1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Manuela - Flucht in die Dürre

12. April 2017

Manuela ist auf der Flucht. Sie hat den Krieg und den Hunger im Südsudan hinter sich gelassen. Doch ihr Zufluchtsort im Norden Kenias leidet unter einer schweren Dürre, die viele Menschen in ihrer Existenz bedroht.

Manuela - Flucht aus dem Südsudan in die Dürre
Bild: DW/S. Petersmann

Der jüngste unabhängige Staat der Erde verliert seine Kinder: Manuela hockt im staubigen Niemandsland zwischen der südsudanesischen und kenianischen Grenze. Hier, am Grenzübergang Nadapal, wartet die 17-Jährige seit vier Tagen auf den nächsten Konvoi vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Manuela hat keine Ahnung, was sie in Kenia erwartet.

"Schule ist für mich das allerwichtigste. Fast alle Präsidenten der Welt sind Männer wie unser Präsident Salva Kiir. Es gibt im Südsudan keine Spitzenpolitikerinnen. Darum will ich lernen", sagt sie und fügt nach einer längeren Pause an: "Männer sind im Krieg stark, aber im Frieden sind Frauen stärker."

Manuela Nyoka am Tor zum Transitlager am Grenzübergang Nadapal zwischen Kenia und SüdsudanBild: DW/S. Petersmann

Angst, Schüsse, Hunger, leere Schulen

Manuela stammt aus Torit im Südosten des Südsudan. Ihr Vater war Polizist und starb im vergangenen Juli bei den schweren Kämpfen in der Hauptstadt Juba. Der Krieg um die Macht zwischen Präsident Kiir und seinem Rivalen, Ex-Vizepräsident Riek Machar, ist längst auch nach Torit geschwappt. Recht und Ordnung sind zusammengebrochen - wegen des Machtkampfes zweier Männer.

"Wenn sie kämpfen und die Rebellen Menschen erschießen, dann fliehen alle und die Lehrer kommen nicht zurück in die Schulen, selbst wenn der Gouverneur im Radio dazu aufruft, dass sie zurückkommen sollen."

Manuela erinnert sich an Angst und Schüsse. An Tote. An Nächte, in denen sie sich verstecken musste. An die steigenden Lebensmittelpreise und an den Hunger, der im Magen "etwas weniger weh tut, wenn es genug zu trinken gibt." Die Bevölkerung begann aus Torit zu fliehen. Vor dem Krieg und der einsetzenden Dürre. Ende März schlossen sich auch Manuela, ihre ältere Schwester Joyce (18) und ihre beiden kleinen Schwestern Agnes (5) und Faith (4) dem Flüchtlingstreck an.

Manuela mit ihren kleinen Schwestern Agnes (5, links) und Faith (4, rechts)Bild: DW/S. Petersmann

Vier Mädchen auf der Flucht

Die vier Mädchen fuhren mit dem Bus bis in die Grenzstadt Nadapal. Die letzten Kilometer durch das verdorrte Niemandsland über die Grenze legten sie zu Fuß zurück. Der Frage, wo ihre Mutter ist, weicht Manuela wiederholt aus. "Meine Mutter arbeitet als Krankenschwester in Torit", flüstert sie mit leiser Stimme. Ihre Augen schweifen in die Ferne und suchen den Horizont ab. 

"Wenn meine Mutter nachkommt, werden wir mit ihr zusammenleben. Wenn sie nicht nachkommt, dann wohnen wir eben alleine." Manuela klingt trotzig. Ein junger Mann namens Bosco Juma gibt sich plötzlich als Bruder des erschossenen Vaters zu erkennen. Er berichtet, dass Manuelas Mutter einen neuen Partner gefunden habe, der die vier Mädchen nicht länger versorgen wolle. Bosco will seine vier Nichten bis ins Flüchtlingslager begleiten, aufnehmen will er sie nicht. Er habe selber drei Kinder, um die er sich kümmern müsse. Seine Frau sei mit den Kleinen schon seit zwei Monaten in Kenia. 

Gelbfieberimpfung vor der Abreise ins Flüchtlingscamp

Plötzlich geht ein Ruck durch die rund 500 Flüchtlinge im Transitlager am Grenzübergang. In der größten Mittagshitze rumpeln vier große, offene Lastwagen des UNHCR um die Ecke, um die Flüchtlinge ins Lager Kakuma zu fahren. Es ist das zweitgrößte in Kenia.

"Kakuma ist ein Ort nur für Flüchtlinge. Da kann ich endlich wieder zur Schule gehen", sagt Manuela, die mal Bildungsministerin werden will. Schule - darüber spricht sie immer wieder, auch wenn man sie nach ganz anderen Dingen fragt. Sozialkunde ist ihr Lieblingsfach. Sie verzieht keine Miene, als sich die Nadel der Spritze für die Gelbfieberimpfung in ihren Oberarm bohrt. Die Impfung ist Pflicht vor der Abreise ins Camp. Die beiden kleinen Schwestern klammern sich an Manuelas Beine. Dann bricht Tumult aus. Jeder will als erster auf einen der weißen UNHCR-Trucks klettern. Die Flüchtlinge quetschen sich mit ihren Wasserkanistern, Matratzen, Kochtöpfen, Kleidungsbündeln und Hühnern dicht an dicht auf die Ladeflächen. Manuela gehört zu den letzten, die aufsteigt. Sie ist euphorisch.

