Auch 700 Jahre nach seinem Tod ist Marco Polo in aller Munde. Doch wer war der italienische Reisende, der seine Fahrt über die Seidenstraße bis ins Mongolenreich aufzeichnete? Und warum war sein Erbe umstritten?
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Marco Polo - das ist heute der klangvolle Name eines der bekanntesten Reisenden der abendländischen Geschichte. Im 13. Jahrhundert kannte niemand den jungen Mann, der zu seiner ersten Weltreise aufbrach. Er war erst 17 Jahre alt und hatte sein Zuhause noch nie verlassen. Als sein Vater und sein Onkel eines Tages wieder auf Handelsreise gingen, schloss er sich ihnen an. Aus der Reise wurde ein Lebensprojekt: 25.000 Kilometer legte Marco Polo zurück, 24 Jahre lang war er nonstop unterwegs.
Nach seiner Rückkehr nach Italien arbeitete Polo mit dem Schriftsteller Rustichello da Pisa zusammen, um seine Reise zu dokumentieren. Das daraus entstandene Buch "Il Milione", im Deutschen bekannt unter dem Titel "Die Wunder der Welt", fand in ganz Europa Verbreitung. Es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und von der gebildeten Oberschicht gelesen, von Fürsten, Priestern und auch Seefahrern. So soll selbst Christoph Kolumbus auf seinen Eroberungsfahrten ein Exemplar bei sich getragen haben.
Marco Polo im Vergleich zu anderen Reiseschriftstellern
Marco Polo war jedoch nicht der erste Europäer, der das mittelalterliche China bereiste, und schon gar nicht der erste, der darüber berichtete. Laut Hyunhee Park, Geschichtsprofessorin an der City University of New York, dokumentierten muslimische Reisende bereits zuvor ihre Land- und Seereisen nach China.
Polo beschrieb das mongolische Reich als eine große Zivilisation mit großen Städten. Das gefiel nicht allen, so Park: "Viele Europäer waren schockiert. Er wurde sogar als Lügner kritisiert."
Polos Beschreibungen wichen von den Konventionen anderer Reisender ab, die über außereuropäische Länder berichteten, erklärt Margaret Kim, Professorin für Fremdsprachen und Literatur an der National Tsing Hua University in Taiwan.
"Vor und nach Marco Polo vermittelten europäische Reiseschriftsteller moralische und religiöse Lehren, wenn sie fremde Orte und Menschen beschrieben. Das ist implizit in dem, was sie schrieben. Aber Polo hatte keinen Sinn für religiöse Lehren. In seinen Beschreibungen scheint er sich vor allem für die Landschaften und Bräuche der verschiedenen Kontinente interessiert zu haben. Er war ein sehr weltlicher Mensch."
Polos Sichtweise unterschied sich von späteren europäischen Reiseberichten, die weitgehend vom Wunsch nach Eroberung und dem Gefühl zivilisatorischer Überlegenheit bestimmt waren. "Marco war erstaunt über den Reichtum und die Macht der mongolischen Herrscher zu einer Zeit, in der der Osten im Vergleich zum mittelalterlichen Europa als reich und wohlhabend galt. Seine Einstellung unterschied sich daher sehr von der späterer europäischer Entdecker und militanter Kolonialisten", erklärt
Zhang Longxi, Professor an der Yenching-Akademie der Universität Peking. Spätere Beschreibungen Chinas würden das Land als "rückständig" und "stagnierend" bezeichnen, nicht annähernd so großartig wie Europa.
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Kontroversen um Marco Polos Reiseberichte
Marco Polos Schriften haben zahlreiche Kontroversen ausgelöst. Sie bestehen nicht aus einem einzigen verbindlichen Manuskript, sondern aus etwa 140 verschiedenen Fassungen. Unklarheit herrscht unter anderem über die Rolle von Rustichello, dem Mitautor Marco Polos bei der Niederschrift seiner Erlebnisse. Historiker bewerten seinen Einfluss unterschiedlich. Kim hält Polo für den Autor des Buches, der für Inhalt und Stil verantwortlich war, und geht davon aus, dass Rustichello die Vervielfältigung und Verbreitung überwacht haben könnte.
Zhang Longxi hingegen meint, dass Polo zwar die Informationsquelle war, Rustichello aber den Inhalt des Buches manipuliert haben könnte: "Rustichello war ein Schriftsteller. Er erzählte die Geschichten von Marco Polo und schmückte sie wahrscheinlich mit zusätzlichen fantastischen Farben und Details aus, die den mittelalterlichen Lesern gefallen hätten", erklärt er. Im Vergleich zu anderen Werken der Reiseliteratur aus dieser Zeit seien Marco Polos Reiseberichte jedoch eher zurückhaltend in ihrer Fantasie, so der Experte weiter.
