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Literatur

Maren Kames über "Luna Luna"

Sabine Peschel
11. März 2020

Mit ihrem Langgedicht ist die in Berlin lebende Dichterin für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Wir sprachen mit Maren Kames über ihr pop-poetisches Gesamtkunstwerk.

Autorin Maren Kames
Bild: picture-alliance/dpa/Secession Verlag/M. Bothor

Es war eine kleine Sensation, als Jan Wagner 2015 für seinen Gedichtband "Regentonnenvariationen" den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik erhielt. Die Leipziger Jurys seien eben mutig und nominierten auch Lyrik - Titel also, die mit ihrer Auflage meist unter 5000 liegen, freut sich Maren Kames. Ihr eigener, 2020 nominierter Band "Luna Luna" dürfte ein solcher sein, zumindest in der mittlerweile überholten ersten Auflage. Gedichte werden selten vieltausendfach gedruckt, selbst wenn der Publikation wie bei Kames schon ein beachtenswertes und mehrfach ausgezeichnetes Debüt vorausging. "Halb Taube halb Pfau" heißt der 2016 erschienene erste Erfolgstitel der inzwischen 35-jährigen Autorin.

Jetzt steht ihr neuer, auf schwarzem Papier gedruckter Gedichtband "Luna Luna" auf der Nominiertenliste für den diesjährigen Leipziger Preis. Gleich nach seiner Veröffentlichung im August 2019 schlug er einige Wellen im deutschsprachigen Feuilleton. Kritiker rühmten die rasante, von einem pop-poetischen Soundtrack getragene Sprache ihres Mondgesangs.

Das Buchcover mit seiner "disko-kugelig" glänzenden Aufschrift

Deutsche Welle: "Luna Luna" wird als Langgedicht deklariert. Sind Sie mit dieser Kategorisierung überhaupt einverstanden?

Maren Kames: Ich finde die Bezeichnung okay, besser als das sehr uneindeutige "Lyrik", eine sehr grobe Einordnung. Die's auch nicht trifft.

Welche Geschichten erzählen Sie uns in den drei, mit der abschließenden "aber!"- Strophe vier Teilen Ihres Prosagedichts?

Daran, wie schwer es ist, diese Frage zu beantworten, merkt man schon, dass es eben kein Erzähltext ist. Das ist ein Abarbeiten an einer Geschichte, die permanent zwischen Verlust und Selbstbehauptung hin und her changiert. Ich glaube schon, dass es im Epilog mit der Selbstbehauptung endet. Doch gleichzeitig ist es so, dass im Verlauf dieser 100 Seiten so viel Offenporigkeit und auch Offenheit für Verletzungen bloßgelegt wird, dass man sich sicher sein kann, dass es kein finales Endergebnis gibt.

Ich hatte beim Lesen das Gefühl, etwas total aufregend erzählt zu bekommen, in einer hochpoetischen und schnellen Sprache: zuerst den Absturz Marens, im zweiten Teil öffnet sich die Perspektive hin zum Krieg, im dritten Teil geht es um Liebe, die dann durch die beharrliche Einwendung "aber!" wieder zersetzt wird…

Genau. Aber ich finde eben, alles, was man über den Text sagen kann, wird gleichzeitig auf eine spielerische Art auch wieder unterlaufen. Es steht die ganze Zeit eine Art brisante Entwicklung im Raum, und gleichzeitig tritt der Text auf andere Art permanent auf der Stelle. Das stimmt aber beides.

Wie schaffen Sie es, Ihr Gedicht, das ja eigentlich nur auf Papier existiert, als poetisch-musikalisches Crossover-Kunstwerk wirken zu lassen, quasi multimedial, denn es entstehen beim Lesen auch unweigerlich Bilder im Kopf?

Vielleicht hat das mit meiner Überzeugung zu tun, dass literarische Texte grundlegend schon ganz viel Interdisziplinäres in sich haben. Es wird in den allermeisten Fällen mit Bildern gearbeitet, aber auch mit Sprachrhythmus, es werden Schnitte gesetzt, Ausschnitte gewählt, eine Perspektive. Das alles neben der Materialität der Sprache selber, also Klang und Rhythmus, die dann eher in den Bereich Musik abdriften. Ich habe beim Schreiben immer den Eindruck, ich habe ein ganz großes Instrumentarium vor mir, aus dem ich mich bedienen kann. Dann arbeite ich teilweise filmisch oder musikalisch. Ich glaube schon, dass das Musikalische der größte Unterboden ist, das macht im Endeffekt eben die Sprache auch so lyrisch. Das Gesamtgebilde ist eine Komposition.

In manchen Fällen bilde ich den Raum, über den ich schreibe, visuell im Satzbild ab. Bei "Luna Luna" schon einfach dadurch, dass ich auf schwarzem Untergrund schreibe, und es war tatsächlich so, dass ich meinen Text auch im Entwurf auf Schwarz geschrieben habe. Und wenn dann 27 Popsong-Texte drinstecken, auf eine Art und Weise, dass die Stimmen dieser Songs beziehungsweise der Sängerinnen und Sänger zu Stimmen im Text werden und die sich wieder mit den Stimmen in meinem Text vermischen, dann wird's automatisch intermedial.

