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Gesellschaft

Ohne Impfung nicht zur Kita oder Schule

14. November 2019

Kein Zugang ohne Impfpass: Ab März 2020 müssen Eltern nachweisen, dass ihre Kinder gegen Masern geschützt sind, so hat es der Bundestag beschlossen. Lange war über die Impfpflicht gestritten worden.

Symbolbild Impfung Kind in Deutschland
Bild: picture-alliance/dpa/Sven Simon

"Das ist ein Kinderschutzgesetz", so begründete Bundesgesundheitsminister Jens Spahn seinen Gesetzentwurf zur Impfpflicht im Bundestag. "Wir wollen, dass niemand mehr an Masern erkranken muss", sagte er. Die Mehrheit im Bundestag stimmte dem Masernschutzgesetz zu: Ab März 2020 muss jedes Kind gegen Masern geimpft sein, um in einer Kita oder Schule zugelassen zu werden. Die Pflicht zum Schutz vor Masern gilt ebenso für das Personal, für Tagesmütter sowie Beschäftige in medizinischen Einrichtungen und Flüchtlingsunterkünften. Bei Verstößen drohen Bußgelder bis zu 2500 Euro.

De facto werden damit weitere Impfungen verabreicht, denn der Masern-Wirkstoff wird derzeit nur in Mehrfachimpfstoffen angeboten. Bisher werden erst bei Masern-Ausbrüchen regelmäßig Besuchsverbote für Schulen oder Kitas verhängt. Das regelt das Infektionsschutzgesetz. Wer keinen Schutz hat und schnell reagiert, kann sich nachimpfen lassen.

Schon mehrere Tage vor dem Auftreten des typischen Masern-Ausschlags sind die Erkrankten ansteckendBild: picture-alliance/dpa/KEYSTONE/U. Flueeler

"Masern sind eine der ansteckendsten Krankheiten, die wir kennen", sagt Susanne Glasmacher. Es reiche, im gleichen Raum mit einem Infizierten zu sein, man könne sich sogar noch anstecken, wenn er den Raum schon verlassen habe. Die Biologin ist Sprecherin des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin. Sie warnt: "Masern können schwere Komplikationen verursachen, in seltenen Fällen - etwa bei einem von 1000 Erkrankten - zum Tod führen. Deswegen ist die Bekämpfung so wichtig, damit wir die Masern wirklich weltweit ausrotten." Das RKI berät die Regierung und soll Infektionskrankheiten bekämpfen.

Susanne Glasmacher (Robert-Koch-Institut): In den 1960er Jahren starben jährlich mehr als 100 Menschen an MasernBild: RKI

501 Masernfälle wurden 2019 bisher gemeldet, 2018 waren es 512, 2015 fast 2500, der Großteil in Berlin. Die Zahlen schwanken seit Jahren. Meist würden 40 bis 50 Prozent der Patienten ins Krankenhaus eingewiesen, sagt Glasmacher der DW. Als schwere Komplikationen können Lungen- und Hirnhautentzündungen auftreten. Noch Jahre nach der Masern-Erkrankung können Patienten an der Gehirnentzündung SSPE erkranken. Sie endet immer tödlich. Da SSPE nicht meldepflichtig ist, sind keine genauen Zahlen bekannt.

Hohe Impfraten bei Kindern - Lücken bei 20- bis 50-Jährigen

In Deutschland sollen Kinder rund um den 1. Geburtstag zum ersten Mal und mit etwas Abstand ein zweites Mal gegen Masern geimpft werden. Die Ständige Impfkommission (STIKO) beim RKI erarbeitet die Empfehlungen für alle Schutzimpfungen. In Deutschland gab es bisher keine Impfpflicht, man setzte auf Freiwilligkeit. Nicht ohne Erfolg: Untersuchungen zeigten, dass von den Schulanfängern 97 Prozent die erste Impfung gegen Masern haben, 93 Prozent auch die zweite, betont Glasmacher.

Um Masern-frei zu werden, wie es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert, müssten 95 Prozent der Gesamtbevölkerung immun sein - durch Impfung oder durchgemachte Erkrankung. Bis 1970, als die Impfung eingeführt wurde, erkrankten fast alle. "Es gab in den Sechziger Jahren deutlich mehr als einhundert Todesfälle durch Masern pro Jahr", sagt die RKI-Sprecherin.

Nach der Einführung der Impfung dauerte es mit der Akzeptanz. Bei Geburtsjahrgängen bis in die 1990er Jahre gebe es große Impflücken. Heute stecken sich diese jüngeren Erwachsenen bei Masernausbrüchen häufig an - neben den noch ungeimpften Säuglingen und Kleinkindern. Darum empfiehlt die STIKO den nach 1970 Geborenen, den Impfschutz zu überprüfen und ergänzen. Eine Impfpflicht für sie mache keinen Sinn, sagt Susanne Glasmacher: Diese Gruppe gehe selten zum Arzt, sei schwer zu erreichen.

Impfgegner nicht verteufeln

In einer Umfrage der Schwenninger Krankenkasse forderten 87 Prozent der Befragten verpflichtende Impfungen für Krippen- und Kindergartenkinder, 81 Prozent auch für Schulkinder. Einige private Kitas nahmen schon bisher nur geimpfte Kinder auf - das schloss Impfgegner aus. In sozialen Medien liefern die sich erbitterte Debatten mit Impfbefürwortern.Gerichte mussten sich schon mit dem Streit um die Existenz von Masernviren beschäftigen. Die Zahl der strikten Impfgegner in Deutschland wird auf nur zwei bis fünf Prozent geschätzt, sagt Cornelia Betsch. Sie ist Professorin für Gesundheitskommunikation und beschäftigt sich mit dem Impfverhalten.