Der Mangel an Informationen über China und das Fehlen zuverlässiger Quellen haben einige Historiker, wie die bekannte Sinologin Frances Wood, dazu veranlasst, die Authentizität von Polos Beobachtungen generell in Frage zu stellen. Heute sind sich die Historiker jedoch einig, dass viele von Polos Beobachtungen so originell und außergewöhnlich sind, dass sie nicht erfunden sein oder ausschließlich auf Berichten aus zweiter Hand beruhen können - auch wenn Polo/Rustichello im Prolog ihres Buches deutlich machen, dass sie in ihrem Reisebericht auch Berichte aus zweiter Hand verwenden.
Andere Forscher wie Park haben inzwischen Quellen für Polos Beobachtungen nachgewiesen, unter anderem in chinesischen und islamischen Primärdokumenten wie den Schriften von Ibn Batutta, dem berühmten nordafrikanischen Forschungsreisenden des 14. Jahrhunderts.
Marco Polo: ein Mensch von heute
Heute, 700 Jahre nach seinem Tod, ist Marco Polo auch Nicht-Wissenschaftlern ein Begriff: Ein amerikanisches Billardspiel, ein angesagtes Modelabel, nicht wenige Reiseveranstalter und -führer sowie das "Snapchat für Babyboomer" nutzen seinen berühmten Namen. Die Bedeutung von Polo geht jedoch weit über seine Markenwirkung hinaus.
Eine kleine Geschichte des Reisens
Seit Beginn der Menschheit bewegt sich der Mensch von Ort zu Ort. Das Reisen hat sich ständig verändert - von der Motivation über die Reisegeschwindigkeit bis hin zur Philosophie, die dem Reisen zugrundeliegt.
Bild: picture-alliance/dpa/Jiji Press/M. Fujioka
Reisen des Handels willen
Obwohl es schon in der Antike die ersten Vergnügungsreisen gab, reiste man in jener Epoche vor allem des Handels wegen. Die Phönizier waren zwar nicht die ersten Seefahrer, aber vermutlich die erste ernstzunehmende Seefahrernation. Sie legten für die damalige Zeit mit kleinen Segelbooten wie hier im Bild gigantische Strecken zurück, zum Beispiel vom heutigen Syrien bis nach Portugal.
Bild: Imago Images/ZUMA Press/T. Akmen
Reisen für die fette Beute
Die Wikinger waren Gruppen junger Männer aus dem skandinavischen Raum, die zu verschiedenen Phasen des Frühmittelalters Raubzüge in andere Länder unternahmen. Ihre Motive waren vor allem Beute und Landgewinn. Ihr Mut und ihr Entdeckergeist waren groß, denn sie gelangten, nach Stand der aktuellen Forschung, im Westen bis ins kanadische Neufundland und im Osten bis weit nach Russland.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Norgaard Larsen
Religion als Reiseantrieb
Pilger, also religiös oder spirituell motivierte Reisende, gehören ebenfalls zu den ersten Reisenden. Pilger gab es schon in der Antike und auf fast allen Kontinenten. Auf ihren Wegen überquerten sie oft mehrere Länder. Im Mittelalter kam es zu einem regelrechten Pilger-Boom. Der "Gang nach Canossa" Heinrichs des IV. (Bild) ist wohl eine der berühmtesten Pilgerreisen der Welt.
Bild: picture-alliance/akg-images
Hype um den Jakobsweg
Viele der alten Pilgerwege sind seit einigen Jahrzehnten auch ein Allheilmittel für gestresste Menschen geworden: Besonders auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela sucht die Mehrzahl der Pilger inzwischen nicht mehr nach religiösen, sondern nach spirituellen Erfahrungen, nach Antworten auf drängende Lebensfragen oder schlicht nach einer Auszeit vom Alltag.
Bild: picture-alliance/blickwinkel/M. Vahlsing
Einer der ersten internationalen Diplomaten: Marco Polo
Etwa 24.000 Kilometer soll Marco Polo gemeinsam mit seinem Vater und dessen Bruder (beide hier im Bild) auf seinen Asienreisen zurückgelegt haben - meist auf Kamelen, Pferden oder Maultieren. Bis heute werden Marco Polos Reiseberichte immer wieder von Historikern angezweifelt, aber er war zweifelsohne ein Vielreisender, unter anderem im Auftrag des mongolischen Herrschers Kublai Khan.
