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Politik

Ein Mann will nach oben

24. November 2016

Von Würselen über Brüssel nach Berlin: Der Europa-Politiker Martin Schulz (SPD) könnte Kanzlerkandidat werden. Abgeneigt wäre er nicht. Ein Porträt von unserem Korrespondenten Bernd Riegert.

Belgien EU Gipfel Martin Schulz
Bild: picture alliance/dpa/S. Lecocq

Bernd Riegert in Brüssel zur PK Martin Schulz

02:48

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Der Abschied falle ihm schwer, sagte Martin Schulz bei einer eilig zusammengerufenen Pressekonferenz im Europäischen Parlament. Er wolle weiter kämpfen für Europa, jetzt eben von Deutschland aus. Er ist fast den Tränen nahe. Der talentierte Redner kann sich selbst zur Rührung reden.

SPD-Mann Martin Schulz wäre gerne als imposanter Parlamentspräsident in Brüssel und Straßburg geblieben, doch er musste einsehen, dass er sich an die Vereinbarung mit den Konservativen halten muss. Die lautet: Im Januar wird Schulz wie alle seine Vorgänger zur Hälfte der laufenden Legislatur von der anderen großen Fraktion abgelöst.

Selbstsicher im Kreis der Mächtigen: Schulz beim EU-Gipfel (Mitte)Bild: Reuters/P. Wojazer

Nun startet Schulz, der seit über 30 Jahren Politik für die SPD macht, eine zweite Karriere mit 60 Jahren. Ob er nicht nur Bundestagsabgeordneter, sondern gleich Außenminister oder gar Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl im Herbst 2017 werden kann, ließ Schulz offen. Er traut sich das sicher zu, hört man aus seiner Umgebung. Nur müsste die Parteiführung in Berlin da auch noch mitspielen. Wer ist dieser Martin Schulz, der auch Kanzler könnte?

"Ich bin ein Roter"

Auf die Frage des DW-Reporters, was seine Lieblingsfarbe sei, antwortete Martin Schulz einmal: "Die Farbe ist rot. Ich gehöre zu den Roten. Das ist mein Leben." Schulz ist durch und durch Sozialdemokrat, erst als Bürgermeister seiner Heimatstadt Würselen, dann als Fraktionschef der Sozialisten im Europäischen Parlament, dann als Präsident des Parlaments und 2014 als Spitzenkandidat bei der Europawahl.

Martin Schulz will nach oben, daran lässt er keinen Zweifel. "Wir brauchen Leute, die Mut haben. Wenn Sie gestatten, dann sage ich Ihnen: Hier sitzt einer", sagte Schulz selbstbewusst in einer ZDF-Talkshow.

Er sah sich als Anwalt der kleinen Leute, die an der Komplexität der Europäischen Union verzweifeln. "Eines der Hauptelemente der Kritik, die mir entgegenschlägt in Europa egal, wo ich bin, ist, dass Menschen mir sagen: Na ja, die EU existiert und sie handelt und sie wirkt in unseren Lebensalltag hinein, aber unsere Stimme zählt ja gar nichts."

Er sitzt gerne in der ersten Reihe: Martin Schulz, Parteichef Gabriel (re.), Minister Steinmeier (li.) beim ParteitagBild: Reuters/F. Bensch

Gegen diese Haltung hat Martin Schulz lange angekämpft. EU-Kommissionspräsident konnte er nicht werden. Sein persönlicher Freund Jean-Claude Juncker von den Konservativen gewann die Wahl. Seine selbst gewählte Rolle als Anwalt der normalen Bürger hinderte Schulz nicht daran, neben dem Gehalt des Parlamentspräsidenten noch üppige Zulagen zu kassieren. Erst als das im Wahlkampf 2014 kritisiert wurde, ließ Martin Schulz die Zahlungen stoppen.

"Manchmal zu selbstbewusst"

Seine flotten Sprüche, seine burschikose Art kommt nicht bei jedem gut an. Regierungschefs bezeichnet er gerne mal als "Eierköppe". Kritik kann er wortgewaltig auf seine Gegner niederprasseln lassen. Seinen Mitarbeitern ruft er ab und zu fröhlich zu: "Ihr seid alle entlassen!" Das seien nur Scherze, beschwichtigt Martin Schulz dann, gesteht aber selbstkritisch ein, dass er manchmal zu selbstbewusst sei und zu schnell zu viel wolle.