Masern sind hoch ansteckend. Die Viren werden durch Tröpfchen-Infektion übertragenBild: Imago/Science Photo Library

Betsch warnt davor, Impfgegner zu verteufeln. Sie hat untersucht, warum Menschen Impfungen ablehnen. Es mangele an Vertrauen in die Sicherheit der Impfung. Oft kenne man die Krankheitsrisiken nicht: "Diphterie wurde mal 'Würgeengel der Kinder' genannt, das wissen wir gar nicht mehr, weil wir noch nie so einen Fall gesehen haben."

Den Impfpass besser nicht verlieren: In Deutschland gibt es kein ImpfregisterBild: picture-alliance/dpa/W. Rothermel

Impfen müsse an mehr Orten zu flexibleren Zeiten angeboten werden. Und: Es gebe kein Impfregister. Wer den Impfpass verliere, wisse gar nicht, wogegen er schon geimpft sei. Überzeugen könne Skeptiker der Schutz für Schwächere, die nicht geimpft werden können. Ein Vergleich habe gezeigt, dass Menschen im Westen eher bereit sind, sich impfen zu lassen, um die Gemeinschaft zu schützen. In asiatischen Ländern falle das kaum ins Gewicht, weil die Impfbereitschaft dort höher sei.

Risiko-Aufklärung statt Pharma-Broschüren

40 Prozent der Befragten aus der Impf-Umfrage fühlen sich über die Nebenwirkungen von Impfungen nicht ausreichend informiert. Forscherin Cornelia Betsch bestätigt den Wunsch nach mehr Informationen. Das Angebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sei nur wenig bekannt. Im Gegensatz zu Medikamenten erhalte man zu Impfungen keinen Beipackzettel. Auf dem Buchmarkt wie im Internet machten viele Falschinformationen den Menschen Angst. Ärzte bräuchten mehr bezahlte Zeit für die Beratung, um nicht nur zu sagen: "Hier habe ich von der Pharmaindustrie eine Broschüre. Nächstes Mal impfen wir."

Mehr Aufklärung: Psychologin Cornelia Betsch beschäftigt sich mit Gesundheitskommunikation und ImpfverhaltenBild: privat

Der Münchner Kinderarzt Steffen Rabe legt viel Wert auf eine intensive Impf-Beratung der Eltern, er ist Mitgründer des Vereins "Ärzte für individuelle Impfentscheidung". Auch er kritisiert im DW-Interview, dass die Häufigkeit von Nebenwirkungen nicht systematisch genug erfasst werde. Vor einer zweiten Masern-Impfung lässt er die Antikörper im Blut bestimmen. Bei ausreichendem Schutz impft er nicht noch einmal. Das reduziere Risiken und spare Kosten.

Allerdings könne er Eltern beim Masern-Impfstoff guten Gewissens sagen, dass schwerwiegende Nebenwirkungen eine ganz, ganz seltene Ausnahme seien. Im Gegensatz zu anderen Impfstoffen sei er hoch wirksam und enthalte keine der von vielen Eltern beklagten Begleitstoffe wie Aluminium oder Konservierungsmittel. Er rät, trotzdem nicht zu verschweigen, dass es schon Todesfälle gegeben habe, "aber extrem wenige, verglichen damit, wie viele Millionen Kinder geimpft werden". Zuständig für die Prüfungen von gemeldeten Impfkomplikationen ist das Paul-Ehrlich-Institut. Es veröffentlicht jedes Jahr Berichte zu den Prüfergebnissen. Darin werden die Umstände gemeldeter Todesfälle nachgezeichnet und in Bezug auf die Impfung bewertet.

Infektionskrankheiten sind mobil

Bringen Migranten Infektionskrankheiten? "Es geht um Mobilität", sagt RKI-Sprecherin Glasmacher. Zwar sei der Masernausbruch in Berlin von bosnischen Asylsuchenden ausgegangen, aber: "Er hätte nie große Auswirkungen gehabt, wenn die Bevölkerung ausreichend immunisiert wäre." Asylbewerber werden in Deutschland geimpft. Internationale Messebesucher könnten ebenso infiziert sein. Umgekehrt gelte: "Es gab aus Deutschland den Export von Masern in andere Länder, wo es dann viele Todesfälle gab - zum Beispiel in Bulgarien vor einigen Jahren."

Spritze gegen Masern, Mumps und Röteln: Auch Asylsuchende werden in Deutschland geimpftBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Psychologin Cornelia Betsch hat erlebt, wie Mobilität Impfkritiker umstimmen kann. Ein deutsches Ehepaar in London habe über die Polio-Impfung für ihr Kind gestritten. Die Großmutter, Heilpraktikerin, plädierte sonst stets gegen Impfungen. Doch sie wusste, dass es in Ländern, aus denen Menschen nach Europa kommen, Polio-Ausbrüche gab. Nur bei einem von 200 Infizierten zeigt sich die Erkrankung. Sie argumentierte: "Ihr fahrt dauernd U-Bahn, da kann es eine Schmier-Infektion geben - einmal an die Wand gefasst, dann habt ihr Polio im Haus." Das Kind wurde geimpft.

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