Maren Kames gewann den Hauptpreis für Lyrik beim "Open Mike" 2013 und erhielt den Preis der taz-PublikumsjuryBild: imago images/gezett

Zitate aus den Popsongs fließen in Ihren Text ein und werden in Anmerkungen nochmal aufgegriffen, die Playlist des Soundtracks ist dem Text nachgestellt. Wie ernst ist es Ihnen damit? Sind sie Kommentar oder eher Begleitrauschen?

Sie sind in den Text eingewoben, tauchen immer wieder auf. Der Bär, Sheitan, das "Mödchen", das sind alles Figuren, die ich aus den Songtexten entnommen habe und die dann in meinem Text ein Eigenleben bekommen. Bis hin zu dem Punkt, dass Annie Lennox am Ende quasi das Finale bestreitet. Das ist so ernst wie unernst.

Und dann gibt's natürlich auch ultraironische Übergriffe, wie wenn ich zum Beispiel in einer relativ plumpen Art und Weise "Forever Young" übersetze und das einem Soldaten in den Mund lege. Und dann kommt im nächsten Schritt Helene Fischer um die Ecke und wird von einem Tyrannen gesungen.

Welches Feedback bekommen Sie auf Ihren Soundtrack?

Ein bisher durchgehend positives. Ich höre von ganz vielen, das sei eine super tolle Auswahl, und zwar sowohl von Pop Aficionados, aber eben auch von Leuten, die von sich behaupten, dass sie mit Popmusik eigentlich gar nichts am Hut haben. Manche sagen, "das war für mich ein Türöffner, ich habe festgestellt, es gibt ja wirklich richtig gute Popmusik". Das haben sogar Kritiker gesagt, die sich eher in der Germanistik oder in der Literatur bewegen.

Freut es Sie, wenn man von Ihrem Kunstwerk als Pop spricht?

Ja. Ich hatte während des Schreibens diebischen Spaß, als ich irgendwann gedacht habe, du machst gerade Popliteratur, aber im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist ja, was die Sprache und die Texte selber angeht, denkbar weit weg von dem, was seit den Neunzigern als Popliteratur bezeichnet wird. Doch es ist einfach Popliteratur, weil die Referenz Popsongs sind. Und darüber hinaus ist auch vieles andere drin, was man dem Pop zuschreiben könnte. Zum Beispiel stellenweise so eine Art Comic-Sprache oder auch Comic-Ästhetik. Das hat auch was von einer Graphic Novel.

Ihre Sprache ist sehr spielerisch, verzweifelt, witzig, kindlich, dialektal, zerhackt, lautmalerisch - und bei dieser ganzen Inszenierung absolut alltäglich und verständlich. Wie finden Sie diese Sprache?

Das kann ich eigentlich nicht beantworten. Wahrscheinlich ist es im Endeffekt eine Art von Lust am Mix. Ich würde einen Text von 100 Seiten, der sich ständig auf derselben Tonhöhe bewegt, nicht durchhalten.

Luna, Göttin des Mondes, gefunden unter den Überresten eines römischen Tempelhofs in Bath in EnglandBild: Imago Images/United Archives International

Das Buch "Luna Luna" trägt ja die römische Mondgöttin im Titel. Beschwören Sie eine Göttin, oder wollen sie den Mond anheulen?

Das ist eine eingebildete oder eben herbeigesehnte emotionale Schwester, eine Art Auffangbecken, von dem man weiß, dass es sehr weit weg und eigentlich unerreichbar ist. Insofern hat das was von dem konkreten Mond, der einfach so weit weg vom Alltäglichen und im wahrsten Sinne des Wortes so weltfremd wie möglich ist. Auch das Weiblich Schillernde und der Wahnsinn gehören in diesen Hallraum.

Sprechen wir zum Schluss vom Äußerlichen, der grellen und außerordentlich schönen Gestaltung Ihres Bandes durch den bekannten Grafiker Erik Spiekermann. Diese Gestaltung wirkt kongenial zum Text. Hatten Sie einiges mitzureden?

Das Satzbild des Textes kommt von mir. Das Schwarz, die Anordnung der Songtexte in den Fußnoten, das mondförmige Fußnotenzeichen, Textmenge und -verteilung auf den Seiten, also Umbrüche und Abständen - das war alles so von mir angelegt und wurde dann auf das finale Buchformat und in die Typo von Erik Spiekermann übertragen. Aber es ist eine große Besonderheit, dass sowohl der Verlag als auch die Gestaltung eine Autorin und ihre gestalterischen Ideen so ernst nehmen und mir so viel freie Hand dabei zugestehen. Dementsprechend schön und einvernehmlich war es auch, wie wir uns über die Ausstattung des Buches, die Auswahl und Farblichkeit des Papiers, den Einband, die Coverschrift usw. abgestimmt haben. Letztlich hatten wir alle einfach eine sehr deckungsgleiche Vision davon, wie 'Luna Luna' als Objekt auszusehen hat, damit es möglichst so schimmert und leuchtet, wie der Text selbst.

Maren Kames: Luna Luna, Verlag Secession 2019, 112 Seiten

Das Gespräch führte Sabine Peschel.