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Politik

"China muss Zusagen an Hongkong einhalten"

William Yang
21. April 2020

Der Hongkonger Oppositionspolitiker und Anwalt Martin Lee und 13 weitere pro-demokratischen Aktivisten wurden am Wochenende festgenommen. Im Interview mit der DW fordert er Unterstützung für Demokratie in Hongkong.

Porträt - Martin Lee
Bild: privat

DW: Ihnen und den anderen Aktivisten wird die Beteiligung an drei Kundgebungen im vergangenen Jahr vorgeworfen, die von der Hongkonger Polizei nicht genehmigt waren. Sie und die anderen sind jetzt gegen Kaution frei, müssen sich aber im Mai vor Gericht verantworten. In welchem politischen Zusammenhang sehen Sie diese Maßnahmen?

Martin Lee: In dem Zusammenhang, dass die chinesische Regierung ihre Haltung gegenüber der von Deng Xiaoping formulierten Hongkong-Politik namens "Ein Land, zwei Systeme" geändert hat. Die Vereinbarung zwischen Deng und der damaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher lautete: Wenn sich London damit einverstanden erklärt, Hongkong, Kowloon und die New Territories am 1. Juli 1997 an China zurückzugeben, dann verspricht China, Hongkong nicht direkt von Peking aus zu regieren, sondern von seiner Bevölkerung regieren zu lassen. (Anm. d. Red.: In der Gemeinsamen Erklärung heißt es, dass die Sonderverwaltungsregion Hongkong (SVR HK) "direkt der Autorität der zentralen Volksregierung China unterstellt" ist. Und weiter, dass die SVR HK "ein hohes Maß an Autonomie genießen" wird, außer in Angelegenheiten der Außen- und Verteidigungspolitik, und dass die SVR HK "mit exekutiver, legislativer und unabhängiger gerichtlicher Zuständigkeit ausgestattet" sein wird.)

Am Wochenende wurden mindestens 14 Aktivisten, hier auf dem Foto Jimmy Lai (m.), festgenommenBild: picture-alliance/dpa/AP/V. Yu

Worin genau bestand die Bedeutung dieser Vereinbarung zwischen London und Peking? 

Das große Versprechen lautete, dass 50 Jahre lang weder die britische noch die chinesische Regierung Hongkong regieren werde. Stattdessen würden die Einwohner Hongkongs mit einem hohen Maß an Autonomie Hongkong regieren. (Dengs) Versprechen war in zwölf Schriftzeichen enthalten, deren Aussage war: "Ein Land, zwei Systeme; Hongkonger regieren Hongkong mit einem hohen Grad an Autonomie".

Im Juni 2014 veröffentlichte der chinesische Staatsrat ein Weißbuch in sieben Sprachen, in dem die umfassende Zuständigkeit der Zentralregierung über Hongkong und Macao festgestellt wird. Damit wurde die Aussage der zwölf Schriftzeichen von Deng Xiaoping vollständig verändert.

Alles, was sie (Peking und die Hongkonger Regierung, Anm. d. Red.) jetzt tun, ist, dass sie diese neue Politik gegenüber Hongkong umsetzen wollen. Es stellt sich die Frage: Wie kann die britische Regierung das zulassen?

Deng Xiaoping (l.) traf sich am 24.09.1982 mit der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher in Peking zusammenBild: picture alliance/dpa

Wie meinen Sie das?  

Die internationale Gemeinschaft hat ein Mitspracherecht in dieser Angelegenheit, denn gleich nachdem die "Gemeinsame chinesisch-britische Erklärung" über die Rückgabe Hongkongs verkündet worden war (Das war 1984, Anm. d. Red.),  gab es viel Zuspruch von vielen westlichen Regierungen. Ich war damals davon überrascht, schließlich handelte es sich um ein bilaterales Abkommen zwischen Großbritannien und China. Später fand ich heraus, dass sowohl die chinesische als auch die britische Regierung hart um internationale Unterstützung für die Vereinbarung warben, weil sie befürchteten, dass zu viele Menschen in Hongkong auswandern würden, weil sie kein Vertrauen in die Zukunft Hongkongs hatten.

