1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Mercosur-Abkommen jetzt unterzeichnen"

Nádia Pontes | Bruno Lupion | Astrid Prange de Oliveira
13. September 2023

Im DW-Interview kritisiert Brasiliens Umweltministerin Marina Silva die neuen EU-Umweltauflagen gegenüber dem Handelsbündnis Mercosur und fordert von Industrieländern mehr Geld für den Schutz tropischer Regenwälder.

Brasilien Klima l US-Klimabeauftragte John Kerry in Brasilia l Pressestatement von Umweltministerin Marina Silva
Brasiliens Umweltministerin Marina SilvaBild: Evaristo Sa/AFP

Deutsche Welle: Präsident Lula liebäugelt mit der Erdölförderung im brasilianischen Regenwald. Nach dem Amazonas-Gipfel in Belém (08.08. bis 09.08.2023) erklärte er, die Bevölkerung im Gebiet der Amazonas-Mündung könne weiterhin von der Erdölförderung "träumen". Ist es wirklich möglich, Umweltschutz, nachhaltige Entwicklung und Erdölförderung miteinander zu kombinieren? Ist das nicht ein Widerspruch?

Marina Silva: Es ist ein Widerspruch. Doch nicht nur in Brasilien, sondern weltweit. China schreitet beim Klimaschutz voran, die USA, Europa, Großbritannien, Japan und Kanada auch. Aber keiner hat es bisher geschafft, die fossilen Brennstoffe komplett durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Die Welt kann noch nicht zu 100 Prozent auf fossile Brennstoffe verzichten. Brasilien verfügt über das Potenzial, seine Energieversorgung zu 100 Prozent aus sauberen Quellen zu sichern. Zurzeit macht der Anteil 40 Prozent aus.

Brasilien hat wiederholt gefordert, reiche Industrieländer sollten für den Schutz tropischer Regenwälder zahlen. Welche Instrumente stehen dafür zur Verfügung?

Brasilien, Indonesien, die Demokratische Republik Kongo und Kongo-Brazzaville sind Länder mit riesigen Regenwaldflächen. Deshalb müssen wir über einen neuen Mechanismus nachdenken, wie die internationale Gemeinschaft Mittel in einen Fonds zum Schutz dieser Wälder einzahlen kann, die für das Gleichgewicht des Planeten fundamental sind. Industrieländer können und sollten Mittel dafür zur Verfügung stellen.

Beim Amazonasgipfel in Belém im August forderten Indigene ein Ende der Zerstörung des RegenwaldsBild: Ueslei Marcelino/REUTERS

Eines der Instrumente dafür ist der Amazonasfonds. Er wurde 2008, als ich noch Umweltministerin war (siehe Kurzbiografie unten, Anmerkung der Redaktion), ins Leben gerufen. Das Besondere und Innovative an dieser privaten Klimafinanzierungsinitiative ist, dass sie erst Mittel freigibt, wenn die vereinbarten Ziele erreicht worden sind.

Dies hat dazu beigetragen, dass die Entwaldung laut dem brasilianischem Institut für Weltraumforschung (INPE) zwischen 2004 und 2012 von einem Höchstwert von 27.000 Quadratkilometern auf 4500 Quadratkilometer zurückgegangen ist.

Der Fonds verfügt aktuell über ein Kapital in Höhe von 676 Millionen US-Dollar. Mit den neuen Zusagen von Deutschland, Großbritannien, den USA und der EU können wir die Mittel auf rund 1,2 Milliarden Dollar verdoppeln.

Ein weiteres Instrument ist der Green Climate Fund der UN-Klimarahmenkonvention, der weltweit agiert. Dadurch sollen ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für die ökologische Transition und Treibhausgasverringerung bereitgestellt werden. Der Zugang zu diesen Mitteln ist allerdings sehr kompliziert und die Auszahlungen sind nicht im versprochenen Umfang erfolgt.

Damit nicht genug. Denn den jährlich versprochenen, aber nicht gezahlten 100 Milliarden Dollar für die ökologische Transitionen stehen jährlich vier bis sechs Billionen Dollar an Investitionen in fossile Energien gegenüber.  Dies hat die 2021 veröffentlichte Studie des indischen Umweltökonomen  Partha Dasgupta nachgewiesen. 

Brasilien: Lulas ehrgeizige Ziele für den Regenwald

02:25

This browser does not support the video element.

Kommen wir zu den Beziehungen zwischen Brasilien und Europa. Sind Sie für das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Handelsbündnis Mercosur?

