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Politik

"Marsch der Imame" macht Station in Berlin

Jefferson Chase
9. Juli 2017

Beim zweiten Stopp auf ihrer einwöchigen Tour gedenken liberale Imame in Berlin der Opfer islamistischen Terrors im vergangenen Dezember auf dem Breitscheidplatz. Für einige Teilnehmer ist das eine gefährliche Geste.

Deutschland Marsch der Muslime Breidtscheidplatz Berlin
Bild: DW/J. Chase

Einen symbolträchtigeren Ort hätte die Gruppe internationaler Imame für ihren Stopp in Deutschland nicht wählen können: Am Breitscheidplatz steht nicht nur die immer noch teils zerstörte Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche, die an den Zweiten Weltkrieg erinnert. Hier lenkte auch der Islamist Anis Amri im vergangenen Dezember einen Lkw in eine Besuchergruppe auf dem Weihnachtsmarkt und tötete zwölf Menschen.

An der behelfsmäßigen Erinnerungsstätte dort legten die Imame, die derzeit durch Frankreich, Deutschland und Belgien reisen, um sich gegen Extremismus und Terrorismus zu wenden, Blumen nieder. Es gab außerdem eine kurze Zeremonie auf Arabisch, Französisch, Deutsch und Hebräisch. Auch Berliner Muslime wandten sich an die Zuhörer. 

"Starkes Signal für Frieden und gutes Miteinander"

"Diese Monster, die sich selbst in die Luft sprengen und so andere töten, tuen das weder im Namen des Islam noch irgendeiner anderen Religion", sagte Sawsan Chebli, die Berliner Beauftragte für Bürgerschaftliches Engagement bei der Veranstaltung. "Ich bin auch Muslima. Dieser Marsch ist ein wirklich starkes Signal dafür, dass Muslime für den Frieden und ein gutes Miteinander sind."

Der "Marsch", genau genommen eine Bustour, war die Idee von Hassen Chalghoumi, Imam in der Pariser Vorstadt Drancy und des französisch-jüdischen Autors Marek Halter. Der Berliner Imam Taha Sabri, einer von 60 Geistlichen, die überwiegend aber aus französischsprachigen Ländern kommen und teilnahmen, sprach für die Opfer ein Gebet: "Wir bitten dich, Gott, um Frieden und um Gnade für die unschuldigen Seelen, die so grausam von Menschen getötet wurden, die ohne  Menschlichkeit und Gewissen handelten." 

Hocine Drouiche (Mitte) erzählte von Drohungen gegen seine FamilieBild: DW/J. Chase

In Deutschland wurden die muslimischen Gemeinden in letzter Zeit kritisiert, weil sie sich nicht genügend gegen den Terror aussprächen und ihn nicht verurteilten. Kritiker könnten zudem sagen, dass warme Worte an einem symbolträchtigen Ort wohl kaum eine brauchbare Maßnahme im Kampf gegen den mörderischen Islamismus sind.

"Die Mehrheit akzeptiert unsere Aktion nicht"

Den wohl ergreifendsten Moment aber gab es bei der Pressekonferenz. Hocine Drouiche, ein Vertreter der französischen Imame, machte Reportern unter Tränen klar, was für einige der Teilnehmer auf dem Spiel steht: Er und seine Familie seien für ihre liberale Haltung aus der muslimischen Gemeinde heraus bedroht worden. Einige der Imame, die am Marsch teilnehmen, würden außerdem ihre Arbeit verlieren, weil sie ihre Meinung äußern.

"Die Mehrheit der Muslime akzeptiert unsere Haltung nicht", so Drouiche gegenüber der DW. "Wir haben Angst um unsere Frauen und Kinder. Das ist ein großes Problem. Diese Leute sind Feinde des Westens." 

Eine bewegende Mahnung. Denn die Imame, die am Marsch teilnehmen, betonen zwar, dass der Islam - korrekt interpretiert - ein friedlicher und humaner Glaube sei. Doch es existiere auch eine nicht unbedeutende Subkultur. Jene Gläubige gehen auf Konfrontation mit jedem, der ihren strikten Glauben nicht teile und die auch vor Gewalt nicht zurückschreckten.

Demonstrationskultur fehlt

"Ich nehmen an diesem Marsch teil, weil ich deutlich machen will, dass es so etwas wie islamischen Terrorismus nicht gibt," erklärt Sabri gegenüber Reportern. "Das ist eine faschistische Ideologie, die den Islam missbraucht."

Wenn aber der Islamlismus im Grunde eine neo-faschistische Bewegung ist und keine religiöse, dann bleibt die Frage, warum der Großteil der Muslime in Deutschland bisher nicht dagegen auf die Straße gegangen ist. Die Zahl der Zuschauer bei der Veranstaltung am Sonntag war jedenfalls lange nicht so groß wie die der Journalisten, die darüber berichteten.

Die Teilnehmer legten zum Gedenken an die Opfer vom Breitscheidplatz Blumen niederBild: DW/J. Chase

Eine Mutter, die mit ihren zwei Teenagern aus Dänemark gekommen ist, erklärte beispielsweise gegenüber der DW, dass bei einem ähnlichen Event in Kopenhagen vor einigen Wochen etwa tausend Menschen teilgenommen hätten.

Eine Gruppe von vier Musliminnen meinte, für den Marsch sei zu wenig Werbung gemacht worden. Zudem würden viele Muslime am Sonntag arbeiten. Aber sie waren sich einig, dass es mehr Veranstaltungen geben sollte, bei denen Muslime ihre Religion ganz klar vom Terrorismus abgrenzen. 

In vielen der Länder, aus denen Muslime stammen, sind Demos zudem nicht üblich, häufig sind es Diktaturen, so Mohammad Hajjaj vom Zentralrat der Muslime. Auch das könne eine Rolle spielen. 

Erste Schritte zu mehr Bewusstsein

Diejenigen, die dabei waren, fanden die Veranstaltung wichtig und hoffen nun, dass sie weitere folgen werden. Vor allem, dass alle drei Weltreligionen, Christentum, Judentum und Islam dabei waren, gefiel einem jungen Mann, und dass - auf ausdrücklichen Wunsch der Imame - ihr Marsch auch von einem Berliner Rabbi gesegnet worden war.

"Es ist wichtig, den Leuten immer wieder zu zeigen, was der Islam wirklich bedeutet," sagte der junge Mann gegenüber der DW. Dann stiegen die Imame wieder in den Bus. Der nächste Halt auf ihrer einwöchigen Reise ist Belgien.

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