Diese Erkenntnis kam ihm schon früh. Vor über dreißig Jahren in einer erfolgreichen Therapie gegen seine Alkoholsucht. Martin Schulz wollte eigentlich Profi-Fußballer werden. Der Traum platzte wegen einer Knie-Verletzung. Der damals 24-Jährige suchte Trost im Alkohol, war ganz unten, wollte sich umbringen. Sein Bruder Erwin, ein Arzt, brachte ihn wieder auf den richtigen Weg.

Martin Schulz machte sich als Buchhändler selbstständig. Eine Universität hat er nie besucht, aber er liest wie besessen, noch heute ständig drei Bücher parallel. Schulz ging in die Politik und machte Karriere. Über seine Alkoholsucht, die er besiegt hat, spricht Martin Schulz heute ganz offen.

Ein Leben nach Europa?

Europa wurde Martin Schulz in die Wiege gelegt. Im Dreiländereck von Deutschland, Belgien und den Niederlanden wohnen die Verwandten diesseits und jenseits der Grenzen. Schulz spricht fließend Französisch, Englisch, Italienisch. Und Rheinisch, einen Dialekt, wie er gerne verschmitzt hinzufügt.

Seine Verwandten hätten im Ersten Weltkrieg noch aufeinander schießen müssen, weil sie in verschiedenen Staaten wohnten. Diesen Irrsinn habe die europäische Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg beseitigt und daran müsse man auch heute immer wieder erinnern. "Wir sind uns als Nachkriegsgeneration häufig gar nicht darüber im Klaren, was wir geerbt haben. Ich habe ein Leben leben dürfen in Freiheit mit Chancen, von denen meine Eltern nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Und das ist uns nichts mehr wert."

Probelauf Europawahl 2014: Merkel und Schulz als Zugpferde im WahlkampfBild: picture-alliance/dpa

Martin Schulz, der den Friedensnobelpreis für die EU und den Karlspreis für sich selbst entgegen nehmen durfte, ärgert, wie schlecht der Ruf der EU bei den Wählern ist. Schockiert ist er über den Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union. Den Brexit und die Populisten geißelt der Sozialdemokrat, wo er nur kann.

Mit den Regierungschefs der EU geht er gerne hart ins Gericht. Die hätten die Populisten erst groß gemacht mit ihrer nachlässigen Haltung gegenüber Europa. Die Entscheidungen dürften nicht mehr von den 28 Staats- und Regierungschefs in den Hinterzimmern von Brüssel gefällt werden, schimpft Schulz bei jeder Gelegenheit.

Allerdings ist er ein wenig sanfter geworden, seit die konservative deutsche Kanzlerin Angela Merkel und seine Sozialdemokraten in Berlin wieder in einer Großen Koalition regieren. Er weiß: Wenn er Außenminister werden will, dann braucht er das Wohlwollen der Regierungschefin. Ein bisschen stolz ist er, dass er die Handy-Nummer von Merkel hat.

Dass er keine Erfahrung in deutschen Regierungsämtern hat, sieht Martin Schulz nicht als Nachteil: "Ich war nur Bürgermeister einer Kleinstadt, aber ich habe die Sorgen der Menschen um die Schule ihrer Kinder, die Sorge um ihren Arbeitsplatz oder die Sorge um die Pflege ihrer Eltern erfahren - jeden Tag." Auch an der Spitze müsse jemand stehen, der die Alltagssorgen kennt und Ernst nimmt.

EU-Parlamentspräsident Schulz wechselt aus Brüssel nach Berlin

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Mensch bleiben

Wenn Martin Schulz im Flugzeug oder Auto unterwegs ist, packt er ab und zu ein kleines Plastiktier auf die Armlehne. "Das Tier ist ein Nilpferd. Das ist mein Talisman, ein Hippo. Den hat meine Tochter mir geschenkt, als sie sechs Jahre alt war. Der bringt mir Glück."

Seine beiden Kinder und seine Ehefrau sind ihm sehr wichtig. Wenn seine Frau ihn in einer SMS lobt, ist das für Martin Schulz noch besser als eine SMS der Bundeskanzlerin, die er im Amt des Parlamentspräsidenten auch ab und zu erhielt.

Das Amt des Präsidenten hat Schulz genutzt, das Parlament, aber auch sich selbst bekannter zu machen. Seit Monaten nimmt er vermehrt Termine in Deutschland war. Seine Biografie stellte er in Berlin vor. In Brüssel ist bekannt, dass Schulz ein hervorragender Strippenzieher und Netzwerker ist. Aber reichen sein Bekanntheitsgrad in Deutschland und sein Stallgeruch in der SPD, um als Kanzlerkandidat durchzustarten?

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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