen Marktes bedeuten würden. Wir bieten an, diese lohnenswerten Ziele für alle tatsächlich jetzt zu erreichen, wieder aufzunehmen, mit neuer Kraft und auch mit neuen Themen. Die neue Bundesregierung hat das feste Ziel, sich über ihre gesamte Mandatszeit hinweg intensiv um die Region zu kümmern. Wir werden uns langfristig und strategisch engagieren.

Deutschland hat vor, sich nach zehn Jahren Unterbrechung wieder an der EUFOR-Althea-Mission in Bosnien und Herzegowina zu beteiligen. Welches Signal verbinden Sie damit?

Es war uns sehr wichtig als Bundesregierung, dem Bundestag das vorzuschlagen, um einerseits deutlich zu machen, dass Deutschland bereit ist, sich auch sicherheitspolitisch in Bosnien und Herzegowina zu engagieren. Das Zweite ist, dass es uns wichtig ist, dass die dortigen Wahlen im Oktober 2022 in einem sicheren, verlässlichen Umfeld stattfinden können.

Bundeswehr-Fahrzeug der EUFOR-Mission 2005 bei Sarajevo. Deutschland will wieder an der Mission teilnehmenBild: Lars Pötzsch/Bundeswehr/dpa/picture alliance

Sie haben vor vier Monaten das Amt des Westbalkan-Beauftragten der Bundesregierung angetreten. Sehen Sie heute etwas anders als am Anfang Ihres Mandats?

Ich hätte mir gewünscht, dass die schreckliche Erfahrung dieses groß angelegten russischen Invasionskrieges dazu geführt hätte, dass in der Region mehr führende Akteure bereit sind, bisherige Verhaltensweisen zu verändern und nicht zu verstärken. Wir sollten wissen, dass unsere "Freunde" im Kreml ganz genau wissen, dass in der Region auch viel Negatives ausgelöst werden kann. Deswegen würde ich alle bitten, so schnell wie möglich so viel an Zusammenarbeit und positiven Erklärungen miteinander hinzukriegen, bevor der Kreml versucht, aus unseren Zwistigkeiten, aus fehlender Geschlossenheit zwischen uns und innerhalb der Region Profit zu schlagen.

Manuel Sarrazin, 40, war von 2008 bis 2021 Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen und ist Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft, der wichtigsten akademischen und Politikberatungs-Institution für Balkan-Themen in Deutschland. Seit 1. März 2022 ist er Sonderbeauftragter der deutschen Bundesregierung für den Westbalkan.