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PolitikMarokko

Marokko siegt mit seiner Westsahara-Strategie

31. August 2024

Neben Spanien unterstützt mit Frankreich jetzt ein weiteres europäisches Land Marokkos Anspruch auf die Westsahara. Das hat Folgen für die dort lebenden Sahrauis, das benachbarte Algerien und die Region insgesamt.

Ein Helikopter der UN nahe der Ortschaft Guerguerat in der Westsahara
International im Fokus: Ein Helikopter der UN-Mission MINURSO nahe der Ortschaft Guerguerat in der Westsahara Bild: Fadel Senna/AFP

Für den marokkanischen König Mohammed VI. könnte dieser Sommer in die Geschichtsbücher eingehen. Seit fünf Jahrzehnten steht die Westsahara im Süden Marokkos im Mittelpunkt eines militärischen und politischen Konflikts - nun könnte er mit einem Sieg der Regierung in Rabat enden.

Marokko beansprucht die phosphatreiche Region mit direktem Zugang zum Atlantischen Ozean für sich und hat große Teile annektiert. Hier leben unter anderem rund 160.000 Einheimische, die Sahrauis. Seit die Kolonialmacht Spanien sich 1975 aus dem Gebiet zurückgezogen hat, kämpfen sie für staatliche Unabhängigkeit. Politisch vertreten werden sie von der Frente Polisario.

Seit einem halben Jahrhundert umkämpft

Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Polisario und Marokko endeten 1991 mit einem Waffenstillstand, der bis 2020 weitgehend hielt und den die UN-Mission MINURSO überwacht. Sie sollte auch ein von den Vereinten Nationen geleitetes Referendum durchführen, in dem die einheimischen Sahrauis über die Zukunft der Westsahara abstimmen sollen. Es hat bis heute nicht stattgefunden. 

Die Polisario wird von Marokkos Nachbar Algerien unterstützt. Infolge dieses seit Jahrzehnten anhaltenden Streits sind Marokko und Algerien wiederholt miteinander in Konflikt geraten. 2020 beendeten sie ihre diplomatischen Beziehungen. Algerien selbst strebt keine Kontrolle über die Westsahara an, doch mehr als 170.000 sahrauische Flüchtlinge leben seit einem halben Jahrhundert in Lagern in der algerischen Wüste.

In den vergangenen Jahren hat Marokkos Anspruch auf die Region zunehmend internationale Rückendeckung erhalten. So teilte der französische Präsident Emmanuel Macron dem marokkanischen König in diesem Sommer mit, Paris werde fortan den marokkanischen Plan für die Westsahara unterstützen.

Polisario-Kämpfer feiern das 50-jährige Bestehen der Befreiungsbewegung im Flüchtlingslager Aoussered in Algerien, Mai 2023Bild: Guidoum Fateh/AP/picture alliance

Ursprünglich hatte Marokko diesen Plan bereits 2007 ins Spiel gebracht. Er sieht die Schaffung autonomer politischer Institutionen in der Region sowie die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und einen Hafen am Atlantik vor. Die Kontrolle über Außenpolitik, Verteidigung und Währung wäre Marokko vorbehalten.

"Die Anerkennung durch Frankreich ist ein symbolischer Schritt, der das Schicksal des Westsahara-Konflikts besiegeln könnte", sagt Sarah Zaaimi von der in Washington ansässigen Denkfabrik Atlantic Council im DW-Interview.

Thomas M. Hill, Direktor der Nordafrika-Programme des Thinktanks United States Institute of Peace in Washington, kam diesen Monat in einem Meinungsartikel zu einem ähnlichen Schluss: Der Westsahara-Konflikt sei "vorbei". Der sahrauischen Unabhängigkeitsbewegung bleibe keine andere Wahl, als sich mit einer Form der Autonomie innerhalb Marokkos zu begnügen.

Migration nach Europa als Dreh- und Angelpunkt

Vor Frankreich hatte 2022 bereits Spanien die Westsahara als marokkanisches Territorium anerkannt. Ebenso taten dies die USA - im Gegenzug verpflichtete sich Marokko, seine diplomatischen Beziehungen zu Israel zu normalisieren. Auch die Golfstaaten und eine Reihe afrikanischer und lateinamerikanischer Länder betrachten die Westsahara als Teil Marokkos.