Also bemühten sich beide Seiten um offene und öffentliche Unterstützung der Vereinbarung durch andere Länder. Und diese gaben ihnen diese Unterstützung. Deshalb sind diese Regierungen jetzt eindeutig moralisch verpflichtet, sich für die Menschen in Hongkong einzusetzen, insbesondere für die jungen Leute. Diese wollen einfach nur, das China sich an das Abkommen hält, wohlgemerkt ein zwischenstaatliches Abkommen. Wenn man der chinesischen Regierung erlaubt, ein solches Abkommen ohne weiteres zu brechen, wie man dann sicher sein, dass China nicht andere derartige Abkommen bricht?

Welche politischen Forderungen der Demokratiebewegung sind für Sie besonders wichtig?  

Erstens: Wir brauchen das allgemeine Wahlrecht, so dass der Regierungschef (Chief Executive) und alle Mitglieder des Parlaments (Legislativrat) in allgemeinen Wahlen von allen direkt gewählt werden. Wenn sie von den Bürgern in Hongkong direkt gewählt und nicht von einer chinafreundlichen Kommission handverlesen würden, dann wüssten sie, dass sie Hongkongs Interessen vertreten müssen, um die nächste Wahl zu gewinnen. Bei einem Interessenkonflikt würden sie unbedingt Hongkong gegen die Zentralregierung verteidigen. Allerdings sind wir jetzt im 23. Jahr nach der Rückgabe an China. Und von allgemeinen Wahlen ist nichts zu sehen. Die Zentralregierung hat sie absichtlich vergessen. 

Zweitens: Peking darf sich nicht einmischen, weil es der größere Akteur in dieser Beziehung ist. Allerdings ist es de facto so, dass die Zentralregierung Hongkong jetzt über ihr Verbindungsbüro (Hong Kong Liaison Office) regiert. Sie entscheidet alle wichtigen Dinge für die Hongkonger.

Grenzübergänge zwischen dem Festland China und Hongkong wurden zu spät geschlossen, kritisiert die Opposition der chinesischen SonderverwaltungszoneBild: AFP/A. Wallace

Zum Beispiel?

Nehmen Sie die Corona-Pandemie. Jeder wusste, dass das Virus aus Wuhan vom Festland kam. Aber als Wuhan abgeriegelt wurde, erlaubte Hongkong immer noch jedem Reisenden vom Festland die Einreise. Wir hatten von unserer Regierungschefin (Carrie Lam) erwartet, unsere Grenzen zu schließen. Sie weigerte sich aber, dies zu tun, was das medizinische Personal Hongkongs zwang, einige Tage lang zu streiken.

Später schloss zwar die Regierung einige Grenzübergänge, aber die Einreise vom Festland blieb nach wie vor möglich, bis sie schließlich eine 14-tägige Zwangsquarantäne für alle Einreisnden vom Festland verhängte. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass sich unsere Regierungschefin nicht frei im Interesse Hongkongs für unsere Stadt entscheiden konnte, da Peking im Hintergrund alles entscheidet, so wie auch (Carrie Lam) nicht von den Bürgern Hongkongs sondern von Peking ausgesucht wurde.

Die Ruhe täuscht in Hongkong

02:12

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Sie werden möglicherweise wegen "illegaler Versammlung" angeklagt. Viele junge Teilnehmer waren bei den Demonstrationen gewaltbereit. Wie sehen Sie Ihre eigene Lage?

Ich werde lieber gemeinsam mit meinen Kollegen angeklagt als in Ruhe gelassen. Ich setze mich seit vielen Jahren friedlich für die Rechte Hongkongs ein, indem ich die Zentralregierung öffentlich an ihr Versprechen erinnere. Aber es hat nicht funktioniert. Ich bin gegen jegliche Gewaltanwendung, kann aber nicht darüber Klage führen, dass diese jungen Leute andere Wege versuchen. Ich kann sie verstehen.

Wenn das Gericht mich für schuldig befindet, gehe ich ins Gefängnis. Ich weiß, dass die Gerechtigkeit auf meiner Seite ist. Es gäbe keine Notwendigkeit für eine gewalttätige Konfrontation, wenn China seine mit der britischen Regierung getroffene Vereinbarung eingehalten hätte. Die internationale Gemeinschaft muss darauf bestehen, dass China seinen Verpflichtungen gegenüber Hongkong nachkommt.

Der Rechtsanwalt Martin Lee (82) ist ein Veteran der Honkonger Demokratiebewegung. In den 1980er Jahren hatte er an der Ausarbeitung des Hongkonger Grundgesetzes (Basis Law) mitgewirkt. 

Das Interview führte William Yang in der englischen Sprache.