Bild: picture alliance / akg-images
Einmal um die Welt
In der Renaissance begann das Zeitalter der Entdeckungen. Der portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan startete am 10. August 1519 eine Expedition im Auftrag der spanischen Krone, mit fünf Schiffen wie jenem hier im Bild. Er sollte eine Westroute zu den Gewürzinseln im Pazifik finden. Magellans Männer überquerten als erste Europäer den Pazifik. Magellan selbst fiel im Kampf auf den Philippinen.
Bild: picture-alliance/dpa/Fundación Nao Victoria
Reisen bildet
Im 18. Jhdt. wurde der Bildungsaspekt des Reisens immer wichtiger. Humboldts berühmte Amerika-Reise war eine Forschungsexpedition, sie weckte aber auch das Fernweh von Nichtforschern. Spätestens in der Romantik galt dann die Landschaft nicht mehr als biblisches Hindernis, sondern sie wurde mit Bedeutung aufgeladen. Die Reisen entlang des Rheins (Bild) wurden zur Wiege des deutschen Tourismus.
Bild: picture-alliance/akg-images
Die Ära der Dampfschifffahrt
Das britische Dampfschiff "Sirius" war das erste Schiff seiner Art, das den Atlantik überquerte. Seine 18-tägige Überfahrt im Jahr 1838 war der Startschuss für eine neue Art zu reisen: Schiffsreisen in die USA galten bald als schick und modern. 1912 ging mit der "Titanic" (Bild) das größte Schiff seiner Zeit unter. Nach dem Ersten Weltkrieg begann die eigentliche Blütezeit der Dampfschifffahrt.
Bild: picture-alliance/Design Pics/K. Welsh
Schnell mal nach Amerika
Der Linienflugverkehr beendete die Ära der Dampfschiffe. Während ein Schnelldampfer immerhin noch vier Tage für eine Atlantiküberquerung brauchte, schoss das französisch-britische Überschallflugzeug "Concorde" (im Bild) seit 1976 in nur drei bis dreieinhalb Stunden von Paris oder London nach New York. Der letzte Flug fand nach einem dramatischen Absturz im Jahr 2003 statt.
Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library
Hauptsache, schnell ankommen
Heute geben Hochgeschwindigkeitszüge wie der japanische JR-Maglev (im Bild) den Takt vor. Der Zug erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 500 km/h. Das technische Meisterwerk, das komplett auf Geschwindigkeit ausgerichtet ist, steht sinnbildlich für die Veränderung des Reisens. Sinnierend aus dem Zugfenster zu schauen, ist bei dieser Geschwindigkeit wohl kaum möglich.
Bild: picture-alliance/dpa/Jiji Press/M. Fujioka
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Für Kim zeige Polo, "dass die Welt Dinge enthält, die jenseits unserer Vorstellung von ihr liegen, und zwar auf eine Art und Weise, die uns verwirren und beunruhigen kann, an die wir uns aber anpassen können. Der 'imperiale Blick' ist also nicht das Eigentum irgendeiner Kultur oder Zivilisation. Und schon gar nicht ist er das ausschließliche Eigentum des Westens."
Für Zhang ist Polo in einer Zeit erhöhter Spannungen zwischen weiten Teilen des Westens und China eine Mahnung, dass nicht-antagonistische kulturelle Beziehungen möglich sind: "Marco Polo bietet ein alternatives Modell für Ost-West-Begegnungen und -Beziehungen, das für uns in der heutigen Welt sehr wertvoll ist. Es ist ein Modell des gegenseitigen Verständnisses und der Zusammenarbeit anstelle von erbitterter Rivalität und Konflikt".
Von Song zu Yuan - China unter Kublai Khan
Vor 800 Jahren wurde Kublai Khan geboren, der Begründer der mongolischen Yuan-Dynastie in China. Dauerhaften Ruhm errang er durch den Reisebericht des Venezianers Marco Polo.
Bild: Imago/Leemage
Chinesischer Kaiser als Schamane
Der spätere chinesische Kaiser Kublai Khan wurde am 23. September 1215 in der Mongolei geboren. Er war ein Enkel von Dschingis Khan, dem Begründer des mongolischen Weltreiches, das aus vier Teilen bestand: dem russischen, zentralasiatischen, persischen und dem chinesischen. Dieses Porträt entstand kurz nach Kublais Tod 1294. Die weiße Kleidung symbolisiert die schamanische Religion seiner Heimat.
