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Mariam Ruhin: "Frauen in Afghanistan werden unsichtbar"

Thomas Klein aus Hamburg
23. Dezember 2024

Die ehemaligen Nationalspielerinnen Shabnam und Mariam Ruhin kämpfen bei der FIFA für die Anerkennung der Frauen-Nationalelf Afghanistans und wollen ihren früheren Teamkolleginnen wieder ein Gesicht geben.

Die Fußballtrainerinnen Shabnam (l.) und Mariam (r.) Ruhin stehen auf einem Fußballplatz
Die Fußballtrainerinnen Shabnam (r.) und Mariam (l.) Ruhin haben große ZieleBild: Thomas Klein/DW

Sorgfältig bereiten Mariam und Shabnam Ruhin den Fußballplatz am "Freizeitzentrum Feuervogel" in Hamburg-Harburg vor. Bälle, kleine Hütchen und farbige Leibchen haben sie dabei. In wenigen Minuten soll das Fußballtraining beginnen. Die beiden Schwestern haben 2021 das Projekt "Spielmacherinnen" gegründet und unterstützen damit junge Mädchen, die Hilfe in der Schule brauchen oder Interesse am Fußballspielen haben.

"Als wir Kinder waren, haben wir uns schon für Fußball interessiert", erinnert sich Shabnam im DW-Gespräch. Es sei jedoch schwierig gewesen eine Mannschaft zu finden, in der Mädchen Fußball spielen konnten, ergänzt die 33-Jährige. "Deshalb versuchen wir, Mädchen die Möglichkeit zu geben, Fußball zu spielen." Und den Schwestern geht es dabei um mehr als um reine Freizeitbeschäftigung.

In Workshops und Trainings vermitteln Mariam (2.v.r.) und Shabnam (r.) Ruhin Mädchen aus einem Hamburger Brennpunkt wichtige WerteBild: Thomas Klein/DW

Durch den Sport wollen sie den Kindern, die überwiegend aus einem sozialen Brennpunkt in Hamburg kommen, zu mehr Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit verhelfen. Zudem unterstützen sie die Jugendlichen mit kleinen Workshops bei der Job- und Praktikumssuche. "Wir wollen ihnen mit Bildung und Sport versuchen, Türen zu öffnen und ihnen so mehr Möglichkeiten für ihre Zukunft bieten", berichtet Mariam.

Stolz für Afghanistan Fußball zu spielen

Shabnam und Mariam wurden beide in Hamburg geboren, ihre Eltern waren in den 1990er Jahren aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Schon früh hatten sich die beiden für den Fußball entschieden und selbst gekickt. "Für mich ist Fußball ein Gefühl der Freiheit" sagt Shabnam.

Mit viel Talent und Spielfreude machen die Sportlerinnen bei dem kleinen Hamburger Fußballverein "Einigkeit Wilhelmsburg" auf sich aufmerksam und werden 2011 von Scouts der afghanischen Fußball-Nationalmannschaft entdeckt. Kurze Zeit später geht für die Schwestern ein Traum in Erfüllung als sie erstmals für die Heimat ihrer Eltern auf dem Platz stehen dürfen.

"Es war etwas ganz Besonderes, unser Land repräsentieren zu dürfen", sagt Mariam. Und ihre Schwester ergänzt: "Ich bin sehr stolz darauf. Vor allem, weil man für ein Land gespielt hat, in dem Frauenfußball nicht üblich war. Das fühlte sich sehr gut an."

Missbrauchsskandal im afghanischen Fußball

Die Nationalmannschaftskarriere beginnt für Shabnam und Mariam wie ein Traum, doch die Schwestern müssen früh auch mit Widerständen kämpfen. "Nicht jeder war glücklich und akzeptierte, dass wir Fußball spielten. In den sozialen Medien schrieben viele Leute schlechte Dinge über uns und sagten, dass es Frauen nicht erlaubt sei, Fußball zu spielen", erinnert sich Shabnam.

"Damals hatte ich das Gefühl, dass ich nicht das Richtige tue. Aber jetzt, wo ich erwachsen geworden bin, weiß ich, dass wir als Frauen das Recht haben, Fußball zu spielen und unsere Träume zu verfolgen."

Die Fußballerinnen setzen sich gegen die in Afghanistan herrschenden kulturellen und traditionellen Normen durch und werden zu Vorbildern für tausende Mädchen und Frauen - sie werden zu einem Symbol des Widerstands und des Aufbruchs.

Doch Shabnams und Mariams Traum platzt, als 2018 durch ihre gemeinsame Initiative mit Khalida Popal, der ehemaligen Kapitänin der Nationalmannschaft, ein Missbrauchsskandal im afghanischen Fußball ans Licht kommt.