Gleichzeitig unterstützen Dutzende Staaten sowie die Afrikanische Union die Polisario beziehungsweise erkennen die von ihr proklamierte Demokratische Arabische Republik Sahara an. Die Unterstützung bröckelt allerdings oder liegt auf Eis.

Die Vereinten Nationen erkennen weder die Souveränitätsansprüche Marokkos noch die der Polisario an - sie brachten darum das Referendum ins Spiel. Diese Position teilt auch die Europäische Union, und zwar ungeachtet des Umstandes, dass Spanien und Frankreich ihre Haltung inzwischen geändert haben.

Gespräche auch über die Westsahara: der französische Präsident Emmanuel Macron (l.) und der marokkanische Premier Aziz Akhannouch in Paris, Juli 2024Bild: Antonin Burat/Le Pictorium/MAXPPP/picture alliance

Frankreichs diplomatische Kehrtwende sei nach Jahren der Neutralität in dieser Frage weniger von dem Wunsch getrieben, den Streit um die Westsahara zu beenden, sagt Alice Gower, Direktorin für Geopolitik und Sicherheit bei der Londoner Beratungsfirma Azure Strategy, der DW. Zudem habe dieser Schritt kaum praktische Auswirkungen vor Ort. Vielmehr sei Macrons Schritt durch den Umstand motiviert, das Migration in Frankreich ein heftig umstrittenes Thema sei.

Tatsächlich ist die Westsahara zu einem der meistfrequentierten Ausgangspunkte für Migranten geworden, die es auf die Kanarischen Inseln schaffen wollen. Frankreich hofft, der marokkanische König Mohammed VI. werde dazu beitragen, die Migration nach Europa aufzuhalten. Darüber hinaus hat die Regierung in Paris erhebliches Interesse daran, ein Machtvakuum in der zunehmend unbeständigen Region zu vermeiden - vor allem mit Blick auf instabile und umkämpfte Länder wie Libyen und Sudan.

"Macron möchte die marokkanische Monarchie stützen. Sie ist in den vergangenen Jahren in eine Legitimationskrise geraten", so Gower. Dazu kämen der wachsende russische und iranische Einfluss im benachbarten Algerien sowie generelle Sicherheitsbedenken in der Sahelzone.

Ein Großteil der Westsahara-Flüchtlinge lebt in Algerien - Szene aus dem Flüchtlingslager Boujdour im Westen des Landes Bild: Noe Falk Nielsen/NurPhoto/picture alliance

In dem Bemühen, Migranten nicht in die EU zu lassen, arbeiten Spanien und Marokko bereits seit geraumer Zeit zusammen. Als beispielsweise in den vergangenen Tagen täglich hunderte Menschen versuchten, in die in Marokko gelegene spanische Enklave Ceuta zu kommen, hinderten spanische Beamte sie daran. "Wir haben das mit Marokko gemeistert", sagte ein spanischer Polizeisprecher der Nachrichtenagentur Reuters.

Algerien unter Druck

Allerdings habe die Entscheidung Frankreichs das Potenzial, "Algerien noch mehr in die Arme der russisch-iranischen Achse zu treiben und Algerien zu einer Reaktion zu drängen, insbesondere im Hinblick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen Anfang September", sagt Sarah Zaaimi vom Atlantic Council.

Auch die Frente Polisario könnte auf Frankreichs Entscheidung reagieren, meint Algerienexperte Zine Labidine Ghebouli vom European Council on Foreign Relations. Die Polisario könnte entscheiden, "dass es angemessener und sinnvoller ist, die militärischen Kämpfe zu verschärfen, als auf eine diplomatische Lösung zu warten, die vielleicht nie kommt". Bisher allerdings zitiert die Nachrichtenagentur der Sahrauis die Polisario lediglich mit der Forderung, die Lage in der besetzten Westsahara brauche eine international legitime Lösung, die das Recht der Sahrauis auf Selbstbestimmung bestätige. 

Inzwischen hat Algerien seinerseits den diplomatischen Druck verschärft. Algier hat seinen Botschafter in Paris abberufen und nimmt keine aus Frankreich abgeschobenen algerischen Staatsangehörigen mehr zurück.

Für Ghebouli besteht kein Zweifel, dass dies eine Reaktion auf Frankreichs Marokko-Unterstützung ist. Sein Fazit: "Die Westsahara ist zu einer Verlängerung von Algeriens nationalem Sicherheitsbereich geworden."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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