Der UNHCR-Konvoi vor der Abfahrt aus dem Transitlager am Grenzübergang NadapalBild: DW/S. Petersmann

Abfahrt ins Ungewisse

"Ich bin glücklich, auch wenn in Kakuma alles neu sein wird und ich nicht weiß, was passiert", ruft Manuela vom LKW herunter. Dann setzt sich der Konvoi in Bewegung. Vier quälend lange Stunden geht es über Pisten mit tiefen Schlaglöchern. Ein paar Reifen geht auf der knapp 100 Kilometer langen Strecke die Luft aus. Es ist dunkel, als die Neuankömmlinge im Erstaufnahmelager von Kakuma ankommen. Kakuma war mal eine winzige, unbedeutende Siedlung in der Turkana im trockenen Norden Kenias. Eine Station für wandernde Viehhirten und ihre Herden. Heute leben hier rund 180.000 Flüchtlinge. Die meisten stammen wie Manuela aus dem Südsudan. Das Aufnahmezentrum ist überfüllt. Manuela und ihre Schwestern müssen draußen auf dem Boden schlafen. Ernüchterung macht sich breit.

Manuela erschöpft im UN-Flüchtlingslager Kakuma in der kenianischen Turkana Bild: DW/S. Petersmann

"Hier sitzen auch nur alle rum wie an der Grenze. Ich habe Angst. Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Mir fehlt die Schule." Manuela hat das Warten satt. Warten auf die nächste Registrierung. Warten auf die nächste Mahlzeit. Warten und nichts tun. Warten auf das Unbekannte.

Getrennte Welten in der Dürre

Die 17-jährige hat kaum einen Blick für ihre neue Umgebung, während die lokale Turkana-Bevölkerung, die außerhalb der Lagergrenzen lebt, in den Abgrund blickt. Die ostafrikanische Dürre hat das Gebiet fest im Griff. Es fehlen Weidegründe und Wasserlöcher. Die Menschen verlieren ihr Vieh - das wertvollste, was sie besitzen. Ohne ihre Tiere sind die nomadisch lebenden Hirtenfamilien der Turkana in ihrer Existenz bedroht.

Turkana-Hirtin mit toter Ziege in der Nähe des flüchtlingslagers Kakuma im Norden KeniaBild: DW/S. Petersmann

Vom Lagerrand aus kann Manuela ein kleines Turkana-Dorf mit Rundhütten sehen. "Die Turkana sind nicht nett, die klauen unsere Sachen." Das Mädchen schnappt Gerüchte auf, die im Lager die Runde machen. Die Flüchtlinge und die lokale Bevölkerung haben nur wenige Berührungspunkte. Sie leben in getrennten Welten. Manuela und die anderen werden vom UNHCR versorgt, die lokale Bevölkerung vor allem von der kenianischen Regierung.

Träume in der Dürre

Das Lager Kakuma ist überfüllt, im benachbarten Kalobeyei entsteht im trockenen Buschland eine neue Siedlung, in der Flüchtlinge und lokale Bevölkerung später einmal gemeinsam leben sollen. Auch Manuela und ihre Schwestern. Das Projekt soll Integration und Entwicklung fördern. Ob der Plan aufgeht, steht noch in den Sternen. Derzeit siedeln auch im Camp Kalobeyei vor allem Flüchtlinge; knapp 30.000, Tendenz steigend, denn zurzeit überqueren jeden Monat fast 2000 Menschen die Grenze. Und dem UNHCR fehlen die Mittel, das Pilotprojekt voranzutreiben. 

"Wenn wir dort ein gutes Haus aus Steinen bekommen, dann müssten wir nicht mehr ständig an unsere Eltern denken", sagt Manuela hoffnungsvoll. "Dann könnten wir in Ruhe leben. Wir könnten auch andere Kinder zu uns einladen und ihnen aus unseren Büchern Geschichten vorlesen."

Flüchtlingskind Manuela zwischen Hoffen und Bangen im UN-Lager KakumaBild: DW/S. Petersmann

Eine Schule gibt es im neuen Lager Kalobeyei schon, doch die meisten Unterkünfte sind nicht aus Stein, sondern aus Plastikplanen. Manuela und ihre Schwestern sind dem Krieg im Südsudan entkommen. Doch sie haben ihr neues Leben als Flüchtlinge in Kenia inmitten einer schweren Dürre begonnen, die auch hier die Träume und Leben vieler Menschen zerstört.

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen