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Politik

Martin Schulz: Fit für die Langstrecke?

Heiner Kiesel
24. Februar 2017

Der designierte Kanzlerkandidat schafft ein Umfragehoch für die SPD. Ein Erfolg bei der Bundestagswahl im Herbst scheint möglich. DW-Hauptstadtkorrespondent Heiner Kiesel analysiert, ob der Höhenflug von Dauer sein wird.

Deutschland Martin Schulz in Herne
Bild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Es ist noch gar nicht so lange her, da konnte man sich in pointierter Überspitzung fragen, ob es die SPD überhaupt noch braucht im politischen Kräftespiel Deutschlands. Seit den Sozial- und Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 hatte sie stark an ihrem sozialen Profil eingebüßt. Die langen Jahre in der großen Koalition unter Angela Merkel machten es immer schwerer, zu unterscheiden, wer da für was im Regierungshandeln stand und in den Umfragen ließ sich ein stetiger Sinkflug ausmachen. Außerdem wurden die Genossen immer weniger. Der Mitgliederschwund der SPD in den vergangenen zehn Jahren war krass – zumal im Vergleich mit den ebenfalls schrumpfenden Unionsparteien. Und nun scheint plötzlich alles ganz anders.

Schulz als sich selbst erfüllende Prophezeiung

Allein 6500 Menschen sind den vergangen vier Wochen online in die SPD eingetretenBild: picture alliance/dpa/M. Kappeler

Es ist der Schulz-Effekt, der die Medien und die Sozialdemokraten elektrisiert. Einen Monat ist es gerade einmal her, dass der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel den ehemaligen Präsidenten des europäischen Parlaments als Kanzlerkandidaten und neuen Parteivorsitzenden vorgeschlagen hat. Seither geht es aufwärts. Rund 7000 neue Mitglieder und Umfragewerte, die ein verklärtes Leuchten in die Augen der Parteifunktionäre zaubern. Die neueste zeigt die Sozialdemokraten das erste Mal seit gut zehn Jahren in Führung vor der Union. Vier Prozent Plus in einem Monat. 32 Prozent der von dimap-Infratest Befragten gaben an, dass sie SPD wählen würden. CDU/CSU dagegen fallen um drei Punkte zurück auf 31 Prozent. Was Anfang des Jahres niemand geglaubt hat, scheint möglich: Eine SPD-geführte Regierung nach der kommenden Bundestagswahl.

Vielleicht ist es aber auch wie das Pfeifen einer Feedback-Schleife zwischen Mikrophon und Lautsprecher. Der Ton verstärkt sich selbst immer mehr, bis jemand mal den Regler runterzieht. Wie das im Fall Martin Schulz' vor sich gehen könnte, beschreibt Thomas Petersen, Projektleiter beim Institut für Demoskopie Allensbach, in einem  Beitrag für die Seite Salonkolumnisten: Medien berichten über die Nominierung des SPD-Politikers, darauf verzeichnen Meinungsumfragen gestiegene Werte für seine Partei, das führt zu erneuter Berichterstattung über die Anziehungskraft von Schulz. Und - mit "Überraschung", kommentiert Petersen das ironisch – wieder zeigen sich mehr Befragte der SPD zugetan.  Wie der Allensbach-Mann sehen das auch andere aus der Demoskopen-Szene.

Gründe für den Höhenflug des Martin Schulz'

Es sind noch sieben Monate bis zur Bundestagswahl und es drängt sich die Frage auf, ob der Schulz-Effekt bis dahin anhält. Es gibt jenseits der Dynamik von Berichterstattung und Umfrageergebnissen Anzeichen dafür, dass sich die Sozialdemokraten tatsächlich Hoffnungen machen dürfen. Ein starkes Argument dafür ist die Person des Martin Schulz selbst. Derzeit gibt es viele Möglichkeiten, sich über ihn ein Bild aus der Nähe zu machen. So wie vor einigen Tagen in Brandenburg. Da tritt ein Politiker mit der Bevölkerung in Kontakt, der mit Erfolg glaubhaft macht, dass er zuhören kann und einen ernst nimmt.