Ja, ich bin dafür. Es ist wichtig, dass regionale Wirtschaftsblöcke sich in ihren kommerziellen Aktivitäten erweitern können. Durch das Abkommen tun sich für brasilianische Produkte neue Absatzmärkte auf. Wir arbeiten daran, dass unsere Landwirtschaft ihren CO2-Ausstoß reduziert, unsere Wälder nachhaltig genutzt werden und dass Brasilien mit grünem Wasserstoff zu einem großen Exporteur sauberer Energie wird.

Im Juli hat die EU zusätzliche Forderungen in den Bereichen Umweltschutz und Menschenrechte gestellt, damit das Abkommen in Kraft treten kann. Was halten Sie davon?

Mir scheint, als behandelte die EU die Regierung von Präsident Lula in dieser Hinsicht immer noch so, als handelte es sich um die Regierung von Ex-Präsident Bolsonaro. Das Abkommen war ja unter der Regierung von Ex-Präsident Bolsonaro beinahe abschlussreif, obwohl seine Regierung sich nicht um das Klimaschutzabkommen von Paris, Umweltschutz und Indigenenrechte geschert hat. Das hat sich unter Präsident Lula geändert. Wir haben die Entwaldung im Amazonas in den ersten sieben Monaten des Jahres um 48 Prozent reduziert und damit die Emission von 196 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre verhindert. Also sollte das Freihandelsabkommen jetzt unterzeichnet werden.

Seit dem Amtsantritt von Präsident Lula sind die Kontrollen gegen illegale Abholzung durch die Umweltbehörde Ibama erneut verstärkt wordenBild: Nádia Pontes/DW

Mit welchen Maßnahmen konnte diese Trendwende erreicht werden?

Der Erfolg erklärt sich durch ein Bündel von Maßnahmen. Präsident Lula hat Klimaschutz als politische Priorität festgelegt und will bis 2030 einen kompletten Stopp der Abholzung erreichen. Am Tag seines Amtsantritts hat er zehn Dekrete unterzeichnet, fünf davon im Bereich Umweltschutz, ein klares Zeichen für den hohen politischen Stellenwert. Gleichzeitig ist unter Führung meines Ministeriums das Programm für Prävention und Kontrolle von Abholzung im Amazonas in Rekordzeit wieder aufgelegt worden.

Die brasilianische Umweltbehörde Ibama hat ihre Kontrollen um 200 Prozent verstärkt. Es geht jetzt darum, die Umweltbehörden wieder ausreichend für ihre Aufgaben auszustatten. Da gibt es noch große Defizite. Nach dem Ende meiner ersten Amtszeit als Umweltministerin (2003 bis 2008) verfügte das Ibama zum Beispiel über 1700 Kontrolleure, zurzeit sind es nur 700, von denen nur 300 wirklich für auswärtige Operationen einsetzbar sind.

Im Dezember kommt Präsident Lula nach Deutschland. Welche Erwartungen gibt es aus brasilianischer Perspektive an diesen Staatsbesuch?

Wahrscheinlich wird Deutschland bei dem Besuch verkünden, wieviel es zusätzlich in den Amazonasfonds einzahlen wird. Der Amazonasfonds und das bereits 1992 beim UN-Klimagipfel  aufgesetzte Pilotprogramm zur Erhaltung brasilianischer Regenwälder (PPG7) bilden die Grundlage der langjährigen und fruchtvollen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Brasilien im Bereich Umweltschutz. Nun geht es darum, wie diese Kooperation zum Schutz tropischer Regenwälder erweitert werden kann. 

Enge Verbindung: Brasiliens Präsident Lula und Bundeskanzler Scholz beim G7-Gipfel in Japan im Mai dieses JahresBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Ein anderer wichtiger Punkt ist die UN-Klimakonferenz in Dubai (30.11. bis 12.12.2023). Dabei geht es nicht nur um Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel, sondern um die tatsächliche Verringerung des CO2-Ausstoßes sowie die ökologische Transformation. Es ist entscheidend, das bisherige Wirtschaftsmodell, das uns in die Klimakrise hinein manövriert hat, zu verändern. Der Wandel muss sowohl ökologisch als auch sozial sein. Es muss eine Klimagerechtigkeit geben, denn bisher bekommt die Bevölkerung in Afrika, Asien, Lateinamerika und der Karibik die Folgen des Klimawandels am stärksten zu spüren. Brasilien leistet seinen Beitrag.

Die Politikerin Marina Silva war bereits von 2003 bis 2008 Umweltministerien Brasiliens. Die Weggefährtin des Regenwaldschützers Chico Mendes wuchs in einer Kautschuksiedlung im Amazonas auf und ist für ihren Einsatz für Umwelt- und Klimaschutz mehrfach international ausgezeichnet worden.  

Das Gespräch führten Nadia Pontes, Bruno Lupion und Astrid Prange de Oliveira. Der Text wurde vom Portugiesischen ins Deutsche adaptiert.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen