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Literatur

Meisterin der schwarzen Utopie

Sabine Peschel
15. Oktober 2017

Mit Margaret Atwood hat eine der bedeutendsten Erzählerinnen der Gegenwart den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Mit dem Preis wird die Kanadierin auch als Kämpferin gegen Unterdrückung gewürdigt.

Margaret Atwood
Bild: picture-alliance/empics/C. Young

"Ich bin begeistert, dass die Menschen meine Figuren benutzen, und dass sie eine solche Wirkung haben", freute sich Margaret Atwood Anfang des Monats. Über drei Jahrzehnte nach seiner ersten Veröffentlichung 1985 hat Atwoods Roman "The Handmaid's Tale", deutsch "Der Report der Magd", durch die erfolgreiche Serien-Verfilmung noch einmal ungeahnte gesellschaftliche Relevanz bekommen. Ihre literarischen Figuren sind in den USA zum Protestsymbol gegen Trump und den republikanischen Senat geworden. Das Buch stieg erneut in die Bestsellerlisten auf, und die TV-Serie wurde im September mit gleich fünf Emmys, dem wichtigsten amerikanischen Fernsehpreis, ausgezeichnet.

Ein Werk mit politischer Komponente

"Der Report der Magd", in den USA nach 32 Jahren erneut in den BestsellerlistenBild: Piper

In diesem Fall passen Preis und Gewürdigte außerordentlich gut zusammen: Wenn die berühmte kanadische Autorin am Sonntag (15.10.) mit dem hochangesehenen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird, erhält sie einen der politischsten Buchpreise, die es gibt. Die 77-Jährige wird für ihr Gespür und ihre Hellhörigkeit für gefährliche unterschwellige Entwicklungen und Strömungen geehrt. "Humanität, Gerechtigkeitsstreben und Toleranz prägen die Haltung Margaret Atwoods, die mit wachem Bewusstsein und tiefer Menschenkenntnis auf die Welt blickt und ihre Analysen und Sorgen für uns so sprachgewaltig wie literarisch eindringlich formuliert. Durch sie erfahren wir, wer wir sind, wo wir stehen und was wir uns und einem friedlichen Zusammenleben schuldig sind", begründete der Rat des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels bei der Bekanntgabe im Juni die Auszeichnung. Die Kanadierin hat sich zeit ihres Lebens immer als Person des öffentlichen Lebens geäußert, die die konkreten politischen Verhältnisse kommentiert. Sie setzt sich für verfolgte Autoren ein, engagiert sich seit Jahrzehnten für Umweltschutz und Menschenrechte.

Von allen bisherigen Preisträgern ist Atwood die weltweit erfolgreichste. Ihre mehr als 40 Werke, darunter Romane, Essays, Kurzgeschichten und Lyrik, sind in über 30 Sprachen erschienen. Sie zeichnet die Gesellschaft oft in düsteren Farben und gilt als Meisterin der Dystopie, doch ihr Zukunftspessimismus trägt fast immer eine humorvolle, oft leicht ironische Komponente.

Elisabeth Moss als Offred in der Serien-Verfilmung von "The Handmaid's Tale"Bild: Hulu

Literarische Zukunftsvisionen mit feministischem Grundton

Margaret Atwood wurde 1939 im kanadischen Ottawa geboren und verbrachte ihre frühe Kindheit in Ottawa, Quebec und Ontario. Sie studierte englische Literatur, schrieb ihre Masterarbeit am Radcliffe-College in Harvard und lehrte ab 1964 als Literaturwissenschaftlerin an verschiedenen Universitäten in den USA. Sie ist mit dem Schriftsteller Graeme Gibson verheiratet und hat eine Tochter. Heute lebt sie in Toronto. Für ihr Werk erhielt sie schon viele Preise; für ihr Lebenswerk wurde sie 2012 mit dem Canadian Booksellers' Lifetime Achievement Award geehrt, im letzten Jahr mit dem PEN Pinter Prize gewürdigt.

Schon seit 1969 ihr erster Roman "Die essbare Frau" (The Edible Woman) erschien, ist die Unterdrückung von Frauen immer wieder Thema ihrer Romane. Ihre feministische Grundüberzeugung hat Atwood in literarische Frauenfiguren übersetzt, die mit kollektiven und individuellen Missständen zu kämpfen haben. In ihrem bekanntesten Roman, "Der Report der Magd", werden Frauen in einem Überwachungsstaat unterdrückt und als Gebärmaschinen missbraucht. Die Handlung spielt in der nahen Zukunft, nachdem eine totalitäre religiöse Männer-Gruppierung die Macht in den USA übernommen hat. Atwood schrieb das Buch 1984 in Westberlin; Volker Schlöndorff hat die sexuelle Ausbeutungsvision schon 1990 verfilmt, unter dem Titel "Die Geschichte der Dienerin".

Ein Werk in Orwells Nachfolge

Atwoods jüngster Roman "Das Herz kommt zuletzt"Bild: berlin Verlag

Die Endzeit-Trilogie "Oryx und Crake", "Das Jahr der Flut" und "Die Geschwister von Zeb" zeigt eine postapokalyptische Welt. Eine ihrer positivsten Frauenfiguren und so etwas wie ihr literarisches Alter Ego schuf Atwood 2006 mit dem Roman "Moralische Unordnung" (Moral Disorder). Die Folgen der weltweiten Finanzkrise analysiert sie in ihrem Essay "Payback. Schulden und die Schattenseiten des Wohlstands" (2008). Auf Deutsch erschien in diesem Jahr zeitgleich mit ihrem jüngsten Zukunftsroman "Das Herz kommt zuletzt" (The Heart Goes Last, 2015) ihr amüsanter Shakespeare-Roman "Hexensaat" (Hag Seed, 2016).

Außerdem hat die passionierte Vogelschützerin einen dreibändigen Comicroman "Angel Catbird" (Engelskatzenvögel) veröffentlicht. Die Superhelden-Geschichte für junge Leser, die sie mit dem Zeichner Johnnie Christmas geschaffen hat, ist in Nordamerika ein Verkaufsschlager.

Ein weiteres Werk dagegen bleibt noch fast 100 Jahre unter Verschluss: Das Manuskript ihres Romans "Scribbler Moon", hat Atwood dem norwegischen Future Library Project übergeben. Es wird erst im Jahr 2114 veröffentlicht.

Atwoods Comicroman "Angel Catbird" (Engelskatzenvögel) wurde von Johnnie Christmas gezeichnetBild: Dark Horse Books

Kämpferin gegen Unterdrückung

Caroline Emke bekam den Friedenspreis im vergangenen Jahr für ihr publizistisches Engagement gegen Hass und Gewalt. Navid Kermani wurde 2015 für den "Respekt vor den Kulturen und Religionen" ausgezeichnet. Wenn Margaret Atwood am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis bekommt, wird eine unbestechliche Autorin geehrt, die mit allem, was sie hat, gegen Unterdrückung anschreibt.

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