Vereintes China
Kublai Khan wählte als Namen für seine Herrschaft "Da Yuan" (Großer Anfang) aus dem chinesischen "Buch der Wandlungen". Unter seiner mongolischen Herrschaft wurde China erstmals in seiner Geschichte von einer Fremddynastie regiert. Aber schon um 1350 - knapp 60 Jahre nach Kublais Tod - zerfiel das Einheitsreich in rivalisierende Machtzentren. 1368 konnte sich dann die Ming-Dynastie etablieren.
Ruhe vor dem Sturm
Nachdem er den Norden Chinas erobert und die Hauptstadt des Mongolenreiches ins heutige Peking verlagert hatte, ging Kublai an die Eroberung des von der Song-Dynastie gehaltenen Süden. 1276 fiel die Song-Hauptstadt Lin’an (Hangzhou). Diese Seidenmalerei aus der Zeit der Song-Dynastie (um 1100) zeigt Vorbereitungen für ein Fest.
Bild: picture-alliance/akg-images
Entscheidungsschlacht zur See
Obwohl sie mindestens zehnfach unterlegen waren, gewannen die Mongolen bei der Seeschlacht von Yamen, südlich von Guangzhou (Kanton), gegen die Marine der Song-Dynastie, der ersten ständigen Seestreitmacht Chinas. Mehr als 1000 Schiffe und 200.000 Soldaten waren an der Schlacht beteiligt. Die Abbildung zeigt ein Kriegsschiff der Song mit einem Katapult an Deck.
Tod im Meer
Der letzte Kaiser der Song-Dynastie, Song Bing, wurde nur acht Jahre alt. Nachdem die mongolischen Eroberer die Seeschlacht von Yamen für sich entschieden hatten, wurde er - einem mongolischen Bericht zufolge - von einem Beamten des Kaiserhofes 1279 durch einen Sprung ins Meer mit in den Tod gerissen.
Bild: picture-alliance/CPA Media
Ende der jahrhundertealten Beamtenprüfung
Die berühmte Beamtenprüfung, die in der Song-Zeit prinzipiell jedem Chinesen den Aufstieg in höchste Staatsämter ermöglichte, wurde unter Kublai und seinen Nachfolgern zunächst außer Kraft gesetzt. Ämter wurden jetzt erblich und dienten den Mongolen zur Aufrechterhaltung sozialer, politischer und ethnischer Unterschiede in der Gesellschaft.
Bild: public domain
Meister der Yuan-Dynastie
Befreit von den Bürden der Amtspflicht, widmeten sich viele Gelehrte in der Yuan-Zeit den schönen Künsten: Huang Gongwang war einer der "vier Meister der Yuan-Dynastie", hier ein Ausschnitt aus seinem berühmten Gemälde "Leben in den Fuchun-Bergen". Den Meistern ging es nicht um Naturalismus, sondern nach Huang Gongwang um das Erfassen des inneren "Musters" der Dinge.
Bild: picture-alliance/dpa/C. Pingtang
"Göttliche Winde" kamen Japan zu Hilfe
Die scheinbar unbezwingbaren Mongolenheere Kublai Khans scheiterten zwei Mal mit dem Versuch, Japan zu erobern: 1274 und 1281. Unter anderem, weil die Eroberer in Stürmen (Kamikaze oder "göttliche Winde") einen großen Teil ihrer Mannschaften und Vorräte verloren.
Bild: picture-alliance/CPA Media
Das "Wunder" des Papiergelds
Kublai Khan überwacht die Bezahlung von Händlern durch seine Beamten, eine Abbildung aus einer Prachtausgabe des "Buches der Wunder" von Marco Polo. Effizienz von Handel und Verwaltung waren Prioritäten unter Kublai, dazu gehörten ein hervorragendes Kurierwesen - und Papiergeld. Marco Polo war von diesem neuen Bezahlsystem tief beeindruckt.
Bild: picture-alliance/akg
Marco Polo machte Kublai Khan unsterblich
Der venezianische Kaufmannssohn Marco Polo hielt sich fast ein Vierteljahrhundert, von 1271 bis 1295, im China Kublai Khans auf. Sein Reisebericht, ursprünglich unter Titeln wie "Aufteilung der Welt" oder "Wunder der Welt", war bald in fast allen europäischen Sprachen übersetzt. Er malte den Hof Kublai Khans in leuchtenden Farben und lobte ihn als gerechten und fähigen Herrscher.