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Terrorismus

Vom IS-Opfer zum Terroristen-Jäger

11. August 2017

Masoud Aqil war IS-Gefangener in Syrien. Nach seiner Flucht nach Deutschland erkennt der Kurde, dass die Terroristen auch in Europa sind, und beginnt, sie mit Hilfe deutscher Behörden zu verfolgen. Ein DW-Exklusivreport.

Breitscheidplatz - Masoud Aqil im DW Interview
Bild: DW/F. Hofmann

Masoud

05:39

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Seine Finger fliegen über die Tastatur seines Laptops, die Festplatte ist voll mit Informationen zu möglichen IS-Terroristen. Masoud Aqil sucht nach Screenshots von Facebook-Profilen, die er gemacht hat, als ein mutmaßlicher IS-Unterstützer kurz nach der Flucht nach Europa noch recht offenherzig über seine radikalen Ansichten schrieb. Heute ist das Profil des Mannes, den er noch aus Syrien kannte, nicht mehr aufrufbar. "Man kann kaum glauben, wie offen viele von denen anfangs noch waren", sagt der 24-Jährige. Es war Anfang 2016 als der junge Kurde selbst als Flüchtling über die Balkanroute nach Deutschland kam und feststellen musste, dass der sogenannte Islamische Staat schon da war - und damit die Anhänger seiner furchtbarsten Peiniger.

Denn von 2014 bis 2015 war er Gefangener der Islamisten in sechs verschiedenen Gefängnissen in Syrien. Sie hatten ihn und seinen Kollegen Farhad auf dem Weg zu einem Interview-Termin an einer Straßenkreuzung verschleppt. Der Straßenabschnitt in Syrien galt zu dem Zeitpunkt nicht als IS-kontrolliert, die Terroristen hatten sich also weit vor gewagt an diesem 15. Dezember 2014 - in das von den kurdischen Volksbefreiungseinheiten gehaltene Gebiet von Nord-West-Syrien: Rojava.

Bekam der IS einen Tipp?

Vieles spricht dafür, dass sie einen Tipp bekommen haben, dass hier die beiden kurdischen TV-Journalisten vorbei fahren würden. Denn Masoud und sein Partner Farhad Hamo waren nicht mehr ganz unbekannt. Sie hatten 20 Monate lang fast täglich aus den syrischen Kurden-Gebieten für ihren Fernsehsender berichtet: Politisches, Soziales, die Entwicklung des Krieges. Die Kurdenführung von Rojava war dabei, ihr Territorium zu stabilisieren und sich als wichtigster Gegner des IS zu etablieren. Wohl auch, weil sie als einzige Konfliktpartei in Syrien Helfer aus einem Hinterland hatten: die PKK in der benachbarten Türkei.

Masoud Aqil als er in IS-Haft war Bild: Privat/M. Aqil

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die türkischen Kurden als erste ihre Brüder in Syrien mit Waffen unterstützt haben. Heute sind die Rojava-Kämpfer der "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) Teil der westlichen Anti-Terrorallianz unter Führung der USA. Und ihr Wissen über die Entwicklung des sogenannten Islamischen Staates ist Gold wert: Die Islamisten hätten konsequent unter den Zurückgelassenen Anhänger gesucht, sagt Masoud Aqil: "Menschen, die in der Wüste lebten, ohne Schulen. Die syrische Regierung hatte sie immer schon ignoriert. So lebten sie ohne jegliche Grundlagen für ein normales Leben", ist Aqil überzeugt. "Solche Menschen akzeptieren jeden radikalen Gedanken. Der IS wusste das und hat sich bewusst auf diese Menschen gestürzt und hat sie erfolgreiche auf ihre Seite gezogen."