Der designierte Kanzlerkandidat Martin Schulz beim konzentrierten ZuhörenBild: DW/H. Kiesel

Er tritt seinen Gesprächspartnern mit einer Biographie entgegen, die zeigt, dass er weiß wie es ist, wenn es einem schlecht geht. Er war Alkoholiker, er ist klein und – in einer bildzentrierten Mediengesellschaft muss man auch darüber reden –nicht gerade ein Model-Typ. Aber dennoch hat er eine Ausstrahlung, die Menschen in seinem Umkreis dazu bringt, sich nach ihm zu richten. Und das wohltuende dabei: Er ist weit entfernt davon, irgendwie jovial und mackerhaft aufzutreten – so wie einst die SPD-Chefs Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel.

Er vermittelt die Empathie, die bei seiner Konkurrentin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, so oft in Frage gestellt wird. Und er punktet auch deshalb, weil er der Kandidat sein könnte, hinter dem seine Partei geschlossen steht. Im Gegensatz dazu wurde die Führungskompetenz der CDU-Chefin in den vergangenen Monaten permanent aus den eigenen Reihen, sowie etwas harscher von der Schwesterpartei CSU angezweifelt.

Langstecke für die SPD und ihren Kandidaten bis zur Bundestagswahl

Doch je erfolgreicher Martin Schulz auftritt, desto stärker ist auch der Druck auf die Mitglieder der Union, Geschlossenheit zu zeigen. Nachdem Schulz designiert wurde, rauften sich Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer rasch zusammen. Ein bisschen wird im Süden noch über die Obergrenzen für Flüchtlinge gegrummelt, aber ein Scheidungsgrund ist es schon nicht mehr.

Martin Schulz wirbt mit dem Thema der sozialen GerechtigkeitBild: Getty Images/AFP/O. Andersen

Die nächste Frage, die über das Schicksal der SPD bei der Bundestagswahl im September entscheidet, ist endlich einmal inhaltlicher Natur. Die Partei hat eigentlich noch Zeit, sich auf ein Wahlprogramm zu verständigen. Aber Schulz steht unter einem immensen Druck, sich zu äußern, wie er für Deutschland Politik betreiben möchte.  Er kratzt an der Agenda 2010, die den Sozialdemokraten viel Sympathie in ihren angestammten Milieus gekostet hat, will Missstände bei befristeten Arbeitsverträgen und mehr Leistungen für ältere Arbeitslose.  Er schärft das soziale Profil der ältesten Partei Deutschlands.

Das freut die Linken in der SPD, irritiert aber auch viele Parteimitglieder, denen es gar nicht so recht ist, dass sich hier einer festlegt, ohne dass die Partei ihm den Auftrag dazu gegeben hat. Wenn schließlich ein Parteiprogramm zwischen dem Willen der Mitglieder und den Ideen es Kandidaten austariert wird, könnte es sein, dass keine der beiden Seiten ganz glücklich damit ist. Die Geschlossenheit würde das nicht fördern.

Die wahren Themen im Wahlkampf 2017

Und dann ist natürlich nicht sicher, dass eine SPD, die sich der sozialen Gerechtigkeit verschreibt, mehr Wähler auf der linken Seite anzieht, als sie in der Mitte verliert. Denn das große Thema des kommenden Wahlkampfs werden wahrscheinlich nicht die soziale Gerechtigkeit, die Bedeutung von Aus- und Weiterbildung, gegenseitige Wertschätzung im Arbeitsleben, oder die Bedingungen in Pflegeberufen sein. Das sind Dinge, über die Schulz in diesen Tagen oft spricht. Es werden wohl wieder Fragen der Migration und der Sicherheit in den Vordergrund rücken. Und hier hat die Union die besseren Karten – zumal mit einer Bundeskanzlerin, die mit einer  zunehmend restriktiveren Asylpolitik und dem Versprechen der Stabilität auftritt.

 

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