Einige der Nationalspielerinnen Afghanistans wurden von Funktionären und Trainern missbrauchtBild: x99/ZUMAPRESS/picture alliance

"In Afghanistan sind schlimme Dinge passiert, weil Mädchen von Trainern und Mitgliedern des Fußballverbands missbraucht wurden", sagt Shabnam der DW. Unter anderen wurde dem damaligen AFF-Präsidenten Keramuddin Keram vorgeworfen, Spielerinnen vergewaltigt zu haben. Nach langem Zögern sperrte der Fußball-Weltverband FIFA Keram daraufhin lebenslang. Auch die Ruhin-Schwestern ziehen Konsequenzen und treten aus der Nationalelf zurück. 

"Wir haben gesagt, dass wir das als Frauen nicht tolerieren können. Also haben wir die Nationalmannschaft verlassen", sagt Shabnam. "Wir wollten ein Zeichen setzen, dass man einer afghanischen Frau so etwas nicht antun kann."

Shabnam Ruhin: "Die FIFA muss uns helfen"

Seit der Machtübernahme der Taliban 2021 verschlechtern sich die Lebensumstände der Frauen in Afghanistan weiter. Besonders Sportlerinnen leben in Angst, werden verfolgt und fürchten um ihr Leben. "Ich sah die wilden Taliban überall", berichtete Fußball-Nationalspielerin Shamsia Amiri 2023 dem ZDF. "Sie haben Menschen geschlagen, schossen um sich, verbreiteten Angst und Schrecken."

Die Nationalspielerinnen fliehen ins Ausland - auch durch die Hilfe von Ex-Kapitänin Popal und den Ruhin-Schwestern. Mittlerweile leben die meisten von ihnen im Exil in Australien und treten seit 2022 für das Team "Melbourne Victory FC AWT", das "Afghan Women's Team" in der australischen Liga gegen den Ball.

Gemeinsam mit Popal gründeten die Ruhin-Schwestern 2014 die Organisation "Girl Power", um junge Frauen zu unterstützen. Seit 2021 nutzen sie ihre Vereinigung auch, um ehemaligen Mitspielerinnen zu helfen. "Wir versuchen Brücken zu bauen und ein Netzwerk aufzubauen, um uns gegenseitig zu unterstützen", sagt Mariam.

Von der FIFA fordern die Frauen seit einigen Jahren die Anerkennung der afghanischen Frauenfußball-Nationalmannschaft - doch der Weltverband schweigt. "Das ist unser größtes Problem. Wir versuchen, den Verband davon zu überzeugen, die Nationalmannschaft anzuerkennen", sagt Shabnam. "Die FIFA muss uns helfen."

Mariam Ruhin: "Frauen in Afghanistan werden unsichtbar"

Nur durch die Anerkennung dürfte die Nationalelf an internationalen Spielen teilnehmen. Ohne diese Aufmerksamkeit geraten die Sportlerinnen immer weiter in den Hintergrund. Um dem entgegenzuwirken, machen Shabnam und Mariam immer wieder auf die Situation ihrer ehemaligen Teamkolleginnen und auch auf Frauen in Afghanistan aufmerksam.

"Meine Stimme repräsentiert die Mädchen in Afghanistan. Solange ich still bin, werden auch die Frauen nicht gehört", sagt Mariam. Es sei wichtig, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.

Frauen in Afghanistan verlieren immer mehr Rechte und werden "unsichtbar"Bild: Thomas Klein/DW

"Wir wollen den Taliban zeigen, dass sie es nicht geschafft haben, uns zu unterdrücken, dass wir immer noch Fußballspielen und immer noch eine Gemeinschaft sind", so die 31-Jährige. Denn "die Situation in Afghanistan wird immer schwieriger. Die Frauen verlieren immer mehr Rechte und werden unsichtbar", so die ehemalige Nationalspielerin.

Ihre Schwester ergänzt: "Ich wünsche mir, dass die Mädchen in Afghanistan eines Tages ihre Rechte bekommen. Ich wünsche mir, dass sie die gleichen Rechte haben, die wir hier in Deutschland auch haben. Dass sie selbst entscheiden können, dass sie Sport treiben können, zur Schule gehen und aus dem Haus gehen können", sagt die 33-Jährige und richtet sich an die Frauen und Mädchen in Afghanistan:

"Ich möchte allen afghanischen Frauen und Mädchen sagen, dass sie stark bleiben sollen. Wir sind immer bei euch und werden weiter für euch kämpfen."