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Martin Walser: Muttersohn

16. Juli 2011

Der greise Martin Walser wendet sich in seinem neuen Roman der Religion zu. Der 84-jährige Schriftsteller, der einst zum Lager der Linken gehörte, macht sich in "Muttersohn" zum Fürsprecher des Glaubens.

Der Schriftsteller Martin Walser posiert vor seinem Haus in Nußdorf bei Überlingen am Bodensee (Foto: dpa)
Martin WalserBild: picture-alliance/ dpa

Seltsame Figuren bevölkern den Roman: Verrückte, Traumatisierte, Depressive, Suizidkandidaten. Ehemalige Söldner und Trinker, Liebeshungrige und Liebeskranke. Walser stützt sich dabei auf Biografien, die ihm Menschen in den Jahrzehnten seines Schriftstellerlebens "geschrieben und geschickt" hätten, sagt er.

Walser siedelt die Handlung von "Muttersohn" über weite Strecken in einem psychiatrischen Landeskrankenhaus an, wo nicht nur die Patienten 'einen Knall' haben, sondern auch das Personal. Allen voran die Hauptfigur, der Krankenpfleger Anton Percy Schlugen. Dieser behauptet, zu seiner Zeugung sei kein Mann nötig gewesen. Das habe ihm seine Mutter gesagt. Und weil die es glaubt, glaubt er es auch.

In Wirklichkeit ist seine "Mutter Fini" eine schwer misshandelte, depressive Frau, die in einer Phantasiewelt lebt. In diesem Milieu wächst Percy auf, geprägt von den Leiden und Sehnsüchten seiner kranken Mutter. Um zu überleben, muss er sich auf ihren Glauben, ihren Wahn, einlassen.

Glauben statt Wissen

"Meinen Figuren ist der Glaube wichtiger als das Wissen", sagt Martin Walser. Er hat mit Percy eine Erlöserfigur kreiert, die mit spontanen Predigten anderen zu ihrem Seelenheil verhilft. Er spricht zu den Menschen, indem er immer wieder betont, dass er nicht sagen könne, was er wisse, sondern nur, was er sei. "Das ist sein Evangelium", sagt Martin Walser. Mit dem nüchternen Wissen sei vielen Menschen nicht geholfen. Sie müssen etwas glauben, um sich besser zu fühlen.

In die Sprache der Medizin umgesetzt bedeutet das, Krankenpfleger Percy und sein Freund Augustin Feinlein, der Chef des psychiatrischen Landeskrankenhauses, verabreichen ihren Patienten keine Psychopharmaka, sondern lehren sie, mit ihren Verrücktheiten zu leben, damit umzugehen. Percy selbst ist der beste Beweis für die Wirksamkeit dieser Therapie. Hätte er sich nicht auf den Wahn seiner Mutter eingelassen, wäre er daran zerbrochen.

Tolle Geschichten und religiöse Erbauung

"Muttersohn" ist ein wunderlicher Roman. Er enthält eine Fülle buchstäblich irrer Geschichten, kraftvoll, genau und mitreißend erzählt: über die Liebe, die Musik, über Motorradrennen und einen reliquienforschenden Arzt, der schließlich zum Dieb an einer Monstranz wird. In diesen Geschichten zeigt Martin Walser all sein Können.

Verstörend indes bleibt die spirituelle Rahmenhandlung um Percy, für dessen Reden Martin Walser Texte von Mystikern, Theologen und Philosophen heranzieht. In diesen Teilen gleicht der Roman einer Abhandlung über den Glauben und verliert an erzählerischer Kraft.


Autorin: Heide Soltau
Redaktion: Gabriela Schaaf


Martin Walser: Muttersohn. Rowohlt, Juli 2011. 512 Seiten. 24,95 Euro.