Auf Stimmenfang
13. März 2012"Der Unterschied zwischen dem Front National und anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa?" Etienne François, Historiker am Frankreich-Zentrum der Freien Universität Berlin, lacht bitter: "In keinem europäischen Land hat eine rechtspopulistische Partei so viele Anhänger wie in Frankreich - leider!"
Etwa 15 Prozent der Franzosen werden am 22. April für den Front National stimmen, sagen die Umfragen voraus. Seit Ende der 1980er Jahre erreicht der Front National im ersten Wahlgang regelmäßig etwa so viele Stimmen; in die Stichwahl kam er aber nur 2002. Die dominierende Figur der rechtspopulistischen Partei war lange Zeit Jean-Marie Le Pen. Er gründete den Front National vor 40 Jahren und war bekannt für zahlreiche antisemitische und rassistische Äußerungen.
Moderater und moderner
Im Januar 2011 hat Marine Le Pen die Parteiführung übernommen. Die 43-jährige Rechtsanwältin ist die jüngste der drei Le-Pen-Töchter. Sie sei thematisch etwas flexibler als ihr Vater, glaubt Florian Hartleb. Er forscht derzeit am Centre for European Studies (CES) in Brüssel. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Populismus, politische Parteien und Extremismus in der EU. Insgesamt, so Hartleb, versuche Marine Le Pen, die Partei zu modernisieren und ihr einen moderateren Kurs zu geben.
Doch Euro-Skepsis, Nationalismus und die Verteidigung der Souveränität Frankreichs sind aus dem Programm des Front National nicht wegzudenken: Ziele Marine Le Pens sind sowohl der Austritt aus der Euro-Zone als auch der Austritt aus der NATO. Eines der Kernthemen bleibt auch die Fremdenfeindlichkeit: Der Front National kämpft gegen die vermeintliche Unterwanderung Frankreichs insbesondere durch muslimische Einwanderer.
Gleiche Grundpositionen
"Er ist eine massive Protestpartei", fasst Etienne François zusammen: Die Grundpositionen seien geblieben, auch wenn sich Marine Le Pen nicht rassistisch oder antisemitisch äußere, so der Historiker: "Marine Le Pen stilisiert sich als die Verteidigerin des Laizismus, also der Trennung von Kirche und Staat, und der Werte der Republik Frankreichs und als Beschützerin der kleinen Leute gegen die Bosse von oben."
Der Tenor ihres Wahlkampfs bleibt allerdings erkennbar: So lancierte sie eine Kampagne gegen Fleisch von Tieren, die geschächtet, also nach islamischen Riten geschlachtet wurden. Vordergründig forderte sie die Einhaltung republikanischer Werte und Respekt vor den Wünschen des französischen Volkes.
Tatsächlich aber schürte sie unter anderem in Videos auf ihrer Homepage Ängste vor den vermeintlich schädlichen Bräuchen des muslimischen Glaubens: "Wie steht es um die Risiken für die, die Halal-Fleisch konsumieren, oft, ohne das überhaupt zu wissen?", fragt Le Pen scheinbar besorgt. Und weiter: "Der Verbraucher zollt dem islamischen Glauben Tribut, wenn er Halal-Fleisch isst. Wo bleiben da die Regeln der Republik, warum tut die öffentliche Hand nichts dagegen, wieso können sowohl die rechten als auch die linken Parteien diesen Skandal negieren?"
Wähler aus allen Gesellschaftsschichten
Damit spricht Marine Le Pen alle Gesellschaftsschichten an, nicht nur die Frustrierten, Alten und Armen, sondern auch Arbeiter und Angestellte. Typisch für solche Parteien sei, dass auch Menschen aus der Mittelschicht sie wählen, die gewisse Ressentiments gegen Einwanderer haben oder Wohlstandverslust fürchten, hat Populismusforscher Florian Hartleb beobachtet. Und Etienne François stellt fest: "Auch immer mehr der so genannten Gebildeten und Honoratioren halten die Partei mittlerweile für salonfähig."
Hier versucht der amtierende Präsident Nicolas Sarkozy Wähler abzuwerben - indem er auf ähnliche Themen wie Le Pen setzt. Das Thema des "Halal-Schächtens" hat Sarkozy prompt aufgegriffen, ebenso wie Fragen der Einwanderung. "Wenn es innerhalb eines Jahres keine ernsthaften Fortschritte beim Schutz der EU-Außengrenzen gäbe, werde Frankreich seine Schengen-Mitgliedschaft suspendieren", erklärte Sarkozy bei einem Wahlkampfauftritt Mitte März.
Die nationale Karte
"Er setzt jetzt auf die nationale, die nationalistische Karte", beobachtet Florian Hartleb. Wenn Marine Le Pen aller Voraussicht nach im ersten Wahlgang am 22. April aus dem Rennen ist, werden sich viele ihrer Wähler in der Stichwahl am 6. Mai der UMP von Nicolas Sarkozy zuwenden, glauben Beobachter.
Und sollte Sarkozy die Präsidentschaftswahlen gegen seinen sozialistischen Herausforderer François Hollande verlieren, könnten die gemäßigten Konservativen in Versuchung kommen, bei den Parlamentswahlen im Juni Arrangements mit dem Front National zu treffen, glaubt Etienne François vom Frankreich-Zentrum der FU Berlin. Dann könnte die Rechte in Frankreich noch etwas gesellschaftsfähiger werden.
Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Thomas Kohlmann