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Kunst

Marina Abramović: Auktion für die Ukraine

Andrea Kasiske
27. März 2022

Marina Abramović legt ihre legendäre Performance "The Artist is Present" von 2010 neu auf und versteigert Tickets für die New Yorker Sean Kelly Gallery. Der Erlös geht an eine Hilfsorganisation für die Ukraine.

Marina Abramović sitzt einem Besucher der Performance "The Artist is Present" im New Yorker MOMA schweigend gegenüber
Mehr als 700 Stunden lang saß Marina Abramović 1675 Besuchern des New Yorker MoMA gegenüber (2010)Bild: Marco Anelli/Marco Anelli/Courtesy of Marina Abramovic/dpa/picture alliance

"Ich frage mich, was im Moment die Aufgabe von uns Künstlern ist, überhaupt von uns Menschen, wie können wir helfen?" Marina Abramović spricht in diesem Interview mit der DW (16.3.2022) emotional und eindringlich. Das tut sie meist, aber der Krieg in der Ukraine berührt sie ganz offensichtlich sehr. Bereits einen Tag nach Kriegsbeginn hat sie mit einer Video-Botschaft reagiert, in der sie sagt: "Ein Angriff auf die Ukraine ist ein Angriff auf uns alle. Es ist ein Angriff auf die Menschheit und muss gestoppt werden." Gewalt und Krieg, klar, da ist sie dagegen. Aber anders als die früheren Kriege in Afghanistan, Irak oder Syrien sei dieser gefühlt ganz in der Nähe, quasi im eigenen "Hinterhof".

Darum belässt sie es nicht bei Worten, sondern findet einen Weg, durch Kunst eine Hilfsorganisation mit Geld zu unterstützen. In der Neuauflage ihrer 2010 so erfolgreichen Performance "The Artist is Present" dürfen ihr am 16.4.2022 in der New Yorker Sean Kelly Gallery jene drei Personen exklusiv gegenübersitzen, die in einer eigens dafür eingerichteten Auktion am meisten zu geben bereit waren. Die Versteigerung auf der Plattform Artsy endete am 25.3., der Erlös ist bislang nicht bekannt gegeben worden.

Marina Abramović: Schon vor dem Krieg in der Ukraine aktiv

Für eine Künstlerin, die in New York lebt, mag die gefühlte Nähe des Krieges angesichts der geografischen Entfernung merkwürdig klingen. Doch Abramović ist erstens als Tochter von Partisanen im jugoslawischen Serbien aufgewachsen und zweitens war sie mehrmals in der Ukraine. Gerade noch vergangenes Jahr, in der Holocaust-Gedenkstätte Babyn Jar außerhalb von Kiew.

Dort ist im Oktober 2021 ihre bisher raumgreifendste Installation eingeweiht worden. "The Crystal Wall of Crying" (bedeutet auf Deutsch so viel wie "Die kristallene Mauer des Weinens") ist eine 40 Meter lange, interaktive "Klagemauer" aus Kohle, gespickt mit riesigen Quarzkristallen. Sie erinnert an den Ort einer der größten Massenerschießungen im Zweiten Weltkrieg: An zwei Tagen im September 1941 wurden in der "Weiberschlucht", wie Babyn Jar auf Deutsch heißt, mehr als 33.000 Menschen, hauptsächlich jüdische, von Angehörigen der Deutschen Wehrmacht und dem Sonderkommando SS ermordet.

Die "Mauer des Weinens" als Mauer der Heilung

Marina Abramović in Babyn Jar vor der von ihr entworfenen "Crystal Wall of Crying" im Oktober 2021Bild: Irina Yakovleva/dpa/TASS/picture alliance

Unweit der Gedenkstätte ist am 1.3.2022 der Fernsehturm von Kiew von einer Rakete getroffen worden. Es grenzt fast an ein Wunder, dass die Mauer nicht beschädigt wurde. Wenn die "Crystal Wall of Crying" diese Hölle unbeschadet überstehe, dann, so meint die Künstlerin, bekäme sie einmal mehr eine doppelte Bedeutung. Ein Ort für Trauer und Erinnerung, aber auch ein Ort der Heilung, so sieht es die Künstlerin und zitiert den Dalai Lama: "Der einzige Weg, das Töten zu überwinden, heißt Vergebung." Und sie ergänzt, dass das der Schlüssel zur Menschlichkeit sei.

