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Musik

"Marx in London" in der Bonner Oper

Rick Fulker
10. Dezember 2018

Der vielleicht einflussreichste Denker der Geschichte als Komödienheld? Die Oper "Marx in London" ist ein launiger Rausschmiss am Ende des Karl Marx-Jubiläumsjahrs und regt die Gedanken auf unterhaltsame Weise an.

Theater Bonn Marx in London
Bild: Thilo Beu

Der Kapitalismuskritiker, dessen Schriften die Welt verändern sollten, lebt komfortabel und bürgerlich. Aber durch seine Unfähigkeit, mit Geld umzugehen, muss sein großindustrieller Freund ihm immer wieder unter die Arme greifen. Jener Gründer einer Ideologie, die an eine Religion grenzt, hat einen unehelichen Sohn, dessen Existenz der Welt geheim gehalten werden muss, damit es keinen Imageschaden gibt. Seine Frau, Tochter eines Landrats, geht vor die Hunde - nicht weil sie ihren gesellschaftlichen Rang durch Revolutionstätigkeiten verloren hätte, sondern weil ihr Mann auf großem Fuß lebt und von zu Hause weg bleibt.

Das könnte Gegenstand einer faszinierenden psychologischen Analyse sein - oder auch scharfer Kritik. Oder etwa ein Lustspiel? "Marx in London" ist genau das. 

Von der Bonner Oper in Auftrag gegeben, fußt das Werk auf einem Konzept des deutschen Regisseurs Jürgen R. Weber. Das Textbuch von Charles Hart in englischer Sprache wurde von Jonathan Dove vertont - und nach der Uraufführung am 9. Dezember erhielt das Ergebnis stehende Ovationen.

Komische Opern sind in der Moderne selten geworden. Jonathan Dove versucht, dies zu ändernBild: Marshall Light Studio

Es wird nie langweilig bei Familie Marx

Die 29. Oper des britischen Komponisten bildet 24 Stunden im Leben von Karl Marx und seiner Familie ab. Nach vielen Umzügen sind sie in London gelandet und stehen unter Beobachtung eines Regierungsagenten. Am Anfang muss die Titelfigur zuschauen, wie seine Möbel abtransportiert werden. Der Grund: unbeglichene Schulden.

Er versucht, das Tafelsilber seiner Frau zu verpfänden, verliert sich aber dann in einer flammenden Rede von einer zukünftigen geldfreien Utopie - und während des Redeschwalls kommt ihm auch noch das Silber abhanden. Als wäre das alles nicht genug, taucht noch ein junger Mann auf, der sich als unehelicher Sohn von Karl Marx erweist. In der Folge herrscht hektische Betriebsamkeit, um die Anwesenheit und die Identität des jungen Mannes geheim zu halten. Als Deus ex machina rettet Friedrich Engels endlich die Marx-Familie aus dem finanziellen Schlamassel.

Es war tatsächlich Engels, der auf seinem Sterbebett preisgab, dass Karl Marx einen unehelichen Sohn hatte. Als Berater stand den Machern des Stücks der Historiker Tristram Hunt bei. So ist alles in der Handlung historisch begründet, auch wenn mit Leichtigkeit erzählt wird.

Yannick-Muriel Noah als Jenny and Mark Morouse als MarxBild: Thilo Beu

Marx wurde lange so ernst genommen, dass eine ernste Oper zum Sujet Gefahr laufen würde, ideologisch zu wirken, sagt Jürgen R. Weber: "Er gilt immer noch vielerorts als sehr wissenschaftlicher, profunder Denker, der den Schlüssel zu einer Utopie hatte. Marx war und bleibt ein quasireligiöses Phänomen."

Die leichte Erzählweise von Text und Handlung spiegelt sich in Jonathan Doves Partitur wider, mit Anklängen von Leonard Bernstein, Stephen Sondheim, Benjamin Britten und Philip Glass. Diese Elemente sind klug integriert ins große Ganze: mal bedeutungsschwer, mal frivol. "Ich habe keine Angst vor Melodien", sagt Dove, dessen Werke "Flight" und "The Adventures of Pinocchio" ins Opernrepertoire eingegangen sind. "Ich glaube, es gibt genug ernste, experimentelle Avantgarde-Musik. Dagegen ist die Komödie in der Oper Mangelware."

Humor im 21. Jahrhundert

Komische Opern sind tatsächlich seit über einem Jahrhundert äußerst rar. Für Doves Mitstreiter Jürgen R. Weber liegen die Gründe dazu weit in der Vergangenheit. "Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz: Wenn man etwas begreift, kann es keine Kunst sein. Ich glaube, es war tatsächlich Nietzsche, der sinngemäß sagte: Auch wenn man den Boden nicht erblickt, könnte es dennoch flach sein. Noch heute denken die Leute aber: 'Weil ich es nicht verstehe, muss es halt stimmen.'"

Ideengeber und Regisseur in Personalunion: Jürgen R. WeberBild: Thilo Beu

Weber, der Erfahrung in der Regie und bei der Entwicklung populärer deutscher Fernseh-Seifenopern hat ("Gute Zeiten schlechte Zeiten", "Verliebt in Berlin"), weiß, was beim Publikum ankommt. Dove weiß es offensichtlich auch - aber diese Berechnung geht nicht in seinen kreativen Prozess ein: "Ich habe sehr viel Glück gehabt, zu entdecken, dass wenn ich die Klänge schaffe, die ich selber hören will und wenn ich eine Show komponieren kann, zu der ich selber hingehen möchte, dann wird es auch andere geben, die daran Vergnügen haben. Von allen, die im Theater sitzen, habe ich dann wahrscheinlich den größten Spaß."

Anfangs wollte das Regie-Team mit einem deutsch-englischen Textbuch arbeiten, ähnlich dem Sprachmischmasch, der in der Marx-Familie vorherrschte - entschied sich aber dann für Englisch. "Ich wollte, dass das Komische im Werk funktioniert", sagt Dove. "Obwohl ich Deutsch halbwegs gut verstehe, bin ich meilenweit davon entfernt, deutsche Texte auf unterhaltsame Weise zu vertonen. Auf Englisch kann ich die Worte aber so setzen, dass man die Pointe versteht."

"Ich weiß nur dies, dass ich kein Marxist bin"

Kein Klamauk, der Bauchgelächter provoziert, sondern feine Situationskomik bietet das Musiktheater von Dove und Weber. Dabei begleiten deutsche Untertitel das Geschehen in der Bonner Oper. "Marx in London" zu verstehen, setzt keine profunden Geschichtskenntnisse voraus, sondern nur die Offenheit, die bunten Orchesterklänge aufzunehmen, sowie die Stimmen von Mark Morouse als Marx, Yannick-Muriel Noah als seine Ehefrau Jenny, Marie Heeschen in der Rolle seiner Tochter Tussi, Christian Georg als unehelicher Sohn Freddy, Ceri Williams als die Haushälterin Helene und Johannes Mertes als Engels.

Szene und Kostüme stammen von Hank Irwin KittelBild: Thilo Beu

Nach vielen Höhen und Tiefen landete einer der größten deutschen Denker überhaupt in Großbritannien und wurde dort beerdigt. Diese Produktion in Zusammenarbeit mit der Scottish Opera kann man als Geschenk an Marx' Heimatland verstehen, zweihundert Jahre nach seiner Geburt.

"Ich weiß nur dies, dass ich kein Marxist bin", sagte Karl Marx. Das könnte auch als Ausgangspunkt für "Marx in London" gelten.

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