Kritik an Haftstrafen
7. September 2012Deutsche Welle: Frau Al-Khawaja, die gegen die Menschenrechtsaktivisten ausgesprochen Urteile sind ausgesprochen hart. Es wurden Haftstrafen von fünf Jahren bis zu lebenslänglich verhängt. Angeklagt waren sie unter anderem der "Bildung von Terrorgruppen". Überrascht Sie das Strafmaß?
Mariyam Al-Khawaja: Wir hatten es erwartet, darum waren wir auch nicht schockiert. Das Urteil drückt weniger den Zustand des Rechtssystems in Bahrain aus, denn dieses ist ohnehin nicht unabhängig. Es spiegelt vielmehr das zunehmende Selbstbewusstsein des Regimes. Grund dafür ist, dass die internationale Gemeinschaft passiv bleibt und Konsequenzen angesichts der Menschenrechtsverletzungen ausbleiben.
Warum bleibt der internationale Druck Ihrer Ansicht nach aus?
Bahrain ist geopolitisch und ökonomisch ein sehr bedeutendes Land. Zudem hat das Land ein sehr enges Verhältnis Saudi Arabien. Beide Staaten versuchen zu verhindern, dass es angesichts der Menschenrechtsverletzungen zu internationalem Druck kommt.
Gilt das für die gesamte internationale Staatengemeinschaft oder gibt es je nach Region unterschiedliche Haltungen?
Wir sehen derzeit, dass die EU größeres Potential hat, die Lage in Bahrain zu beeinflussen. Die Vereinigten Staaten hingegen haben Interessen in dem Land. Viele der bahrainischen Menschenrechtler vergleichen die Haltung der USA zu Bahrain mit derjenigen Russlands zu Syrien. Wir beobachten, dass der Druck gegen die Regierung in Bahrain aufgrund der US-Interessen ausbleibt. Wenn man also erwarten kann, dass Druck ausgeübt wird, dann kommt er aus Ländern wie Dänemark, Norwegen, der Schweiz - oder auch aus Südafrika.
Der nun zu Ende gegangene Berufungsprozess fand nun nicht vor einem Militär-, sondern vor einem Zivilgericht statt. Wie bewerten Sie diesen Umstand?
Der Prozess ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass das Justizwesen für das Regime ein Instrument ist, die Bürger zu verfolgen. Es spielt deshalb keine Rolle, ob es ein ziviles oder ein Militärgericht ist. Es sind dieselben Personen, die die Entscheidungen fällen.
Es wurde immer wieder der Vorwurf laut, in den Gefängnissen Bahrains würde gefoltert. Was wissen Sie darüber?
Verschiedene Angeklagte haben berichtet, sie seien körperlich, psychisch und sexuell misshandelt worden. Die Schilderungen der einzelnen Personen weichen zwar voneinander ab. Aber viele von ihnen haben im Gericht Aussagen verlesen, in denen sie die Folter beschreiben, der sie im Gefängnis unterworfen wurden. Leider hat das zu keinen Untersuchungen geführt.
Wie nimmt die Oppositionsbewegung in Bahrain das Urteil auf? Ist sie eingeschüchtert?
Ich kann für die Oppositionsbewegung nicht sprechen, da ich ihr nicht angehöre. Zu den ursprünglichen Forderungen der Oppositionsbewegungen in Bahrain gehörte aber nicht, politische Gefangene freizulassen. Sie forderten zunächst nur die Achtung der Menschenrechte, ihre Institutionalisierung sowie einen Menschenrechtsbeauftragten der Regierung. Das jetzt ergangene Urteil hält die Oppositionsbewegung nicht auf. Sie fordert nun auch die Freilassung politischer Gefangener. Aber selbst, wenn alle Verurteilten freigelassen würden, käme es weiterhin zu Demonstrationen.
Die Regierung Bahrains erklärt, sie habe bereits politische und menschenrechtliche Reformen eingeleitet. Wie stellt sich Ihnen die Erklärung dar?
Das Regime hat tatsächlich einige Schritte getan, wie die der im vergangenen November veröffentlichte Bassiouni-Report empfohlen hatte. Wir haben aber festgestellt, dass die meisten der in dem Report festgehaltenen Verletzungen der Menschenwürde weiterhin begangen werden. Man kann sagen, dass die Empfehlungen sehr oberflächlich umgesetzt wurden. Das Hauptresultat der Umsetzung wäre gewesen, dass Menschenrechtsverletzungen aufhören. Solange diese aber in großem Stil an der Tagesordnung sind, handelt es sich nur um oberflächliche Veränderungen.
Maryam al-Khawaja ist Vizepräsidenten des "Bahrain Center for Human Rights".
Das Interview führte Kersten Knipp.