Das also ist der Hintergrund des jungen Videojournalisten Masoud Aqil, als er mit seinem Partner Farhad Hamo in die Folterknäste des IS gerät. Ein Martyrium: "Sie haben mich befragt und mich dabei gefoltert. Sie prügelten auf meine Beine ein, auf den Rücken. Sie schlugen mich ins Gesicht, zogen mich an den Haaren und schrien, dass ich ein ungläubiger Kurde sei, dass die Kurden alle getötet werden sollten. Alle - weil wir verhindern, dass unser Gebiet islamisches Land wird - so wie die Islamisten es wollen." Sein Schicksal zeigt viel über die Denkweise der IS-Führer, die sich zum Teil aus den gefallenen Eliten der Baath-Partei im benachbarten Irak rekrutieren. Bei der Ankunft im zweiten Terrorknast im syrischen Al-Schaddadi füllen die Terroristen ein Aufnahme-Formular aus, gerade so als ob ihre Terrorherrschaft einem Staat gleich komme. "Das ist wie ein Gefängnisausweis im IS-Knast. Mein Papier wurde ausgefüllt von einem IS-Anhänger aus Tunesien."

IS-Formular zur Aufnahme vor TerrorgefangenenBild: Privat/M. Aqil

IS-Kämpfer plaudern in der Gefängniszelle

Die Terror-Schergen machen auch Fehler: "Sie schickten die IS-Kämpfer zu mir, um ihre Stärke zu demonstrieren", beschreibt Masoud Aquil. "Sie zeigten mir Zeitungsartikel und Videos, in denen westliche Medien über die wachsende Bedrohung durch den IS berichteten. Sie waren stolz darauf." Zu stolz vielleicht. Offenbar weil sie glaubten, dass er ohnehin ermordet werden würde, redeten die IS-Spitzel in seinen Gefängniszellen freizügig über ihre Mordtaten, erzählt Masoud. Sie gaben Details preis, an die sich der junge Kurde bis heute präzise erinnert. "Ein Teil meiner Quellen ist das, was ich im Gefängnis selbst mitbekommen habe. Von IS-Angehörigen und von Zivilisten, die wiederum viele IS-Angehörige kannten. Diese Informationen halfen mir einige Verdächtige, potentielle Terroristen ausfindig zu machen, die 2015 und 2016 nach Deutschland flohen." 

280 Tage überlebte Masoud in den Foltergefängnissen der Terrororganisation, bis er bei einem Gefangenenaustausch frei kam und nach Deutschland floh.

Wissen an die deutschen Behörden

Aus Syrien bringt er präzise Informationen mit: So genau, dass auch Experten wie der Psychotherapeut Jan Kizilhan seine Berichte für ausgesprochen glaubwürdig hält. Kizilhan ist Professor an der dualen Hochschule Baden-Württemberg und betreut im Auftrag der Stuttgarter Landesregierung kurdisch-jesidische Frauen aus IS-Terrorhaft, die als Flüchtlinge im Südwesten Deutschlands leben. Das Martyrium schärft offenbar die Erinnerung: Masoud Aqil hat viele Namen von Terroranhängern protokolliert. Ende August erscheint ein Buch*, das er zusammen mit dem Berliner Journalisten Peter Köpf geschrieben hat, darin erläutert er warum er sich mit Gesicht offen zeigt und sich dem IS entgegen stellt: "Weil ich nicht will, dass diese Monster auch Deutschland zu einem Staat machen, in dem das Naturrecht gilt, beschloss ich, die Ergebnisse meiner Recherchen, all mein Wissen, den deutschen Behörden anzuvertrauen."

DW-Exklusivinterview: mit Masoud Aqil Bild: DW/F. Hofmann

Tatsächlich dienen die Hinweise der deutschen Polizei heute bei ihren Ermittlungen. Einzelfälle will das Bundeskriminalamt allerdings nicht kommentieren. Doch es ist offensichtlich: Die Hinweise aus der Flüchtlingsszene werden mittlerweile ernster genommen. "Anfangs habe ich mich gefragt, warum ich nicht richtig befragt werde", wundert sich Masoud Aqil noch heute. Offenbar haben die deutschen Behörden erst spät erkannt, wie wichtig das Wissen der Hunderttausenden syrischen Flüchtlinge ist, die über die Balkanroute 2015 nach Deutschland gekommen sind.

 

*Masoud Aqil: Mitten unter uns. Wie ich der Folter des IS entkam und er mich in Deutschland einholte, Europa-Verlag

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