Nicht ganz leicht angesichts der täglichen Eskalation des Krieges, der zahlreichen zivilen Opfer und Millionen Menschen, die sich auf der Flucht in und aus der Ukraine befinden. Vergebung ist ein großes Wort - was zähle, sei sich jetzt zu positionieren. Für Abramović ist klar: Russische Künstlerinnen und Künstler, die sich nicht von Putin distanzieren, sollten boykottiert werden.

Kunst, die schmerzt

Künstlerische "Schnellschüsse" waren noch nie die Sache von Abramović. Ihre vielen Performances, in denen sie sich Verletzungen zufügt, wie in "Lips of Thomas" (1975/1993/2005), wobei sie sich den fünfzackigen kommunistischen Stern in den Bauch ritzt, sich dann auf Eis legt und mit einem Fön die Wunde zum Bluten bringt, suchen nie den "Kick", sondern die Transformation von Schmerzen. Ihre Performances sind vielfach eine persönliche Grenzüberschreitung, weisen aber auch darüber hinaus.

In "Balkan Baroque" schrubbt Marina Abramović auf der Biennale in Venedig 1997 tagelang in einem Kellerraum blutige, stinkende Knochen. Für diese drastische Antwort auf den Jugoslawien-Krieg, der sechs Jahre zuvor begonnen hatte, erhält sie mit dem "Goldenen Löwen" den Preis der Biennale. Von dem Blut der Opfer, kann man sich nicht reinwaschen, so die Aussage, die universelle Gültigkeit besitzt. Auch heute im Krieg gegen die Ukraine.

"Kunst steht nicht an erster Stelle"

"Im Moment steht Kunst nicht an erster Stelle, tut mir leid, nein", sagt sie nachdrücklich. "Es gibt so viel dringlichere Dinge zu tun, wenn ich sehe, wie Krankenhäuser bombardiert werden, wie Babys rausgetragen werden. Die Frau, die in dieser Situation bei der Geburt stirbt, das ist so viel wichtiger als alles andere gerade."

Für sie steht die konkrete Hilfe jetzt an erster Stelle, Gelder für Medizin und Flüchtlingsunterkünfte. Man müsse helfen, Menschenleben zu retten. Sie hat sich entschieden, selbst aktiv zu werden und zwar finanziell. Mit einer Neuauflage ihrer Langzeit-Performance "The Artist is Present" von 2010.

Drei Monate lang saß Abramović schweigend, ohne ihren Stuhl zu verlassen, während der Öffnungszeiten im New Yorker Museum of Modern Art. Die Besucher konnten ihr gegenüber Platz nehmen. Mit "The Artist is Present" wurde sie endgültig zur Legende. Jetzt versteigert sie auf der Online-Plattform Artsy die Möglichkeit, am 16. April in der New Yorker Sean Kelly Gallery, wo gerade ihre Schau "Performative" läuft, mit ihr zu sitzen und sich schweigend in die Augen zu schauen.

Die drei meistbietenden Personen, eine einzelne und ein Paar, erhalten zudem ein signiertes Foto. Der Erlös geht an die Hilfsorganisation Direct Relief, die in Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Gesundheitsministerium medizinische Hilfe sowie langfristige Unterstützung für die vom Krieg betroffenen Menschen in der Ukraine leistet.

Die Situation ist so gefährlich wie nie zuvor

Ein Krieg, von dem nach wie vor nicht klar ist, wie er enden kann und wird. "Es könnte zu einem dritten Weltkrieg führen", sagt Marina Abramović. "Meine Generation wurde nach dem Zweiten Weltkrieg geboren, und ich habe so eine Situation nicht erwartet. Jetzt ist es richtig gefährlich, weil wir das Ego von Putin erschüttert haben, er kann nicht verlieren, er wird jeden einzelnen Stein in der Ukraine zerstören, bevor er rausgeht."

Die NATO, sollte sie sich einmischen, würde sie damit eventuell einen Dritten Weltkrieg, womöglich gar atomar, provozieren? "Die Situation ist viel gefährlicher als wir denken, für alle Menschen, für den ganzen Planeten." Damit hat Marina Abramović sicherlich recht.

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